• Politik
  • Schuldenstreit in den USA

US-Präsident Biden hat sich verzockt

US-Präsident Biden hat sich beim Streit mit den Republikanern um die Schuldenobergrenze verkalkuliert

  • Julian HItschler
  • Lesedauer: 5 Min.
US-Finanzministerin Janet Yellen sieht den Kongress in der Pflicht.
US-Finanzministerin Janet Yellen sieht den Kongress in der Pflicht.

Gleich vorweg: Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die USA in den nächsten Tagen tatsächlich zahlungsunfähig werden. Möglich ist es trotzdem. Denn Finanzministerin Janet Yellen hält an ihrer Position fest, dass, wenn die gesetzliche Schuldenobergrenze erreicht ist, Verbindlichkeiten des Staates nicht mehr bedient werden könnten. Zwar gäbe es eine Reihe juristischer Tricks, wie diese Grenze umgangen werden könnte. Doch Yellen will von alledem nichts wissen und bleibt hart: Es sei Aufgabe des Kongresses, das Limit zu erhöhen, andernfalls seien ihr die Hände gebunden.

Teller und Rand – der Podcast zu internationaler Politik
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Das Parlament stellte sich lange quer: Die Verhandlungen zwischen der republikanischen Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus und dem Sprecher der Kammer, Kevin McCarthy, auf der einen Seite und dem Weißen Haus und den Demokraten auf der anderen Seite stecken seit Wochen fest. Bis Anfang Juni, so Yellen, sei sie noch in der Lage, durch kurzfristige Umbuchungen die Rechnungen zu begleichen. Doch in den nächsten Tagen müsse damit gerechnet werden, dass Zahlungen ausbleiben.

Am Donnerstagabend berichtete die »New York Times« allerdings über einen möglichen Deal zwischen McCarthy und dem Weißen Haus. Die Vereinbarung sieht demnach vor, die meisten flexiblen Haushaltsposten für das Jahr 2024 einzufrieren. Bei einer Inflationsrate von fünf Prozent würde dies schmerzliche Einschnitte etwa beim Wissenschaftshaushalt bedeuten: Der Kostenanstieg könnte nicht gedeckt werden. Welche weiteren Sparmaßnahmen das Paket umfasst, ist noch nicht klar. US-Präsident Joe Biden soll im Gegenzug erreicht haben, dass die Vereinbarung bis zu den Wahlen im November 2024 gelten soll, was durch entsprechende Trigger-Klauseln erreicht werden soll, die an die Verabschiedung eines Haushaltsgesetzes im Herbst gebunden sind. Weitere größere Budgetstreitigkeiten im Kongress wären damit wohl immerhin vom Tisch.

Ökonomisch betrachtet gibt es für den US-amerikanischen Staat kaum eine harte Budgetgrenze: Die USA können in großem Umfang Staatsanleihen aufnehmen, ohne eine wesentliche Abwertung des US-Dollars fürchten zu müssen. Der Grund dafür ist einerseits, dass der US-Dollar als globale Leitwährung, in der die allermeisten globalen Handelsgeschäfte denominiert sind, auf dem Devisenmarkt stetig nachgefragt wird. Der vielleicht noch wichtigere Vorteil für die USA ist aber, dass US-Staatsanleihen als Sicherheiten für eine Vielzahl von Transaktionen am Finanzmarkt hinterlegt werden. Auch sie werden dankbar und in großer Menge gekauft.

Aus ökonomischer Sicht muss sich die US-Finanzministerin vor allem um den Inflationsdruck Gedanken machen, der durch zusätzliche Nachfrage entstehen könnte, wenn der Staat mehr Geld ausgibt. Dass US-Staatsanleihen zum Ladenhüter werden, ist eigentlich kaum vorstellbar. Deshalb wäre es für die Finanzmärkte aber auch so verheerend, wenn sie plötzlich nicht mehr als sichere Anlage gezählt werden könnten. Der Druck, eine Einigung zu erzielen, ist deshalb enorm.

Bei der gesetzlichen Schuldenobergrenze in den USA handelt es sich in erster Linie um eine politische Selbstbegrenzung. Um die Neuaufnahme von Krediten zu ermöglichen, muss sie regelmäßig erhöht werden. Unter Donald Trump geschah dies mehrfach relativ geräuschlos – republikanische Präsidenten haben selten Schwierigkeiten, den Kongress dazu zu bewegen. Das Schuldenlimit wird eigentlich nur dann zum Politikum, wenn ein demokratischer Präsident einen – zumindest teilweise – republikanisch kontrollierten Kongress um dessen Anhebung bitten muss. Zuletzt geschah dies unter Barack Obama – nun hat Joe Biden das Problem.

Im November letzten Jahres verloren die Demokraten bei den Parlamentswahlen die Mehrheit im Repräsentantenhaus. Damals hätten sie die Möglichkeit gehabt, das Problem vorausschauend aus der Welt zu schaffen. Denn bis zur Konstituierung des neuen Kongresses im Januar wäre noch Zeit geblieben, die Grenze anzuheben – die Geschäftsordnung des Senats hätte dies erlaubt, da die Demokraten noch die ungenutzte Option hatten, ein haushaltsrelevantes Gesetz mit einfacher Mehrheit zu verabschieden.

Doch die beiden konservativen demokratischen Fraktionsmitglieder Joe Manchin und Kyrsten Sinema stellten sich quer. Weder der demokratische Mehrheitsführer Chuck Schumer noch Präsident Joe Biden investierten viel politisches Kapital, um Manchin und Sinema zu überzeugen. So verstrich die Gelegenheit ungenutzt, bevor der Republikaner Kevin McCarthy zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt wurde. Damit war klar, dass die beiden Parteien in der ersten Jahreshälfte eine Verhandlungslösung würden finden müssen.

Im politischen Washington mutmaßt man, dass hinter der Strategie der Demokraten, McCarthy den Ball zuzuspielen, ein politisches Fehlkalkül gesteckt haben könnte. McCarthy, der seinerseits erst nach wochenlangen Verhandlungen mit den rechten Hardlinern seiner eigenen Fraktion zum Sprecher gewählt wurde, hat wenig Interesse, den Demokraten entgegenzukommen.

Schumer und Biden hatten wohl damit gerechnet, dass McCarthys überzogene Forderungen den Zorn der Öffentlichkeit auf die Republikaner ziehen würden. Insbesondere mit Kürzungsvorschlägen beim gesetzlichen Rentensystem hätten die Republikaner sich schnell unbeliebt gemacht. Im Wahlkampf zu den Zwischenwahlen 2022 hatten republikanische Senatoren solche Einschnitte ins Spiel gebracht, was der Partei sicherlich nicht half und zum enttäuschenden Ergebnis beitrug.

Doch das mediale Umfeld hat sich seither verändert. Fernsehsender wie CNN und andere Leitmedien haben gegenüber Biden und den Demokraten in den letzten Monaten einen merklich härteren Ton angeschlagen. Die Inflation gehört inzwischen zu den vorrangigen Sorgen der Oberschicht, und auch in liberalen Medien wird kräftig Stimmung für Austeritätspolitik gemacht. Der Abgang von Bidens Stabschef Ron Klain mag hierbei eine Rolle spielen – sein Nachfolger Jeff Zients ist wesentlich konservativer und hat die Neigung, angesichts von Medienkampagnen einzuknicken, statt offensiv Gegenerzählungen zu lancieren. Biden verhält sich seit der Amtsübernahme von Zients gegenüber den Medien deutlich defensiver.

All dies hat zu einem Klima geführt, in dem McCarthys Forderungen nach Sozialkürzungen und Ausgabenbeschränkungen immer seltener auf Widerspruch stoßen. Die demokratische Fraktion im Repräsentantenhaus ist erbost – Abgeordnete sprachen laut Medienberichten unter vorgehaltener Hand von einem »Desaster«. Zu den zentralen Forderungen McCarthys zählen auch verschärfte Zugangsbedingungen zur Krankenversicherung für Bedürftige – für viele Demokraten ein rotes Tuch.

Biden und Schumer haben die Reaktion der Medien auf die Hinhaltetaktik der Republikaner falsch eingeschätzt und sich schlicht verzockt – der erwartete öffentliche Aufschrei angesichts der Forderungen von McCarthy blieb aus. Jüngsten Umfragen zufolge unterstützen etwa 60 Prozent der Wähler*innen Budgetkürzungen im Allgemeinen – bei Sozialprogrammen will aber nur eine Minderheit sparen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -