- Wissen
- Ökologie
Invasive Arten: Kostspieliger als Erdbeben
Schäden durch invasive Arten verursachen hohe Kosten, präventive Maßnahmen sollen diese senken
Vom Menschen eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten sind verantwortlich für Ernteausfälle und übertragen Krankheiten. Für einheimische Arten werden die neu eingewanderten als Räuber, Konkurrenten um Nahrung und/oder Lebensraum zum Problem. Das wirkt sich auch massiv auf die Biodiversität vor Ort aus.
Vielen invasiven Schadinsekten ist gemeinsam, dass sie sich mit zunehmender Klimaerwärmung von Süden nach Norden ausbreiten. So wie die aus Ostafrika eingeschleppte Grüne Reiswanze, die seit 2015 im heimischen Obst- und Gemüseanbau an Boden gewinnt und inzwischen ganze Ernten ungenießbar macht. Auch die aus China stammende Marmorierte Baumwanze, die Obst, Gemüse, Spargel, Mais und Kartoffeln befällt, verursacht durch Ernteausfälle hohe wirtschaftliche Schäden.
Etliche Schaderreger können zudem unter wärmeren Bedingungen mehr Generationen bilden und früher in die Bestände einwandern, weiß Sandra Krengel-Horney vom Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen. So besiedeln adulte Blattläuse, die immer besser in milden Wintern überdauern, im folgenden Frühjahr Kulturpflanzen noch schneller und übertragen Viruskrankheiten. Und eine Varietät des im Maisanbau gefürchteten Maiszünslers bringt inzwischen sogar zwei Generationen pro Jahr hervor. Unter Imkern gefürchtet ist die Varoa-Milbe. Sie kam in den 1970er Jahren aus Ostasien mit importierten Bienen nach Europa, wo sie seither zahllose Bienenvölker befiel.
Schadenssummen erstmals berechnet
Erstmalig berechnete nun ein internationales Forschungsteam der Universität Wien die Kosten der durch invasive Arten verursachten Schäden. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachjournal »Perspectives in Ecology and Conservation«. Konkret verglichen die Wissenschaftler die Kosten biologischer Invasionen mit denen von Naturkatastrophen wie Hochwasser, Dürren oder Erdbeben auf globaler und regionaler Ebene sowie auf einer nationalen Ebene (in den USA). Die Analyse für den Zeitraum von 1980 bis 2019 ergab, dass die wirtschaftlichen Verluste durch biologische Invasionen ähnlich hoch waren wie die durch Naturgefahren (1.208,0 Mrd. US-Dollar gegenüber 1.913,6 Mrd. US-Dollar für Stürme und 1.139,4 Mrd. US-Dollar für Erdbeben).
Um die wirtschaftlichen Verluste durch biologische Invasionen zu quantifizieren, verwendeten sie Daten aus der InvaCost-Datenbank Version 4.1, der umfassendsten Datensammlung wirtschaftlicher Kostenschätzungen im Zusammenhang mit invasiven Arten weltweit.
Globale und regionale Daten zu den Kosten von Naturkatastrophen stammen aus der internationalen Datenbank über Natur- und Technologiekatastrophen (www.emdat.be). Diese enthält geografische, zeitliche, menschliche und wirtschaftliche Daten über das Auftreten und die Auswirkungen von mehr als 21 000 Katastrophen in der Welt und in einzelnen Ländern von 1900 bis heute. Unter dem Stichwort »Naturkatastrophe« filterten die Forscher Daten über Asien, Afrika, Amerika, Europa, Ozeanien von 1980 bis 2019 heraus. Die Kosten von Naturkatastrophen in den Vereinigten Staaten bezogen die Wissenschaftler aus den Datensätzen der Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA mit Stand vom 6. April 2022.
Die Wissenschaftler filterten bei ihren Berechnungen die Datenbank derart, dass nur direkte Schadenskosten enthalten waren, die tatsächlich anfielen. So berechneten sie nur jene wirtschaftlichen Verluste, die aus direkten oder indirekten Auswirkungen invasiver Arten resultierten. Beispiel Maiszünsler: Der unscheinbare grau-braune Schmetterling verursacht bei starkem Befall in den Sommermonaten jährlich 10 bis 50 Prozent Ertragsverluste. 200 bis 500 Euro Schaden je Hektar sind dabei keine Seltenheit. Bei Befall treten zudem Qualitätsverluste durch Fusarienpilze, Schimmel oder Mykotoxine auf.
Ausmaß der Schäden stark gestiegen
Die Schäden durch invasive Arten stiegen innerhalb der letzten 23 Jahre gegenüber dem Zeitraum von 1980 bis 1999 noch mal um satte 700 Prozent – und lagen damit wesentlich höher als die von Naturkatastrophen in derselben Periode. Invasive Arten werden bei den verursachten Kosten nur von Stürmen übertroffen, doch seien diese immer noch höher als die Kosten, die durch andere Umweltkatastrophen verursacht werden, konstatiert Phillip Haubrock vom Senckenberg Forschungsinstitut.
Mithilfe der globalen Datenbank InvaCost berechneten die Wissenschaftler zudem, in welchem Verhältnis die durch invasive Arten entstandenen Kosten zu entsprechenden Managementmaßnahmen stehen. Demnach lagen die Ausgaben für Maßnahmen gegen die Schäden durch invasive Arten seit 1960 weltweit bei etwa 84 Milliarden Euro. Die Verluste in der Land- und Forstwirtschaft, Schäden an der Infrastruktur und die Belastung der Gesundheitssysteme beliefen sich im selben Zeitraum auf mindestens 976 Milliarden Euro. Nur 2,5 Milliarden Euro wurden dabei proaktiv für Präventionsmaßnahmen aufgewendet. Der überwiegende Teil der Kosten entstand für Kontroll- oder Ausrottungsmaßnahmen. Diese werden aber oft so spät ergriffen, dass sie nicht mehr erfolgreich sind, kritisiert der Biologe Phillip Haubrock. Wurden hingegen vor der Ausbreitung invasiver Arten in die Maßnahmen investiert, waren die Neophyten weitaus weniger schädigend.
Stärkere Verbreitung, knappe Ressourcen
Angesichts der zunehmenden Verbreitung invasiver Arten mit der Klimaerwärmung drängt die Zeit, während Ressourcen knapp bleiben. Experten können deshalb vorerst nur die wichtigsten Schädlinge bekämpfen: Neben zwei Zikadenarten aus dem Mittelmeerraum ist dies vor allem der Japankäfer, der starke Fraßschäden an Erdbeeren, Bohnen, Mais, Wein und vielen Strauch- und Baumarten hinterlässt.
Die Wissenschaftler fordern, noch effizienter als bisher jene Arten früh zu identifizieren, die unter dem Einfluss des Klimawandels massive Schäden verursachen können.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!