- Politik
- »Asylkompromiss« 1993
Breite Bewegung für Erhalt des Asylrechts
Nicht nur am Tag der Abstimmung in Bonn protestierten Zehntausende gegen die Schleifung des Grundgesetzartikels 16
Die Bundestagsdebatte am 26. Mai 1993 begann mit tumultartigen Szenen. Grund für die Empörung insbesondere auf Seiten von CDU/CSU und FDP war das, was Ingrid Köppe von Bündnis 90/Die Grünen gerade ins Mikrofon gesprochen hatte. Sie hatte beantragt, die Bannmeile um das Bonner Parlamentsgebäude aufzuheben, um den Menschen, die an jenem Tag gegen den zur Abstimmung stehenden »Asylkompromiss« demonstrieren wollten, dies in unmittelbarer Nähe des Bundestags zu ermöglichen.
Bündnis 90/Die Grünen hatten bereits am 13. März 1993 im Bundestag die generelle Abschaffung des Bannmeilengesetzes gefordert – und verlangt, das Demonstrationsverbot vor dem Parlament bereits für die Schlussabstimmung der Asylgesetze aufzuheben. Im Interesse eines offenen politischen Diskurses sollten friedliche Proteste »nicht verbannt oder kriminalisiert werden«, hatte die ehemalige DDR-Oppositionelle Köppe den Antrag begründet. Er wurde abgelehnt.
Über die Forderung echauffierte sich in der Plenardebatte am Abstimmungstag insbesondere FDP-Fraktionsgeschäftsführer Manfred Richter. Unter den Protestierenden, die sich schon seit dem Morgen vor dem Parlament versammelt hatten, seien Leute, »die unsere Demokratie zerstören wollen«, behauptete er. Und: Man wolle sich generell von Demonstrationen nicht beeinflussen lassen, rief Richter den Abgeordnetenkolleg*innen zu: »Wir werden uns dem Druck der Straße nicht beugen!«
Ein denkwürdiger Satz, und es war Gregor Gysi von der PDS, der daran erinnerte, dass insbesondere maßgebliche Politiker von CDU und FDP spätestens seit den ausländerfeindlichen Pogromen von Rostock-Lichtenhagen im August 1992 immer wieder »mit dem Druck der Straße« argumentiert hätten, wenn es um die »Abschaffung des Asylrechts« gehe. Tatsächlich hatte auch Bundeskanzler Helmut Kohl vor einem »Staatsnotstand« aufgrund der zunehmend gewalttätigen Proteste gegen vermeintliche Ausländer und Asylsuchende gewarnt. Viele sagten, man müsse auch durch die Einschränkung des Asylrechts Druck aus dem Kessel nehmen. Dies würde zu einer Beruhigung der Lage führen.
Die 521 Abgeordneten, die an diesem Tag für gravierende Einschränkungen des Asylrechts und deren Festschreibung im neuen Artikel 16 a des Grundgesetzes stimmten, beugten sich also schon dem »Druck der Straße«, aber eben nicht jenem der Demonstranten vor der Tür. Das waren immerhin um die 10 000 Menschen.
Auch die meisten SPD-Parlamentarier stimmten Regelungen wie der willkürlichen Bestimmung von sicheren Dritt- und Herkunftsstaaten zu, bei denen »gewährleistet erscheint«, dass dort »weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet«. Ebenso befürworteten sie die erleichterte Abschiebung von Menschen dorthin. Zudem wurde an jenem Tag die Einführung des sogenannten Flughafenverfahrens beschlossen. Auf dem Luftweg eingereiste Schutzsuchende können seither drei Wochen im Transitbereich eines Airports festgehalten werden, die damals auch als »exterritoriale Gebiete« eingestuft wurden.
Die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP hatten sich mit der Oppositionsführerin SPD schon am 6. Dezember 1992 auf die Eckpunkte zur Grundgesetzänderung und zum neuen Asylverfahrensgesetz geeinigt. Zwischen diesem Datum und der Abstimmung in Bonn hatte es immer wieder Großdemonstrationen gegen die faktische Aushebelung des Rechts auf Asyl gegeben. Ende 1992 etwa versammelten sich Zehntausende im Berliner Lustgarten vor der Museumsinsel, der damals noch keine Grünfläche war, und buhten den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker aus, der den Kompromiss rechtfertigte und behauptete, das Recht auf politisches Asyl bestehe uneingeschränkt fort. Sich diesem Druck der Verteidiger von Grundrechten zu beugen, darüber dachte die Mehrheit im Bonner Parlament damals keine Sekunde nach.
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