Meilenstein für Taipeh

Taiwan sucht mit Abkommen auch wirtschaftlich mehr Nähe zu den Vereinigten Staaten

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein »Meilenstein« sei das, was Hsiao Bi-khim am 1. Juni unterschrieben hat. Die taiwanische Gesandte in Washington kam ins Schwärmen, als sie in der US-Hauptstadt ein Dokument abgesegnet hatte, das ihr Land in eine bessere Zukunft führen werde: »Ich freue mich auf eine Vertiefung des Handels«, ließ Hsiao über Twitter wissen. Grundlage für die Prognose: Die USA und Taiwan haben ein erstes bilaterales Handelsabkommen abgeschlossen, dem noch weitere folgen sollen.

Insofern könnte dieser Deal womöglich nicht nur für Taiwan ein Meilenstein sein: Mit den USA hat sich die weltweit größte Volkswirtschaft dazu entschlossen, die Wirtschaftsbeziehungen zu Taiwan, einer hoch industrialisierten, aber permanent in ihrer Existenz bedrohten Insel, auf ein solideres Fundament zu stellen. Der Pakt betrifft zunächst keine Zollbefreiungen, dafür aber Vereinfachungen in der Abwicklung des Handels. Eine zweite Auflage des Handelspakets, über die fortan verhandelt wird, soll weitere Themen beinhalten. In Taiwan hofft man zudem auf weitere Deals mit anderen Ländern.

Die Rolle Taiwans in der Weltwirtschaft ist eine besondere. Einerseits ist die 24 Millionen Einwohner zählende Insel südlich des chinesischen Festlands der wichtigste Produktionsstandort im Halbleitergeschäft und hat daher systemische Bedeutung für die Weltwirtschaft. Der wichtigste Handelspartner Taiwans ist nach China die USA, gefolgt von Hongkong, Japan und Singapur. Exporte machen rund 70 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aus.in

Allerdings könnte dieser Wert deutlich höher liegen. Denn von internationalen Handelsinitiativen wird Taiwan meist ausgeschlossen. Als etwa US-Präsident Joe Biden im Frühjahr 2022 sein »Indo-Pacific Economic Framework« präsentierte, mit dem er diverse Länder im Indopazifik an ein multilaterales Handels- und Sicherheitsregime binden wollte, blieb Taiwan außen vor. Der Grund hierfür war ganz offensichtlich Politik: Denn wäre Taiwan berücksichtigt worden, hätte dies für viel Wut in China gesorgt.

Ein Meilenstein für Taiwan ist der Pakt mit den USA auch, weil die autonom regierte Insel damit de facto einen etwas stärkeren Stand auf internationaler Bühne erhält. Seit Ende des chinesischen Bürgerkrieges im Jahr 1949, als die gegen die Kommunisten unterlegenen Nationalisten auf die Insel Taiwan geflohen und dort ihren eigenen Staat gegründet hatten, besteht ein Streit darüber, wer das rechtmäßige China sei: Die seither von Peking aus regierte Volksrepublik oder die in Taipeh ansässige Republik China.

Für Taiwan hatte dies auch deshalb schwerwiegende Folgen, weil sich die Insel und die Volksrepublik zwar einig waren, es gebe nur ein rechtmäßiges China, sich aber darüber stritten, wer dies sei. Dieses »Ein-China-Prinzip« erhielt praktisch internationale Gültigkeit, womit Taiwan mittlerweile für die meisten Staaten der Welt offiziell nicht existiert: Das Land, das seit den 1980er Jahren eine Demokratie ist und autonom regiert wird, ist von kaum einem Staat der Welt offiziell anerkannt.

Und indem die Volksrepublik mit ihrer Bevölkerung von gegenwärtig rund 60-mal so vielen Menschen wie Taiwan das wesentlich größere Marktpotenzial bietet, wagt auch kaum ein Staat, Taiwan offiziell zu legitimieren. Dies würde schließlich die Kommunistische Partei Chinas in Peking reizen, die ohnehin immer wieder damit droht, Taiwan notfalls unter Zwang einzunehmen. Taiwan ist daher kein UN-Mitglied und zählt ebenso wenig zu den meisten anderen internationalen Organisationen. In Taipeh befinden sich kaum Botschaften, nur wirtschaftspolitisch ausgerichtete Länderrepräsentanzen.

Die wirtschaftspolitische Dimension der Staatlichkeit dient Taiwan allerdings als Existenzabsicherung. So versucht die Regierung in Taipeh seit Jahren, Taiwan als Teil der Weltwirtschaft unentbehrlich zu machen. Das gelingt unter anderem durch den konkurrenzlosen Produktionssektor für Halbleiter – wenngleich mehrere westliche Staaten inmitten der Chipengpässe der vergangenen zwei Jahre dazu gedrängt haben, dass auch in Europa, den USA und Japan Fabriken gebaut werden. Auf großen Druck plant der Branchenprimus TSMC nun auch in Dresden eine Produktionsstätte. Ein weiterer Teil der ökonomischen Überlebensstrategie ist eine sektorübergreifende Integration Taiwans in den Welthandel. Denn je mehr sich andere Länder auf möglichst viele Produkte aus Taiwan verlassen, desto stärker könnten sie sich im Ernstfall einer Invasion Chinas auch dazu veranlasst sehen, Taiwan zu verteidigen. Und dass Taiwan diese Hilfe benötigen könnte, wurde dieser Tage wieder deutlich.

Schon bevor die USA und Taiwan den ersten Teil ihres Handelsvertrages abgeschlossen hatten, kamen aus Peking harsche Reaktionen. Es wurde davor gewarnt, jeden möglichen Pakt zu unterschreiben, »der die Konnotation der Souveränität oder eine offizielle Natur von Chinas Region Taiwan« habe. Die der Kommunistischen Partei Chinas nahe Zeitung »Global Times« prognostiziert zudem, dass Taiwans Halbleiterindustrie mit dem Deal in eine Falle der USA tappen werde, weil sie künftig verstärkt im Ausland investieren müsse – was den Standort Taiwan letztlich schwächen werde.

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