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Zwingend und verschwiegen
In Leipzig zeigt die Ausstellung »Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland« die Einwanderungsgeschichte der DDR
Er habe »einen großen Reichtum an Inhalten und Ausdruck gesehen, offen emotional, kontrovers und nachdenklich«, sagt César Olhagaray über seine Zeit als freischaffender Künstler während der 1980er Jahre in der DDR. Er war 1974 aus seinem Geburtsland Chile geflüchtet, nachdem er unter der gerade errichteten Diktatur Augusto Pinochets verhaftet worden war. Schließlich fand er politisches Asyl in der DDR und nahm ein Studium der Malerei und Grafik an der Hochschule für bildende Künste in Dresden auf.
Studierende aus dem Ausland an den Kunsthochschulen der DDR waren keineswegs eine Seltenheit. Im Jahrgang 1981/82 machten sie ein Viertel in der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst aus. Möglich war dies dank der auswärtigen Kulturpolitik der DDR, die nicht nur das Verhältnis zu ihren »Bruderländern« pflegen, sondern auch gegenüber nicht-sozialistischen Ländern ihre fortschrittliche Offenheit demonstrieren sollte, indem die Verbindungen in der Kulturwelt gestärkt wurden.
Die Geschichte der migrantischen Künstler*innen in der DDR bleibt bis heute allerdings eine selten gewusste und selten gezeigte. Das Museum der bildenden Künste Leipzig (MdbK) hat ihnen nun eine eigene Ausstellung unter dem Titel »Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland« gewidmet, in deren Rahmen auch das im Ausstellungskatalog veröffentlichte Gespräch mit dem heute 72-jährigen César Olhagaray geführt wurde.
Das kuratorische Team um Sithara Weeratunga und Marcus Andrew Hurttig hat eine mit einzigartigem Material gefütterte Schau samt Veranstaltungsprogramm erarbeitet. Sie wendet sich nicht nur den Werken der Künstler*innen zu, sondern auch der Lebensrealität von sogenannten Vertragsarbeiter*innen. Zudem werden (post-)migrantische Perspektiven junger Kunstschaffender auf das anhaltende Erbe der DDR-Migrationsgeschichte gezeigt.
Assoziiert man mit Kunst in der DDR einen spröden Sozialistischen Realismus, eine ideologische Vereinnahmung künstlerischen Schaffens durch den Staat, wird man in dieser Ausstellung schon im ersten Raum eines Besseren belehrt. Die hier unter dem Titel »Zwingende Geschichten« präsentierten Werke von Olhagaray, Getachew Yossef Hagoss, Rimer Cardillo, Michael Touma, Solomon Wija, Mona Ragy Enayat, Teresa Casanueva und Semir Alschausky sprechen für die Entwicklung einer ganz eigenständigen ästhetischen Ausdrucksweise. Die Künstlerinnen und Künstler waren mitunter aus Israel, Äthiopien, Kuba und Uruguay im Laufe der 1970er und 1980er Jahre in die DDR gereist, um ein Kunststudium aufzunehmen, das ihnen – auch im Kontrast zu ihren Herkunftsländern – tatsächlich ein Mehr an Freiheit und Experimentierfreude ermöglichte.
Meist mit ihrer Diplomarbeit beginnend, wird ein Querschnitt durch das Œuvre der KünstlerInnen dargeboten. Dabei zeigen sich Veränderungen, Verwerfungen und Kontinuitäten in der Motivwahl und Formensprache. Bei Olhagaray etwa steht stets die politische Haltung im Vordergrund: Sein Werk besteht aus ins Bild gesetzten Konfrontationen mit der Diktatur Pinochets oder der zunehmenden Bürokratisierung und Kapitalisierung menschlicher Beziehungen, die sich surrealistisch zum Albtraum steigern oder in comichaften Anleihen schrille Gleichförmigkeit explizieren können.
In dem Werkausschnitt der kubanischen Künstlerin Teresa Casanueva wiederum wird eine außerordentliche Revision von Bildsprache sichtbar, ausgehend von dem Gemälde »Parallele Anatomie« (1994), in der sich zwei Körper in modrigen Blau- und Brauntönen gegenüberliegen. Sie sind seziert, zergliedert und zu undefinierbaren Geschlechtsgestalten wieder zusammengesetzt, die eine unangenehme Spannung zwischen den Geschlechtern preisgeben. In den neuen Arbeiten Casanuevas, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind, hat sich dieses Körperlich-Organische zurückgezogen in eine abstrakte Geometrie: postmoderne Architekturgebilde mit klarer Linienführung in oft schlichtem Schwarz-Weiß-Kontrast suggerieren Lebendigkeit in einer Statik aus Strichen, Punkten und Rastern. Demgegenüber wirkt das Werk des aus Israel stammenden Künstlers Michael Touma mit seinem expressionistischen Pinselduktus und dem verschwenderischen Einsatz von leuchtenden Farben vor dunklem Hintergrund äußerst satt, ja beinahe haptisch. Einzelne Figuren wie die »Punkerin« (1990) stehen darin als ausdrückliche Charaktere im Vordergrund.
In Kontrast zu den »Zwingenden Geschichten« stehen die beiden anderen Kapitel der Ausstellung. In dem Raum »Archiv« werden den Museumsbesucher*innen durch Informationstafeln und Zeitzeug*inneninterviews die Lebens- und Arbeitsumstände von Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam, Mosambik oder Angola nahegebracht – ein bislang wenig erforschtes und im öffentlichen Erinnerungsdiskurs oft verdrängtes Kapitel der DDR-Vergangenheit. Im Unterschied zu den migrantischen Studierenden an Kunsthochschulen war der Alltag der Vertragsarbeiter*innen von strenger Reglementierung, abgeschotteten Wohnverhältnissen und tabuisierten Beziehungen zur mehrheitsdeutschen Bevölkerung geprägt.
Ein weiterer, aber gänzlich anderer Kontrast eröffnet sich auch zum dritten Raum der Ausstellung, »Re-Connect #3«: Hier sind fünf Nachwuchskünstler*innen präsentiert, die sich als Kinder von Vertragsarbeiter*innen oder Geflüchteten mit Installationsarbeiten zur Migrationsgeschichte der DDR positionieren. Dazu gehört neben Philipp Farra, Phuong Phan und Sarnt Utamachote auch die Fotografin Alina Simmelbauer, die in einer assoziativ angelegten Zusammenstellung archivarischer und privater Fotografien die Suche nach ihrem Vater dokumentiert. Dieser war als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen; der Kontakt zu seiner Tochter und seiner Frau war nach seiner Rückkehr nach Kuba jedoch abgebrochen. Großflächig gezogen, mit vielen weißen Lücken und wenig Überlappungen unter den Fotografien thematisiert Simmelbauer hier die Scham, Leere und Unwissenheit, die sich über die Liebesbeziehung ihrer Eltern in der DDR und ihr Verhältnis zu ihrem Vater gleichermaßen legten.
Minh Duc Pham hat seine Arbeit einem ebenfalls schambesetzten Aspekt in der Geschichte der Vertragsarbeit gewidmet: dem staatlich verordneten Zwang, bei Schwangerschaft entweder abzutreiben oder das Land zu verlassen. Interessant ist bei einer Gegenüberstellung der Künstler*innen aus der DDR mit dieser Nachfolgegeneration, wie sie sich aus dem ersten und dem letzten Raum der Ausstellung ergibt, dass im Werk der einen die eigene Migrationserfahrung hinter die Vielfältigkeit ästhetisch bearbeiteter Stoffe zurückzutreten scheint, während für die anderen die biografischen Bezüge zu ebenjener Migrationsgeschichte den expliziten Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeit bilden.
Eine spannungsreiche Ausstellung also, die das MdbK mit »Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland« der Leipziger Stadtgesellschaft dieser Tage vorstellt, und unbedingt empfohlen sein will.
»Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland«. Bis 10.9. im Museum der Bildenden Künste Leipzig, Katharinenstr. 10
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