Rechte Partei Vox: Feindbild Feminismus

Spaniens Rechte geht bei Regional- und Kommunalwahlen mit Fake News erfolgreich auf Stimmenfang

  • Julia Macher, Barcelona
  • Lesedauer: 7 Min.

Im Círculo de Economía, dem Wirtschaftsclub von Barcelonas einflussreichem Bürgertum, herrschte am Montag nach den Wahlen hämisch-freudige Erregung. Zur Eröffnung der jährlichen Tagung sollte Bürgermeisterin Ada Colau sprechen. Die linksalternative Politikerin hatte am Vorabend mit ihrer Formation »Barcelona en Comú« nur den dritten Platz belegt, die meisten Stimmen hatte der 76-jährige Xavier Trias von der konservativen Unabhängigkeitspartei Junts geholt. Zum vermutlich letzten Auftritt der Frau, die es vor acht Jahren von der Wohnraumaktivistin zur Bürgermeisterin der Mittelmeermetropole schaffte, drängelte sich ein älterer Mann in die erste Reihe. Er wolle »die Leiche« aus nächster Nähe sehen.

In Barcelona siegte die katalanisch konservative Junts, in Spanien hat bei den Kommunal- und Regionalwahlen die Rechte gesiegt. 31,5 Prozent der Spanierinnen und Spanier machten ihr Kreuz bei der Partido Popular, nur 28,11 Prozent bei den regierenden Sozialisten. In fünf der autonomen Regionen, die die Konservativen künftig regieren, werden sie auf die Unterstützung der rechtsextremen Vox angewiesen sein. Die linksalternative Unidas Podemos und ihre Verbündeten sind aus drei Regionalparlamenten und dem Madrider Rathaus ganz verschwunden. Und wie in Barcelona ist der Rechtsruck nicht in erster Linie ein Votum für eine andere Politik, sondern gegen eine Linke, die im Wahlkampf mit einem ganzen Reigen von wenig schmeichelhaften Begriffen bedacht wurde: die Spannbreite reicht von »Eindringling« bis »Volksverräter«. Regierungschef Sánchez sah keinen anderen Ausweg, als die Parlamentswahlen vorzuziehen: von Ende des Jahres auf den 23. Juli. Und das, obwohl das Zwischenresümee doch gar nicht so schlecht aussah: Die Inflation ist vergleichsweise gering, mit Mietpreisdeckelung und Erhöhung des Mindestlohns hat man auf klassische sozialdemokratische Konzepte gesetzt. Was ist da passiert?

Berta Barbet führt den Erfolg der Rechten auf den Wahlkampf zurück. »Themen aus der unmittelbaren Lebenswirklichkeit der Menschen haben kaum eine Rolle gespielt«, so die Politikwissenschaftlerin. »Stattdessen ging es um den Kampf gegen die Linkskoalition, gegen den sogenannten «Sanchismo». Unter diesem Etikett fasst die politische Konservative und Rechte alles zusammen, was ihrer Vorstellung von einem «wahren Spanien» zuwiderläuft. Das reicht von der Unterstützung der Linkskoalition durch die separatistischen und regionalen Parteien aus Katalonien und dem Baskenland, die im Fall der baskisch-nationalistischen EH Bildu als «Terroristen» gebrandmarkt wurden, bis zu feministischen Gesetzen. Dass die baskische Organisation ETA bereits 2011 aufgelöst wurde, spielte dabei ebenso wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass Spanien international als Vorreiterin in Sachen Frauenrechte gelobt wird.

Eine Aneinanderreihung von Krisen

Bloß: Warum fallen solche simplen Botschaften auf fruchtbaren Boden? Spontane Umfrage am späten Nachmittag auf der Strandpromenade in Badalona, im Speckgürtel der Metropole, wo die Partido Popular die absolute Mehrheit errungen hat. «Die Linken glauben, sie hätten die Wahrheit mit Löffeln gefressen», sagt ein Mann Ende 40, der seinen Hund spazieren führt. «Ich kann Sánchez‘ Arroganz einfach nicht mehr ertragen.» «Que se vayan todes», «Sollen sie doch alle verschwinden», sagt ein anderer und lacht über seinen eigenen Witz: «Todes» ist die genderinklusive Pluralform, die häufig von Gleichstellungsministerin Irene Montero von der linksalternativen Unidas Podemos verwendet wird.

Die Aneinanderreihung von Krisen – die Linkskoalition kam wenige Wochen vor der Pandemie ins Amt, auf Corona folgte der Ukraine-Krieg, dazu die Klimakrise, deren Folgen in Spanien extrem spürbar sind – habe die Menschen erschöpft, erklärt Politikwissenschaftlerin Barbet. Das gebe einer Polarisierung Aufschub. «Vor allem Vox profitiert von dieser Stimmung – und platziert dabei die Botschaften passgerecht für die jeweiligen Zielgruppen.»

Die 2014 gegründete Partei, ursprünglich eine Abspaltung der PP schlug zunächst vor allem aus dem eskalierenden Katalonien-Konflikt im Herbst 2017 politisches Kapital. Als Vertreter eines radikalen spanischen Nationalismus stellte sie sich an die Spitze derjenigen, die die Haltung des damals regierenden konservativen Premiers Mariano Rajoy als zu zögerlich empfanden und wurde bei den Parlamentswahlen im November 2019 zur drittstärksten Kraft. Auch wenn die Unabhängigkeitsbestrebungen im Nordosten der iberischen Halbinsel im politischen Tagesgeschäft so gut wie keine Rolle mehr spielen, hat sich das Narrativ gehalten: Spaniens Einheit sei bedroht, und Pedro Sánchez leiste dem mit seiner Vorstellung eines purinationalen Landes Vorschub. «Während rechtsextreme Parteien in Italien oder Deutschland die Migration zu ihrem wichtigsten Feindbild erklärt haben, bekämpfen sie hier die angeblichen ›inneren Feinde‹», sagt Barbet.

In dieses Lied der Vox stimmt inzwischen auch wieder die Partido Popular ein, traditionell ein Sammelbecken unterschiedlicher liberaler, konservativer und rechter Strömungen – auf der Jagd nach den Stimmen, die Vox ihr 2019 streitig gemacht hat. Dass einfache Botschaften am besten greifen und nichts so sehr zusammenschweißt wie ein gemeinsames Feindbild, ist ein alter Hut in der Politikwissenschaft. Der katalanische Late-Night-Talker Marc Giró fasste diese Strategie in seiner Show griffig zusammen: «Während die Linke noch Mikro-Theater besucht, meterweise Beauvoir liest und 15-tägige Marx-Konferenzen besucht, kommt – zack – die Rechte und spricht ihre drei magischen Worte aus: una, grande y libre – einig, groß und frei», ätzte er. «Einig, groß und frei» – das war das Motto, unter das Diktator Francisco Franco sein fast vierzigjähriges Regime gestellt hatte. Sein bitterer Nachsatz: «Und dann werden wir Schwule an die Wand stellen, die Frauen schrubben den Boden und alle Probleme sind gelöst.».

Während sowohl Konservative wie auch Rechtsextreme mit einem nationalistischen Spanien-Bild vor allem ältere Wähler rekrutieren, setzt Vox beim Kampf um jüngere Wähler gezielt auf das Feindbild Feminismus. Das ist kein Zufall: Immer mehr junge Männer lehnen Feminismus als «Gender-Ideologie» offen ab. Laut einer Studie des Jugendforschungsinstituts FAD Reina Sofia bezeichnet es jeder zehnte junge Mann zwischen 15 und 29 Jahren als «wahrhaft männlich», wenn der Mann das letzte Wort hat, knapp 13 Prozent halten Gewalt für gerechtfertigt. Die Existenz von strukturell bedingter, geschlechtsspezifischer Gewalt hält jeder Fünfte für «erfunden». «Das sind erschreckende Ergebnisse, die zeigen, wie tief bestimmte Fake News inzwischen eingesickert sind», sagt die andalusische Soziologin Carmen Ruiz Repullo. In ihren Befragungen stößt sie immer wieder auf stereotype Statements, die auf Memes der extremen Rechten zurückgehen, über soziale Netzwerke wie Tiktok, Twitter, Instagram verbreitet und wortgleich übernommen werden. «Es wird behauptet, man ›käme jetzt sogar fürs Flirten in den Knast‹ oder müsse vor dem Sex eine schriftliche Einverständniserklärung unterzeichnen lassen.» Sie spricht von einem sich gegenseitig verstärkenden System: Männliche Jugendliche und junge Männer sprängen auf diese Themen altersbedingt an – und Vox nutze das gezielt zur Stimmungsmache.

Die Rechte setzt auf Fake News

Die Querelen um die feministischen Gesetze der Linkskoalition haben dem Vorschub gegeben. Monatelang haben sie das Parlament und die Debatte in den spanischen Medien beschäftigt: Da war zunächst das sogenannte «Ja-ist-Ja»-Gesetz, das sexuelle Handlungen ohne explizites Einverständnis als Vergewaltigung wertet. Das Vorzeige-Projekt, das Spaniens Rolle als Vorreiterin in Sachen Frauenrechte stärken sollte, hatte allerdings einen perversen Nebeneffekt. Da durch die Strafrechtsreform der Straftatbestand der sexuellen Nötigung wegfiel, wurden Dutzende verurteilte Sexualstraftäter vorzeitig aus der Haft entlassen. Das Gesetz musste nachträglich mit Stimmen der Opposition geändert werden. Ein persönliches Fiasko für die federführende Gleichstellungsministerin Montero – und ein Debakel für die Regierung. Dazu kam der Streit um das neue Gesetz zu Transsexualität, das allen Menschen über 16 Jahren eine Geschlechtsänderung im Personenstandsregister durch einen einfachen Ämtergang ermöglicht. Während ein Teil der spanischen Feministinnen eine «Auslöschung der biologischen Frau» fürchtete und gegen das Gesetz Sturm ließ, erschien vielen Wählerinnen und Wählern die Debatte als alltagsfremd.

«Die linken Parteien müssen lernen, ihre Erfolge besser zu verkaufen», sagt Ruiz Repullo. «Sie müssen den Menschen klar machen, dass es im Sommer tatsächlich um eine Weichenstellung für das Land geht, was soziale Rechte wie Bildung, Wohnraum und den Mindestlohn betrifft. Auch müssen sie jegliche Fake News mit Fakten widerlegen können». Keine leichte Aufgabe – auch wegen des Termins: Im Juli ist es in Spanien drückend heiß, die Wetterprognosen machen einen erneuten Dürre-Alarm wahrscheinlich. Vox wird das für sich zu nutzen wissen. Bereits in den vergangenen Monaten hatte sie behauptet, die Regierung sei schuld an der Dürre, weil sie mutwillig und im großen Stil Staudämme gesprengt hätte. Der Gegenbeweis folgte auf dem Fuß. Zu spät. Die Falschinformation wird bis heute fleißig in den sozialen Netzwerken geteilt.

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