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Wettstreit um die Gunst Europas
Die libysche Regierung geht mit Drohnen gegen mutmaßliche Schleuser von Geflüchteten vor
Mit Drohnenangriffen hat die libysche Regierung Anfang vergangener Woche den seit mehr als zwei Jahren haltenden Waffenstillstand in dem ehemaligen Bürgerkriegsland Libyen gebrochen. Vier Tote und eine unbekannte Zahl an Verletzten zählten Krankenhäuser in Tripolis bis Freitag.
Doch die Angst vor einem Wiederaufflammen der Kämpfe zwischen der in Ostlibyen herrschenden »Libysch-Arabischen Armee« von Khalifa Haftar und den westlibyschen Truppen von Premier Abdelhamid Dbaiba ist nur gering. Denn die offenbar von türkischen Bayraktar-Drohnen abgeschossenen Raketen schlugen in dem Hafen Al-May in der westlibyschen Hafenstadt Al-Zawiya und in dem benachbarten Adschailat an der tunesisch-libyschen Grenze ein.
Ziele waren Treibstofflager und Hauptquartiere von Milizen, die laut Verteidigungsministeriums in Tripolis in Menschenhandel verwickelt sind und Migranten in unsicheren Booten nach Italien schicken. Man wolle Westlibyen von Menschen- und Drogenschmugglerbanden säubern und habe sieben Boote zerstört, so ein Armee-Sprecher.
Die Regierung von Dbaiba ist seit der 18-monatigen Belagerung der libyschen Hauptstadt durch Söldner der russischen Wagner-Gruppe, sudanesische Milizen und Haftars Armee mit der türkischen Armee verbündet. Türkische Bayraktar-Drohnen hatten die Angreifer in die Flucht getrieben und zu einem russisch-türkischen Stillhalteabkommen in Libyen geführt. Es ist unklar, ob mittlerweile libysche Piloten die in Tripolis stationierten Drohnen steuern.
Die Zerstörung von Farmen und Gebäuden der mächtigen Familie Buzriba deutet aus Sicht von politischen Beobachtern auch auf den Versuch Dbaibas hin, die Opposition zu schwächen. Das Mandat des ehemaligen Geschäftsmannes ist seit Ende 2021 abgelaufen. Der nach Ostlibyen geflohene Parlamentsabgeordnete Ali Buzriba aus Al-Zawiya gilt als scharfer Kritiker der Regierung in Tripolis und als Anhänger von Feldmarschall Khalifa Haftar. Die Milizen von Buzribas Cousins kontrollieren große Teile der Stadt mit 200 000 Einwohnern, die nur 30 Kilometer von Tripolis entfernt liegt.
Die einzige Ölraffinerie Westlibyens und Verbindungsstraße von Tripolis an die tunesische Grenze wurde nach den Drohnenangriffen von Bewaffneten aus Al-Zawiya besetzt. In der libyschen Hauptstadt kam es nach der Verhaftung eines Milizenkommandeurs der regierungstreuen Brigade 444 zu Feuergefechten mit der sogenannten Rada-Gruppe, die den internationalen Flughafen Maitiqa kontrolliert.
»Die Eskalation zeigt, wie instabil die Lage wegen der Anwesenheit vieler ausländischer Gruppen noch immer ist«, sagt der Journalist Muataz Mathi aus Tripolis. »Und das Schweigen in europäischen Hauptstädten nach den Drohnenangriffen interpretieren viele Libyer als klammheimliche Zustimmung.«
Mit dem militärischen Vorgehen gegen die westlibyschen Schmugglernetzwerke will die Regierung von Premierminister Abdelhamid Dbaiba offenbar die für die nächsten Wochen erwartete Ausreisewelle nach Italien stoppen. Mit der für Juni erwarteten stabilen Wetterlage ist das Mittelmeer auch für kleine Boote passierbar.
Zu den vielen Arbeitssuchenden aus Westafrika, die in Westlibyen auf einen Platz in einem Boot warten, sind in den vergangenen Wochen mehrere Tausend Flüchtlinge aus der umkämpften sudanesischen Hauptstadt Khartum hinzugekommen. Wegen der angespannten Lage in Westlibyen versuchen die aus dem Sudan und dem Niger kommenden Migranten, in die tunesische Hafenstadt Sfax zu gelangen, die Al-Zawiya als Hauptabfahrtsort für die Fahrt nach Italien abgelöst hat.
Doch von Sfax aus legen die Migranten und Flüchtlinge in notdürftig zusammengeschweißten Metallbooten Richtung Italien ab. Daher hat die Verlagerung der Migration von Libyen in das vermeintlich sichere Tunesien das Mittelmeer noch tödlicher gemacht. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind im ersten Quartal des Jahres mit 400 Opfern mehr Menschen als in den vorherigen sechs Jahren gestorben. Die tatsächliche Zahl dürfte nach Aussagen von Migranten jedoch wesentlich höher liegen.
Ähnlich wie Premier Dbaiba versucht der von Menschenrechtsorganisationen wegen Kriegsverbrechen in Tripolis kritisierte Khalifa Haftar mit der stark angestiegenen Migration am südlichen Mittelmeer ein politisches Comeback. Lange wurde Haftar von europäischen Diplomaten gemieden. Mitte Mai wurde der 79-jährige Feldmarschall mit allen Ehren in Rom und auf Malta empfangen. Danach ließ er ein in maltesischen Hoheitsgewässern entdecktes Fischerboot mit 500 Migranten aus Bangladesch und Ägypten in das ostlibysche Bengasi zurückschleppen. Das Ermittlungsverfahren des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag ist unter Diplomaten offenbar nun kein Thema mehr.
Lokale Journalisten aus Bengasi berichten verwundert, dass die Boote aus Ostlibyen allerdings gar nicht ohne die Zustimmung von Haftars straff organisierter Armee hätten ablegen können. Am vergangenen Wochenende stieg auch über den Verstecken von Menschenhändlern in Ostlibyen Rauch auf. Haftars Armee brannte Hütten und Boote bei Bengasi und Tobruk nieder. In einem Fußmarsch wurden mehr als 1500 Arbeitssuchende und Migranten aus Ägypten, Syrien und Bangladesch in einer großen Marschkolonne an die ägyptische Grenze getrieben. Doch die eigentlich mit Haftar verbündete ägyptische Regierung verweigert die Einreise.
Die Bürger der Hafenstadt Tobruk widersetzen sich erstmals den Befehlen der ehemals beliebten Armee. Eine nächtliche Ausgangssperre ignorierten viele, den Übernahmeversuch des zivilen Flughafens Labraq verhinderten Bewaffnete aus den umliegenden Orten. Ausgerechnet das Vorgehen gegen die unbeliebten Schmuggler zeigt, dass auch die Macht der zurzeit in Libyen Regierenden nur begrenzt ist. »Das Geschäft mit Migration ist einfach zu lukrativ, um es mit ein paar Bomben stoppen zu können«, vermutet ein Journalist aus Bengasi.
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