»Mieter*innen können die Wärmewende nicht allein bezahlen«

Interview mit der Klimaaktivistin Kate Cahoon und der Mietenaktivistin Lisa Vollmer

  • David Zauner
  • Lesedauer: 10 Min.

Wärmepumpen, Gasheizungen, energetische Sanierungen – über die Wärmewende wird gerade heiß gestritten. Kate Cahoon, wie nimmt die Klimabewegung die öffentliche Debatte wahr? Und was sagt die Mietenbewegung, Lisa Vollmer?

Kate Cahoon: Die Wärmewende hat eine enorme gesellschaftliche Sprengkraft. Über Jahre wurde nichts gemacht, und jetzt ist der Zeitdruck enorm hoch. Das spiegelt sich in der Debatte wider. Dieses Hauruck der jetzigen Regierung sorgt für jede Menge Konflikte. Außerdem schwirren immer wieder Fehlinformationen herum. Es ist unsere Aufgabe als Bewegung, diesen Diskurs zu versachlichen. Die Kernfrage, die zu vielen Spannungen führt, ist: Wer bezahlt das alles?

Interview

Die australische Feministin und Umweltschützerin Kate Cahoon arbeitet in Berlin als Campaignerin bei der internationalen Klimaschutzorganisation 350.org. Lisa Vollmer forscht am Institut für Europäische Urbanistik an der Bauhaus-Universität Weimar und ist in der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen aktiv.

Lisa Vollmer: Und genau bei dieser Frage zeigt das Gebäudeenergiegesetz jede Menge Schwachstellen. Es gibt keinerlei Schutz für Mieter*innen. Die Modernisierungsumlage erlaubt es den Vermieter*innen, die gesamten Kosten, zum Beispiel für eine Wärmepumpe, auf die Miete umzulegen. Selbst wenn eine Heizung zur Instandhaltung ausgetauscht werden muss, kann das als Modernisierung zählen. Im Endeffekt heißt das, dass die Wärmewende allein von den Mieter*innen getragen wird. Das ist nicht nur unsozial, sondern wird zu einer riesigen Verdrängungswelle führen. Auch Mieter*innen haben ein Interesse daran, dass ihre Heizungen effizient und klimafreundlich sind. Aber solange es die Modernisierungsumlage gibt, können sie sich dadurch ihre Wohnung nicht mehr leisten.

Modernisierungsumlage bedeutet, dass Investitionen bis zu acht Prozent auf die Jahresnettokaltmiete umgelegt werden können. Naiv gefragt: Ist es nicht gerecht, dass Vermieter*innen mit ihren Investitionen Geld verdienen?

LV: Tun sie ja ohnehin. Im Portfolio von immobilienbesitzenden Aktiengesellschaften taucht die Modernisierung als Wertsteigerung ihres Eigentums auf. Warum sollten sie zusätzlich noch ihre Investitionen von den Mieter*innen zurückgezahlt bekommen? Außerdem ist die Umlage dauerhaft zu zahlen. Die Miete bleibt also hoch, selbst wenn die Investitionskosten längst getilgt sind.
Es ist in erster Linie ein Mietsteigerungsmechanismus. Damit soll ein politischer Anreiz gesetzt werden, dass Vermieter*innen in ihren Bestand investieren. Aber dieses System funktioniert nicht.

Wieso nicht?

LV: Die Modernisierungsumlage verfehlt die ökologischen Ziele nicht nur ein bisschen, sondern komplett. Wir haben eine Sanierungsrate von einem Prozent des gesamten Gebäudebestandes im Jahr. Und wir wissen noch nicht mal, ob die Sanierungen tatsächlich die Energieeffizienz steigern.

Vermieter*innen müssen nicht nachweisen, dass die energetische Sanierung zu Einsparungen führt?

LV: Wenn keine Fördermittel genutzt werden, gibt es überhaupt keine Kontrolle. Bei der Nutzung mancher Fördermittel ist eine Energieberatung vor der Sanierung vorgeschrieben, bei manchen auch eine tatsächliche Erfolgskontrolle. Aber nur die wenigsten Vermieter*innen nutzen Fördermittel, weil sie den so finanzierten Teil der Investition nicht auf die Mieter*innen umlegen können. Es sind diverse Fälle bekannt, in denen nach der Sanierung die Heizkosten der Mieter*innen – bei gleichbleibenden Energiepreisen – nicht gesunken sind. Die Modernisierungsumlage macht also weder sozial noch ökologisch Sinn. Stattdessen sollten Vermieter*innen zu Modernisierungen ordnungsrechtlich verpflichtet werden, wie es ja auch mit der Einführung von Mindestenergiestandards im Gebäudebereich durch die EU geplant ist. Aber auch dann sollten die Mieter*innen und der Staat über Förderungen die Heizungswende und die Dämmung nicht allein bezahlen müssen. Die Frage ist: Wie kann man die Immobilienwirtschaft an diesen Kosten beteiligen?

Kate Cahoon, haben Sie keine Angst, dass ohne Modernisierungsumlage der Heizungswechsel weiter ausgebremst wird?

KC: Die Angst existiert in der Klimabewegung. Oft wird von ihr die Dringlichkeit betont – »es muss jetzt sofort was passieren« –, ohne die sozialen Folgen im Blick zu haben. Aber auch der Klimabewegung wird immer bewusster, dass mit der Modernisierungsumlage vor allem Profitinteressen bedient werden. Viele Modernisierungen führen zu einer höheren Miete, aber zu keiner besseren Klimabilanz des Gebäudes. So, wie es momentan läuft, hilft es dem Klima nicht und verdrängt auch noch Mieter*innen. Klimagerechte Lösungen haben eine Veränderung des Systems zum Ziel. Klimaschutz und bezahlbare Mieten sind kein Entweder-oder. Das Problem sind die Profitinteressen der Verantwortlichen.

Erschwert dieser Zielkonflikt die Zusammenarbeit von Mieten- und Klimabewegung? Die einen wollen möglichst schnell emissionsarme Heizungen, die anderen haben Angst vor steigenden Mieten und Verdrängung.

LV: Diese Ziele müssen sich ja nicht widersprechen. Sondern es sind politische Regulierungen – in diesem Fall die Modernisierungsumlage –, die dazu führen, dass sie sich widersprechen. Diese Umlage ist nicht nur ungerecht, sondern auch unökologisch. Auch Mieter*innen sind klimabewegt, und mehr Effizienz liegt auch in ihrem persönlichen wirtschaftlichen Interesse. Die Interessen der Bewegungen stehen also nicht an sich gegeneinander, sondern werden politisch gegeneinandergestellt. Verantwortlich ist dafür ein drittes Interesse: nämlich das der Immobilienwirtschaft, möglichst hohe Profite zu erzielen. Und die fährt ja auch gut damit, dass die Interessen gegeneinander ausgespielt werden.

KC: Genau. Auch die fossilen Konzerne machen derzeit Rekordgewinne, während viele Menschen ihre Strom- und Gasrechnungen nicht bezahlen können.

Also gemeinsamer Feind Profitinteressen? Sie sprachen von Fällen, in denen die energetische Sanierung die Mieten hochgetrieben hat, ohne dass Energie eingespart wurde. Haben Sie da ein Beispiel?

LV: Bei einem unserer Vernetzungstreffen war eine Mieter*innengruppe aus dem Berliner Kosmosviertel. Diese Großsiedlung wurde in den 1980ern in der DDR mit sehr hohen energetischen Standards gebaut. Nach der energetischen Modernisierung, die unter anderem die dreifach verglasten Fenster durch zweifach verglaste ersetzte, waren die Heizkosten höher als zuvor. Jetzt kann man sagen, gut, vielleicht sind die Preise gestiegen. Aber die Mieter*innen haben auch die Energieeffizienz gemessen und die ist zurückgegangen. Das ist sicherlich ein Extrembeispiel, aber viele Mieter*innen berichten, dass die Heizkosten durch Energieeinsparung nach einer Sanierung nicht die Mietsteigerungen ausgleichen. Im Endeffekt heißt das: Modernisierungsinvestitionen und energetische Effizienz sind nicht direkt miteinander gekoppelt.

Was muss sich ändern, damit eine sozial gerechte Heizungswende gelingt?

KC: Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen zeigt im Bereich Wohnraum, dass wir ein grundsätzlich anderes System brauchen. Wohnraum darf kein Spielfeld der Profite sein, sondern muss öffentliches Gut sein. Das lässt sich über eine Vergesellschaftung von Wohnraum erreichen. Dies muss die Klimabewegung auch im Energiesektor anstreben. Jahrelang haben wir gegen fossile Energien gekämpft. Jetzt müssen wir uns auch damit auseinandersetzen, wo wir eigentlich hinwollen. Die Vergesellschaftung von Energiesystemen ist da ein zentraler Punkt, der natürlich auch für die Wärmewende elementar ist. Vattenfall, RWE und Co. haben ebenso wenig Eigeninteresse an einem sozial-ökologischen Umbau wie die großen Immobilienkonzerne.

LV: Da das Ziel der kompletten Vergesellschaftung leider noch nicht hinter der nächsten Ecke auf uns wartet, ist es auch sinnvoll zu überlegen, wie man den privaten Wohnungsbestand stärker regulieren kann. Dazu gehört ganz klar die Abschaffung der Modernisierungsumlage bei gleichzeitigem Modernisierungszwang.

Um auf die Frage zurückzukommen, wer das alles bezahlen soll: Ihre Antwort wäre also: die Vermieter*innen?

LV: Wenn es ihre wirtschaftliche Lage zulässt, und das ist im Grunde bei allen größeren Immobilienunternehmen der Fall, dann ja. Zusätzlich könnte es eine Härtefallregelung für Vermieter*innen geben. So was gibt es ja bereits für Mieter*innen. Bei manchen öffentlichen Wohnungsunternehmen kann ich einen Antrag auf Mietsenkung stellen, wenn meine Miete 30 Prozent meines Einkommens übersteigt. Das könnten dann Vermieter*innen machen. Wenn sie zum Beispiel einen Heizungsumbau oder andere Modernisierungen nicht aus ihren Rücklagen und erwarteten Einnahmen zahlen können, können sie einen Antrag auf Fördergelder stellen.

Die Modernisierungsumlage kann nur auf Bundesebene abgeschafft werden. Sind für die oft sehr lokal verankerte Mietenbewegung die Erfahrungen und Strategien der Klimabewegung wichtig?

LV: Das ist auf jeden Fall unsere Hoffnung. Die lokale Verankerung ist die Achillesferse der Mietenbewegung. Auf Bundesebene ist die Bewegung kaum aktiv oder wird in der politischen Diskussion nicht wahrgenommen. Das hoffen wir gemeinsam mit der Klimabewegung zu verändern. Trotzdem glaube ich, dass das typische Organizing in Nachbarschaften sehr wichtig ist. Klima-NGOs interessieren sich für lokale Ansätze oft nicht, weil Politik eben auf Landes- oder Bundesebene gemacht wird. Aber um die Probleme und Interessen der betroffenen Menschen wirklich zu verstehen, muss man mit ihnen reden und gemeinsame Analysen entwickeln. Da reicht es nicht, an einem kleinen Tisch zu sitzen und mit einer fertigen Analyse auf die Leute zuzugehen.

KC: Die Klimabewegung versteht immer besser, dass lokale Entscheidungen von globaler Relevanz sind. Bei der Frage, womit wir heizen, wird das sehr deutlich. Da können wir auf jeden Fall auch noch viel von der Mietenbewegung lernen. In der Klimabewegung gibt es Gruppen, die zunehmend radikalere Aktionsformen wählen. Und das ist auch wichtig, denn es wird noch nicht genug über den Klimawandel und seine Folgen gesprochen. Aber die Bewegung hat es bisher nicht geschafft, Anknüpfungspunkte hervorzuheben und Verbindungen von Klima- und anderen sozialen Problemen aufzuzeigen. Wir müssen es schaffen, konkrete Lösungen und Alternativen zu finden und gemeinsam dafür zu kämpfen. Und bei der Wärmewende liegt es auf der Hand, wie sowohl Mieter*innen als auch das Klima von Energieeinsparungen profitieren können.

Der Volksentscheid »Berlin 2030 klimaneutral« ist gescheitert. Lag das auch daran, dass die Klimabewegung die sozialen Aspekte ihrer klimapolitischen Forderungen noch zu wenig im Blick hat?

KC: Auch hier wurde vor allem die Dringlichkeit in den Vordergrund gestellt. Es wurde zu wenig thematisiert, wie sich der Weg zu einem klimaneutralen Berlin sozial gerecht gestalten lässt. Viele Menschen haben Angst, dass ihr Leben durch Klimaschutz schlechter wird. Und das ist auch verständlich. Zum Beispiel durch die Modernisierungsumlage haben sie diese Erfahrungen gemacht. Es ist schade, dass der Volksentscheid so gelaufen ist. Die Klimabewegung hat nur mit sich gesprochen. Die Zustimmung war in der Innenstadt viel größer als am Stadtrand. Und teilweise sind wir auch schlicht nicht gegen die Desinformationskampagnen der anderen Seite angekommen. Wir müssen mehr Lösungen aufzeigen. Sonst laufen wir Gefahr, dass immer mehr Menschen aufgrund von materiellen Sorgen reaktionär wählen.

LV: Es ist wichtig herauszufinden, wo die gemeinsamen Interessen sind. Und bei Klima und Wohnen sind die relativ leicht zu finden. Mal abgesehen davon, dass viele Mieter*innen natürlich auch für Klimaschutz sind, sind tatsächlich ökologische Modernisierungen sowohl gut fürs Klima als auch ökonomisch sinnvoll für Mieter*innen – wenn die Kosten nicht umgelegt werden. Die Mieten- und Klimabewegung unterscheiden sich aber auch recht stark, was die Zusammenarbeit manchmal erschweren kann.

Wo liegen die Unterschiede?

LV: Die Mietenbewegung ist nicht so jung und agiert stärker aus einer unmittelbaren Betroffenheit heraus. In ihr passiert im Grunde alles ehrenamtlich. Das hat Vor- und Nachteile. Der Mietenbewegung mangelt es an Ressourcen, aber dafür ist sie spontan handlungsfähig und kann radikalere Positionen vertreten. Und ich glaube, dass man bei der Wohnraumfrage auch schneller bei einer grundlegenden Kapitalismuskritik landet. Es liegt einfach noch deutlicher auf der Hand als beim Klima, dass das der Markt nicht regelt.

KC: Ich glaube auch, dass die Systemfrage bei Mieten nochmal näher ist. Lange wurde die Antwort auf den Klimawandel zu stark bei individuellen Lösungen und beim Konsumverhalten gesehen, aber da hat sich inzwischen vieles getan. Breitere Teile der Klimabewegung fordern grundsätzliche Veränderung. Sie sehen, dass individuelle Verhaltensänderungen nur sehr beschränkte Auswirkungen haben. Die momentane Enttäuschung von den Grünen prägt die Klimabewegung. Immer mehr Menschen wird klar, dass weder Parlamentarismus noch grüner Kapitalismus diese Krise beseitigen können.

Wie geht’s nun weiter?

LV: Wir planen eine gemeinsame Kampagne: Modernisierung ohne Umlage. Mit dem Namen wollen wir deutlich machen, dass wir Modernisierungen wollen, aber dagegen sind, dass das alles auf dem Rücken der Mieter*innen ausgetragen wird. Anfang Juni findet außerdem ein bundesweites Vernetzungstreffen, das Recht auf Stadt Forum, in Oberhausen statt. Dort gibt es Workshops zu Organizing und der ökologischen Wohnungsfrage. Bei Deutsche Wohnen & Co enteignen gibt es zudem schon länger die Taskforce »Klimagerecht enteignen«. Auch dort beschäftigen wir uns damit, wie wir die Kämpfe der Mieten- und Klimabewegung zusammenführen können.

KC: Die Klimabewegung muss gucken, wie sie die Mietenbewegung unterstützen kann, und lokal aktiver werden – über Haustürgespräche und Nachbarschafts-Organizing. Das ist sicherlich erst der Anfang einer engeren Zusammenarbeit der beiden Bewegungen. Eine sozial gerechte Wärmewende und die Eigentumsfrage – also wer besitzt unsere Energieinfrastruktur und entscheidet darüber, wie der Übergang gestaltet wird? – müssen auch in der Klimabewegung eine zentrale Rolle spielen, und dafür brauchen wir gemeinsame Kampagnen.

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