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The Fizz in Berlin: Zerstört ein Luxus-Neubau die Nachbarhäuser?
Ein Riss geht durch ihr Zuhause – Am Markgrafendamm in Friedrichshain haben Mieter Angst, dass ihre Häuser einstürzen
Auf der Baustelle zwischen Ostkreuz und Elsenbrücke stehen die Maschinen still. Zur Sicherheit dürfen erst einmal keine weiteren Arbeiten mehr durchgeführt werden. Nur an der Außenwand des Gebäudes am Markgrafendamm 6 hängen Industriekletterer diese Woche noch ein Großflächenplakat auf. Mit den Worten »Wenn’s schnell gehen muss« wird für eine Lebensmittelmarke geworben. Den Eindruck, dass es schnell gehen sollte und nicht ordentlich gearbeitet wurde, hat auch die Hausgemeinschaft, wenn man sie nach der Baustelle nebenan fragt. »Überall sind tiefe Risse in der Wohnung, der Sand rieselt auf meine Möbel und Stücke der Decke poltern nachts herunter«, berichtet eine Mieterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will.
Seitdem am Markgrafendamm 7–10 die Tiefbauarbeiten für ein privates Studentenwohnheim laufen, kommt es in den Nachbarhäusern auf beiden Seiten der Baustelle zu sogenannten Setzungen. Die Gebäude senken sich ab. Sichtbar wird das an den Rissen in den Außenwänden und in den Wohnungen beider Häuser. Dem Bauherren gehört das eine betroffene Nachbarhaus Markgrafendamm 10 selbst. Bei dem Nachbargebäude mit der Hausnummer 6 sind die Setzungen so schwerwiegend, dass sich bei zahlreichen Mietern Türen und Fenster nicht mehr schließen lassen. Die Bauaufsicht hat vergangene Woche Donnerstag die Reißleine gezogen. Ein kompletter Stopp der Bauarbeiten wurde angeordnet.
Die Mieter haben Angst. Sie fühlen sich von Hausverwaltung, Bauherren und Bezirk alleingelassen. Zwar wird ihnen versichert, die Standsicherheit des Gebäudes sei nicht gefährdet. Doch können sie dem Glauben schenken? Sie habe schon überlegt, ob sie eine Tasche für den Notfall packen soll, sagt die Mieterin. Falls es einmal schnell gehen muss. Zu der Angst tragen auch so manche Aussagen der zahlreichen Personen bei, die sich den Zustand des Hauses angeschaut haben. Solange die Hand nicht durch den Riss passe, hätte sie nichts zu befürchten, habe man ihr schon gesagt, erzählt die Mieterin aus dem Markgrafendamm 6.
17 Quadratmeter für 994 Euro
Selbst wenn keine Gefahr bestehen sollte, geht die Mieterin davon aus, dass sie noch lange mit den Rissen in Decken und Wänden leben muss. Zwar hat der Bauherr mittlerweile mit Reparaturen in den Wohnungen begonnen, damit die Mieter ihre Türen und Fenster wieder schließen können. Doch schreibt die Hausverwaltung den Mietern auch: »Von einer allgemeinen Risssanierung wird erst einmal Abstand gehalten, da man davon ausgehen muss, dass die Schäden bei den weiterführenden Arbeiten wieder auftreten werden.« Auch der Bauherr des Studentenwohnheims, Quarterback, bestätigt: »In der Regel erfolgt dies nach Abschluss des Rohbaus, da erst dann das Gros möglicher Schäden in Nachbargebäuden ersichtlich ist.«
350 Mikroapartments will Quarterback auf dem Grundstück bauen. Der Komplex ist Teil der internationalen Marke The Fizz. In Kreuzberg in der Köpenicker Straße gibt es bereits solch ein gleichnamiges Objekt. Ein Single-Studio mit der ausgewiesenen Größe von 17 bis 25 Quadratmetern kann man hier ab 994 Euro mieten. Auch der Immobilienkonzern Vonovia hält eine Minderheitsbeteiligung am Projektentwickler Quarterback.
Der Nachbarschaft ist das Projekt ein Dorn im Auge. The Fizz reihe sich ein in die zahlreichen Immobilienprojekte, die die Gegend unweit der Rummelsburger Bucht aufwerteten. Für Samstag ruft eine Initiative zur Demonstration an der Baugrube auf. Die Nachbarschaftsinitiative fordert Antworten auf die Frage, was genau mit den Häusern durch die Bauarbeiten geschieht. Mieter sprechen von einer »unprofessionellen Baustelle« und »stümperhaften Arbeiten«.
Gutachter gibt Entwarnung
Quarterback dementiert das. Es habe umfangreiche Voruntersuchungen gegeben, Sicherungsmaßnahmen und Gutachten. »Jedoch ist beim Bauen in gründerzeitlicher Umgebung immer von unbekannten Faktoren auszugehen und geringe statische Beeinträchtigungen von Gründerzeithäusern auf Nachbargrundstücken sind ein häufiger Begleitumstand im Bauprozess«, lässt das Unternehmen mitteilen.
Auch ein Mitarbeiter des Ingenieurbüros, das die Baustelle als unabhängiger Prüfer seit Sommer vergangenen Jahres überwacht, und der auch den Stopp der Bauarbeiten angeordnet hat, gibt Entwarnung. »Die Baufirma hat keine groben Fehler gemacht, es ist einfach schlechter Baugrund«, sagt er. Der Ingenieur nimmt sich viel Zeit, alles zu erklären. Angefangen beim Warschau-Berliner-Urstromtal bis hin zum Entwicklungsdruck im heutigen Berlin, der nur noch die Flächen übrig lässt, auf denen man früher nicht gebaut hätte. Mit Setzungen habe man gerechnet. Dass sie jetzt größer als erwartet sind, bedeute aber keine Gefahr für Leib und Leben.
Er erklärt auch, wie es weitergeht. Mit Hochdruckinjektionslanzen müsse eine Wasser-Zement-Mischung in den Grund unter das Haus eingebracht werden. Vergleichbar vielleicht mit den Arbeiten, die gerade am Alexanderplatz vorgenommen werden, nachdem dort der U-Bahn-Tunnel im Zuge eines Hochhausbaus absackte. »Die Jungs da machen das bloß in anderen Größenordnungen«, erklärt er. Am Alexanderplatz gibt es Messgeräte, die alles automatisch überwachen. Hier am Markgrafendamm sei das sein Job.
Der 20. Überwachungsbericht liegt der Bauaufsicht mittlerweile vor. Das Bezirksamt bestätigt, dass dort Forderungen des Prüfingenieurs aufgelistet sind. Erst wenn alles sicher ist und es einen Notfallfahrplan gibt, werde die Baustelle wieder freigegeben, sagt der Ingenieur. Die Zusammenarbeit mit Bauherren, Baufirma und Bezirk laufe aber so, wie man sie sich wünsche, betont er.
Baum weg, Fenster zugemauert und Wohnraum zweckentfremdet?
Es ist nicht der erste Stopp der Bauarbeiten. Kurz vor Weihnachten wurden die Arbeiten zuletzt wegen Rissen im Haus Markgrafendamm 6 eingestellt. Anfang Dezember bereits, weil es zu Rissbildungen im Wohnhaus Markgrafendamm 10 kam. Dort, auf der anderen Seite der Baustelle, hat man bereits Maßnahmen zur Stabilisierung des Hauses ergriffen. Sie hoffe, dass das ausreicht, sagt eine Mieterin, die ihren Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen will. »Die Risse verlaufen inzwischen auch durch tragende Wände und werden von Etage zu Etage nach unten hin größer.«
Hier sollen die Mieter zwar nicht prüfen, ob die Hand durch den Riss passt. Doch auch am Markgrafendamm 10 gebe es ungewöhnliche Methoden, sie von der Standsicherheit zu überzeugen. »Die Bauleiterin für das benachbarte Studentenwohnhaus ist bei uns in das Dachgeschoss eingezogen und hat uns gesagt: Wenn ich hier wohne, dann kann es ja nicht gefährlich sein«, erzählt die Mieterin.
Denn das Haus Markgrafendamm 10 hat Quarterback selbst aufgekauft. Beziehungsweise hat das Unternehmen eigentlich die Firma aufgekauft, der das Objekt gehört. Zumindest schreibt das so die Hausverwaltung in einer Mail an die Mieter Ende Januar 2022. In der Mail werden die Mieter auch über die anstehenden Bauarbeiten informiert. Noch ist davon die Rede, dass die Baustelle für das Studentenwohnheim sich von der Hausnummer 7 bis 9 erstreckt. Durch den Kauf des Nachbarhauses ist mittlerweile die Adresse 7 bis 10 angegeben. Der Neubau ist »L-förmig«, wie es die Mieterin nennt, und reicht bis auf die der Straße zugewandte Fläche des Markgrafendamm 10, wo kein Vorderhaus mehr steht. Das wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Für die Bauarbeiten musste der große Baum vor dem Haus gefällt werden. Die Mieter werden in der Mail vom vergangenen Jahr auch gleich darüber informiert, dass die Fenster zur Baustelle zugemauert werden und dass in der leer-stehenden Wohnung im Erdgeschoss und in den beiden Wohnungen im Dachgeschoss ein Baubüro beziehungsweise Bauarbeiterwohnungen eingerichtet werden.
Die vormalige Eigentümerfirma habe leergezogene Wohnungen nicht weiter vermietet und anschließend unbewohnbar gemacht, indem Klo und Heizung demontiert wurden, sagt die Mieterin. Deshalb habe man auch eine Zweckentfremdung wegen Leerstands gemeldet. Das Bezirksamt bestätigt, dass es zwischen 2020 und 2022 Anträge zur Genehmigung des Leerstandes gab, inklusive »Fotos des jeweiligen Ist-Zustandes der leerstehenden Wohneinheiten«. Bis Ende Juli 2022 habe man diesen genehmigt. »Mittlerweile wurde die Wiederzuführung zu Wohnzwecken durch Übersendung von Mietverträgen nachgewiesen«, heißt es. Lediglich für die Wohnung im Erdgeschoss gebe es noch eine Genehmigung zur Nutzung als Baubüro bis Mai 2026.
Solange wird es hier vielleicht noch mit den Arbeiten dauern. Und auch wenn es nichts zu vertuschen gibt, wie der Prüfer sagt: Die Baustelle hat dennoch etwas Sinnbildliches. Da wird ein Komplex mit teuren möblierten Mikroapartments gebaut, einer Wohnform, deren Anteil am Mietwohnungsmarkt immer weiter wächst. Und diese hochpreisige »Zukunft des Wohnens« kündigt sich bei den Mietern im Bestand schon einmal ganz konkret an. Die Wohnung, wie man sie kannte, sie bröckelt dahin.
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