Wahl in Griechenland: Es lebe die Einparteienregierung

Eine linke Wahlrechtsreform sollte die griechische Demokratie stärken. Doch die alte Garde triumphiert

»Das Parlament wird die griechische Gesellschaft in Zukunft wirklich repräsentieren.« Mit diesen Worten kündigte Innenminister Panagiotis Kouroumblis (Syriza) im Juli 2016 etwas für das südosteuropäische EU-Land Unglaubliches an: die weitgehende Abschaffung der Bonus-Regelung, laut der bei einer Parlamentswahl die stärkste Partei zusätzlich 50 Sitze bekommt. Das war immerhin jeder sechste Platz in der Einkammer-Legislative am Athener Syntagma-Platz.

Die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND), die häufig vom »verstärkten Verhältniswahlrecht« profitiert hatte, wetterte heftig gegen die Reform. Diese konnte, da die links geführte Regierung bei der Abstimmung keine Zweidrittelmehrheit zustandebrachte, erst bei der übernächsten Wahl in Kraft treten, die am vergangenen Sonntag stattfand. Ohne die Änderung könnte die ND trotz weniger als 41 Prozent schon jetzt alleine regieren. So aber setzt Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis auf einen Passus, laut dem bei einer Wiederholungswahl mindestens 20 Sitze extra winken. Diese soll im Juni stattfinden.

Die ursprüngliche Bonus-Regelung war 1974 nach dem Ende der brutalen Militärdiktatur eingeführt worden. Die junge Demokratie sollte aus Furcht vor den »Panzern« durch stabile Mehrheiten gefestigt werden. Bei der ersten Wahl errang die ND mit rund 54 Prozent der Stimmen eine satte Zweidrittelmehrheit im neuen Parlament. Und so ging es weiter bis zu den Turbulenzen in der Finanzkrise ab 2011: Die ND und die sozialdemokratische Pasok wechselten einander als Alleinregierende ab, meist gewählt mit deutlich unter 50 Prozent der Stimmen. Gelang mal keinem die absolute Mehrheit, wurde rasch neugewählt.

Im Ergebnis kam es zu der gewünschten politischen Stabilität, das Militär spielte innenpolitisch keine Rolle mehr. Doch obwohl sich die Bonus-Regel eigentlich erübrigt hatte, wurde sie beibehalten. In der Folge spielten kleinere Parteien in der Entscheidungsfindung keine Rolle. Konsenssuche und Kompromiss waren im politischen System Fremdwörter. ND und Pasok brauchten nie auf Minderheiten Rücksichten zu nehmen und sie mutierten zu quasi-staatlichen Institutionen. Der Geburtsort der »Herrschaft des Volkes« wurde zum Paradebeispiel eines Zweiparteiensystems, dessen Schattenseite der Politikwissenschaftler Arend Lijphart als »Konzentration der Exekutivmacht in den Händen einer alleinregierenden Mehrheitspartei« ansieht. Zusätzlich breitete sich ein extremer Klientelismus aus: Nach jedem Machtwechsel wurde der Beamtenapparat mit seinen teils extremen Privilegien noch weiter aufgebläht.

In der Finanzkrise kam es dann zum Bruch: Während die Pasok in die Bedeutungslosigkeit fiel, wurde auf der Linken Syriza nach oben gespült. Insbesondere ihr Chef Alexis Tsipras beherrschte das Austarieren und Aushandeln perfekt, denn er war über viele Jahre ans Schmieden von Bündnissen unter heterogenen linken Grüppchen gewöhnt. Da war es ein Leichtes, zusammen mit der kleinen rechtsnationalistischen Anel eine Koalitionsregierung zu bilden, die auch vier Jahre hielt. Die Wahlrechtsreform 2016 sollte für eine demokratischere politische Kultur sorgen und dem Klientelismus ein Ende bereiten, wie Befürworter sagten. Kritiker warfen hingegen Syriza vor, aus Machterhaltungstrieb die Bonusregel abzuschaffen. Dem Realpolitiker Tsipras dürfte klar gewesen sein, dass Syriza wohl ausnahmsweise stärkste Partei geworden war.

Tatsächlich bietet die jetzt erwartete Wiederholungswahl Syriza und Tsipras eine zweite Chance. Nach dem Debakel vom Wochenende wäre ihr lange Zeit unangefochtener Parteichef sonst wohl bereits Geschichte, wie Beobachter meinen. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums erweist sich der selbsternannte Reformer Mitsotakis ganz als Mann der alten Garde: Als Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou ihm das Mandat zur Regierungsbildung erteilte, lehnte der ND-Chef brüsk ab. Er wolle sich doch keinem politischen Kuhhandel hingeben, der in einer Sackgasse ende.

Der frühere Syriza-Innenminister Kouroumblis, der sich als Sehbehinderter und als Angehöriger der Pontosgriechen immer für Minderheitenschutz einsetzte, behielt hingegen nicht recht. Als die von ihm konzipierte Wahlrechtsreform im Parlament angenommen wurde, versprach er, dass »die Ära der Einparteienregierung der Vergangenheit angehört«.

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