• Kultur
  • Geschichte des Kommunismus

Das klägliche Ende einer großen Idee

Vor 80 Jahren beschloss die Kommunistische Internationale auf Geheiß Stalins ihre Selbstauflösung

  • Ronald Friedmann
  • Lesedauer: 5 Min.
»Lang lebe die III. Internationale«; Plakat von Sergej Iwanowich, 1920
»Lang lebe die III. Internationale«; Plakat von Sergej Iwanowich, 1920

Am 8. Mai 1943 notierte Georgi Dimitrow, der Generalsekretär der Kommunistischen Internationale, in seinem Tagebuch, dass er in der vorangegangenen Nacht mit Wjatscheslaw Molotow, dem sowjetischen Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, und Dimitri Manuilski, einem langjährigen Spitzenfunktionär der Kommunistischen Internationale, die Zukunft der »Weltpartei« diskutiert habe. Man sei »zu dem Schluss gekommen, dass die Komintern als Führungszentrum für die kommunistischen Parteien unter den gegenwärtigen Bedingungen ein Hindernis für ihre selbstständige Entwicklung und die Erfüllung ihrer speziellen Aufgaben« sei.

Was Dimitrow nicht notierte, war die Tatsache, dass der Auftrag zu dieser Diskussion von Stalin persönlich gekommen war und dass es jener war, der die Auflösung der kommunistischen »Weltpartei«, ein knappes Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung, auf die politische Tagesordnung gesetzt hatte.

Die Kommunistische Internationale war auf einem Kongress im März 1919 in Moskau gegründet worden. Ende Dezember 1918 hatte Lenin veranlasst, bevollmächtigte Vertreter jener Parteien und Organisationen aus aller Welt einzuladen, die ein solidarisches Verhältnis zu Sowjetrussland hatten und die sich in ihrer Programmatik zur Sowjetmacht bekannten. Rosa Luxemburg hatte noch in ihren letzten Lebenstagen vor einer vorschnellen Gründung gewarnt. Sie sah die Gefahr, dass die russischen Bolschewiki, beflügelt und scheinbar legitimiert durch ihre erfolgreiche Revolution, die kommunistische Weltbewegung nicht nur führen, sondern letztlich dominieren würden. Aus Verbundenheit mit Rosa Luxemburg enthielt sich daher Hugo Eberlein, der deutsche Abgesandte, bei der Beschlussfassung über die Gründung der Kommunistischen Internationale der Stimme.

Im ersten Halbjahrzehnt ihres Bestehens spielte die Kommunistische Internationale tatsächlich eine wichtige Rolle bei der Formierung und Entwicklung revolutionärer Parteien in allen Teilen der Welt. Doch bereits mit dem Beschluss über die »21 Bedingungen« für die Aufnahme in die Kommunistische Internationale vom August 1920 war deutlich geworden, dass die Befürchtungen von Rosa Luxemburg begründet waren. Schrittweise wurden die Mitgliedsparteien in ein enges politisches und organisatorisches Korsett gepresst und der vollständigen Kontrolle durch die Moskauer Gremien unterworfen. Spätestens mit dem Ende der revolutionären Nachkriegskrise im Jahre 1923 und der Propagierung der Politik des »Sozialismus in einem Land« ab Ende 1924 wurden die innen- und außenpolitischen Interessen der Sowjetunion, die sich fest in der Hand Stalins befand, zum Maßstab für das Tun und Lassen der Mitgliedsparteien der Kommunistischen Internationale. Das führte zwangsläufig zu verhängnisvollen und folgenreichen politischen Fehlentscheidungen. So wurde die Vernichtung der Sozialdemokratie, die als »Sozialfaschismus« diffamiert wurde, zur unverzichtbaren Voraussetzung für den Kampf gegen den »Nationalfaschismus« erklärt.

Selbst nach der welthistorischen Niederlage des Jahres 1933, dem Machtantritt des Hitlerfaschismus in Deutschland, dauert es noch zwei Jahre, bis sich auch an der Spitze der Kommunistischen Internationale die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass die bisherige Politik gescheitert war. Der Siebente Weltkongress im Sommer 1935 stellte den letzten Versuch dar, eine neue Strategie und Taktik der internationalen kommunistischen Bewegung zu entwickeln. Die antifaschistische Volksfrontpolitik wurde auf die Tagesordnung gesetzt und den Mitgliedsparteien eine größere Eigenverantwortung zugestanden. Doch die Moskauer Prozesse der Jahre 1936 bis 1938 entzogen der Volksfrontpolitik die notwendige Basis. Der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt vom August und September 1939 versetzte ihr den Todesstoß.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt sah Stalin die Existenz der Kommunistischen Internationale nur noch als Hindernis für die Außen- und Sicherheitspolitik der Sowjetunion. Einen ersten Hinweis auf das bevorstehende Ende der Kommunistischen Internationale gab der Austritt der KP der USA aus der »Weltpartei« im November 1940, der ohne Zustimmung aus Moskau nicht hätte erfolgen können. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs endeten nahezu alle Möglichkeiten der operativen Arbeit der Kommunistischen Internationale. Durch den deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurde sie endgültig paralysiert. Die wenigen verbliebenen Mitarbeiter des Moskauer Apparates konzentrierten ihre Tätigkeit nun auf die auslandspropagandistische Unterstützung des sowjetischen Verteidigungskrieges und auf die politische Arbeit unter den Kriegsgefangenen.

Mit dem historischen Sieg in der Schlacht von Stalingrad im Februar 1943 sah Stalin den Augenblick gekommen, sich von der ungeliebten kommunistischen »Weltpartei« endgültig zu verabschieden. Er wollte seinen westlichen Bündnispartnern, insbesondere den USA und Großbritannien, Entgegenkommen zeigen und so die Anti-Hitler-Koalition festigen. Bereits am 13. Mai 1943 diskutierte das Präsidium des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, das EKKI, einen ersten Entwurf des Beschlusses über die Selbstauflösung. Stalin hatte zwar gemahnt, so die Tagebucheintragung von Dimitrow, nichts zu überstürzen und gründlich nachzudenken. Doch bereits am 20. Mai 1943 drängte er darauf, den Beschluss des Präsidiums in der Presse zu veröffentlichen und das Ende der Kommunistischen Internationale offiziell zu verkünden. Dimitrow gelang es jedoch, zwei weitere Tage zu gewinnen, um zunächst die Führungen der wichtigsten Kommunistischen Parteien über Funk zu informieren. Am 23. Mai 1943 schließlich veröffentlichte die »Prawda« den von Stalin endgültig bestätigten Beschluss.

Bis Anfang Juni 1943 gingen in Moskau zahlreiche Telegramme und sogar Briefe ein, mit denen die Spitzen von 31 Mitgliedsparteien der Kommunistischen Internationale – wenig überraschend – ihr Einverständnis mit dem Beschluss des EKKI erklärten. Am 8. Juni 1943 teilte das Präsidium des EKKI mit, dass die Kommunistische Internationale ihre Tätigkeit am 10. Juni 1943 beenden würde.
Es bleibt festzuhalten: Auch dieser letzte Akt in der Geschichte der Kommunistischen Internationale wurde ausschließlich von den Interessen der sowjetischen Führung bestimmt.

Dr. Ronald Friedmann ist Mitglied des Sprecherrates der Historischen Kommission der Linkspartei.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -