Regionale Landwirtschaft: Reis aus den Linumer Karpfenteichen

Nördlichster Anbauversuch der Welt von einem Agrarbetrieb in Brandenburg gestartet

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Ein Bauernhof in der Schweiz bewirtschaftet durchschnittlich bloß 24 Hektar Land. Das sind nicht die Dimensionen, in denen der Agrarunternehmer Guido Leutenegger denkt. Darum schaute er über die Grenzen seiner Heimat hinaus und pachtete 2016 von den Berliner Stadtgütern 650 Hektar in Ribbeckshorst im brandenburgischen Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Dort züchtet er Rinder. Das Fleisch wird in einem Hofladen verkauft und kommt auch im Restaurant »Um’s Luch« im historischen Scheunenviertel von Kremmen auf den Teller. Ab Herbst könnte dann zusätzlich heimisches Reis-Risotto auf der Speisekarte stehen.

Leutenegger wagt ein Experiment und baut jetzt Reis an. »Das war Zufall, ich wollte eigentlich nur Fisch kaufen«, erzählt der 65-Jährige am Freitag. So ist er zehn Kilometer nördlich von Ribbeckshorst auf die Karpfenteiche von Linum gestoßen. Die hat er 2019 gekauft. Aber es stellte sich heraus, mehr als 10.000 Karpfen jährlich lassen sich nicht absetzen. Forelle und Zander sind beliebter, kommen aber anders als Karpfen nicht mit der bescheidenen Wasserqualität zurecht. Man müsste die Teiche belüften. »Aber das ist ökonomisch Unsinn und ökologisch sowieso Unsinn«, winkt der Unternehmer ab, dem eine naturnahe Landwirtschaft am Herzen liegt.

Wenn von den 14 Teichen nur die zehn kleinen für die Fischzucht benötigt werden, was dann mit den vier großen Teichen anfangen? Hier kam Leutenegger die Idee, es mit Reis zu probieren, der im schweizerischen Tessin schon seit einigen Jahren angebaut wird. Nur liegt das Tessin gut 1000 Kilometer südlich in scheinbar wärmeren Gefilden. Ist es verrückt, das in Ostprignitz-Ruppin ebenfalls zu wagen? So hoch im Norden gibt es nach Kenntnis von Leutenegger schließlich weltweit noch kein Reisanbaugebiet. »Aber aktuell hat es im Tessin 12 Grad und hier 14«, erklärt der Landwirt. Bei einem kühlen Sommer könnte es schiefgehen, doch ein durchschnittlicher Brandenburger Sommer müsste ausreichen, damit die Pflanzen gedeihen, vermutet der 65-Jährige. Besser wäre natürlich ein warmer Sommer.

Hoffnung macht ihm und seinem knappen Dutzend Mitarbeitern in Brandenburg, dass sie 2020 schon einmal versuchsweise Reis in Linum ausgesät haben. »Wir sind keine geborenen Reisbauern. Wir haben alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte«, erinnert sich Leutenegger. So habe man den Reis zeitweise übereifrig komplett unter Wasser gesetzt. Doch die Pflanzen müssten noch herausgucken. Ein bis zwei Zentimeter, höher sollte der Wasserspiegel nicht stehen. Trotzdem wäre der Reis damals beinahe etwas geworden. Eine weitere Woche Reifeprozess im Herbst hätte vielleicht genügt.

Darum hat Leuteneggers Teichland Linum Naturfisch GmbH diesmal 85.000 Setzlinge der Sorte Loto gekauft und in der vergangenen Woche in einen Teich gepflanzt. Gegenüber einer Saat bedeutet das etwa vier Wochen Vorsprung im Wachstum. Das Hochziehen der Pflanzen vom Samen auf will man aber nicht aufgeben. In einem weiteren Teich hat die GmbH es erneut mit Samen probiert – und wie Betriebsleiter Robert Jäkel am Freitag feststellt, keimen die auch schon. Es lässt sich also diesmal alles gut an.

»Es ist ein Versuch«, betont Inhaber Leutenegger. »Aber ein berechtigter und hoffnungsvoller.« Trotzdem stünden noch Fragezeichen hinter dem Projekt. »Am Schluss sind es zehn Kilogramm. Die essen wir dann selbst – ganz beschämt«, sagt er. Doch wenn die Sache glückt, könnten zehn Tonnen geerntet werden. Das ist nicht wenig, aber angesichts von 600 Millionen Tonnen Reis, die Jahr für Jahr weltweit produziert werden, dann doch nicht viel.

»Mit den Preisen auf dem Weltmarkt können wir natürlich nicht mithalten«, macht sich Leutenegger keine Illusionen. In Asien sind die Lohnkosten geringer und die klimatischen Bedingungen günstiger. Die zwei bis drei Euro, die 500 Gramm Reis im Supermarkt kosten, kann die Naturfisch GmbH nicht ansatzweise unterbieten. Ihr Erzeugnis würde einiges mehr kosten, soll aber auch nicht »exorbitant teuer« sein. Wo der Preis in etwa liegen wird, dies könne erst kalkuliert und verhandelt werden, wenn man den Ertrag kenne. Doch Leutenegger ist zuversichtlich, was die Vermarktung als Nischenprodukt betrifft: »Linumer Teichreis, ich meine: Wer hat das schon?«

Ende September, Anfang Oktober wäre der Reis reif. Dann herrscht in der Linumer Teichlandschaft Hochbetrieb. In der Spitze rasten dann bis zu 80.000 Kraniche in der Gegend auf ihrem Vogelzug in ihre Überwinterungsgebiete in Afrika und Südeuropa. Um das imposante Schauspiel zu erleben, kommen zahlreiche Vogelliebhaber und Ausflügler in die Teichlandschaft – und versorgen sich dabei künftig im Hofladen vielleicht nicht mehr nur mit Fisch und Rindfleisch, sondern auch mit Linumer Teichreis. Nebenbei können die Besucher dort auch Wasserbüffel erleben.

»Wir werden dieses Jahr auch nicht alles richtig machen. Aber wir werden mehr richtig machen als beim ersten Versuch vor drei Jahren«, ist Leutenegger überzeugt. Funktioniert alles zufriedenstellend, soll nächstes Jahr auch noch in einem dritten Teich Reis angebaut werden. Der Vorteil des Versuchs: Das wirtschaftliche Risiko ist überschaubar. Bis jetzt mussten erst 10.000 Euro investiert werden. An der Infrastruktur der Karpfenteiche muss für den Reisanbau nichts verändert werden. Sollten Karpfen plötzlich wieder stärker nachgefragt sein, könnten problemlos und ohne jeglichen Umbau wieder welche eingesetzt werden.

Schon zwei Tage nachdem das Wasser ins gepflanzte Reisfeld eingeleitet war, entdeckte Betriebsleiter Robert Jäkel dort Amphibien. Wahrscheinlich waren es Rotbauchunken, die auf der Roten Liste der stark gefährdeten Arten und damit unter Naturschutz stehen. Solchen Tierarten einen Lebensraum zu bieten, ist Agrarunternehmer Leutenegger stolz.

Für den Reisanbau wurde Landtechnik aus Korea angeschafft. Wo die Maschine nicht weiterkam, steckten Betriebsleiter Jäkel und seine Kollegen die Setzlinge per Hand in den Boden. Die Belegschaft ist anders als der Schweizer Inhaber noch sehr jung und besteht komplett aus Brandenburgern, die zwischen 20 Jahren und Anfang 30 sind, wie Geschäftsführerin Wiebke Fuchs berichtet. Außer in Ribbeckshorst und in Linum gibt es auch noch 1000 Hektar in Lütte in den Belziger Landschaftswiesen, die zum kleinen Firmengeflecht von Leutenegger gehören. Er hat außerdem auch noch 160 Hektar in der Schweiz gepachtet. »Wir sind keine großen Investoren«, betont der 65-Jährige. Das Biosiegel wird der Linumer Teichreis zunächst nicht bekommen, weil die Setzlinge den Standard dafür nicht erfüllen. Später soll es aber Bioreis aus Linum geben. Der ist dann natürlich ein bisschen teurer.

Dass es daneben vor allem billigen Reis braucht, steht für Leutenegger außer Frage. Ein Großteil der Weltbevölkerung sei für seine Ernährung darauf angewiesen. »Das will ich gar nicht verurteilen.«

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