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11 282 Unterschriften für Autonomes Zentrum und gegen Moschee
Ungewöhnlicher Streit um Moscheebau könnte in Wuppertal zu Bürgerentscheid führen
Montagnachmittag, 15.20 Uhr, Mira Lehner und Jens Petersen von der von »Titanic«-Redakteuren gegründeten Die Partei eilen die Stufen zum Rathaus in Wuppertal-Barmen hoch. Beide tragen einen Karton voller Unterschriften. Diese sollen bis 15.30 Uhr bei dem im Wahlamt Zuständigen sein. Fristende für den angestrebten Bürgerentscheid ist zwar um 23.59 Uhr, aber große Kartons passen nicht in den Briefkasten.
Dass die Aktiven vom Bündnis »Gathe für Alle« am Ende über 11 000 Unterschriften zusammenbekommen würden, hatten viele von ihnen selbst nicht geglaubt. Ihr Vorhaben ist ungewöhnlich, ein politischer Konflikt, den es in dieser Konstellation in Deutschland noch nicht gab. Das Autonome Zentrum (AZ) soll sein Haus verlieren, es gehört der Stadt und steht auf einem Gelände, auf dem die lokale Ditib-Gemeinde eine Moschee bauen will.
Sind die Linksradikalen jetzt zu Moscheebaugegnern geworden? Nein, nicht prinzipiell, das betonen sie immer wieder. Kritik an diesem Plan haben sie trotzdem. Diese machen sie einerseits an der politischen Ausrichtung der Ditib fest, die der türkischen Religionsbehörde Diyanet untersteht und immer wieder in Skandale verwickelt war. Andererseits kritisieren sie die von der Stadt durch den Moscheebau erhoffte Aufwertung der Straße Gathe. Dort und im Umfeld kann man noch günstig wohnen. Mit der Moschee sollen Kioske, Shisha-Bars und Wettbuden sowie ihre Kundschaft von der Straße weichen. Die Stadt wünscht sich eine saubere Einfallstraße mit gehobenem Gewerbe und ebensolcher Bewohnerschaft.
Wie es jetzt im Streit zwischen AZ, Ditib-Gemeinde und Stadt weitergeht, ist nicht ganz klar. Für einen Bürgerentscheid über die Nutzung der Fläche reichen 10 600 Unterschriften, der Puffer von fast 700 Stimmen sollte also ausreichen, damit diese Voraussetzung erfüllt ist. Allerdings hält die Stadt Wuppertal einen Bürgerentscheid für unzulässig. 2013 gab es einen vom Rat beschlossenen Bebauungsplan, dafür habe es ausreichend Beteiligungsmöglichkeiten gegeben, so die Argumentation der Stadt. Das aktuelle Bürgerbegehren richtet sich allerdings gegen einen Zielbeschluss für den Moscheebau, der in diesem Frühjahr vom Stadtrat getroffen wurde. Vom Bündnis »Gathe für Alle« heißt es, dass man juristisch dagegen vorgehen werde, wenn der Rat das Bürgerbegehren nicht annimmt und keinen Bürgerentscheid veranlasst.
Die Unterstützer*innen des Autonomen Zentrums wollen außerdem den politischen Druck auf die Stadt hochhalten. Am Dienstagnachmittag veranstalteten sie parallel zur Ratssitzung eine Kundgebung vor dem Rathaus. In ihrem Aufruf schildern sie neueste Beobachtungen von der Gathe. Am Tag der Stichwahl um die türkische Präsidentschaft veranstaltete die Ditib, die noch in kleineren Räumlichkeiten in der Nähe des AZ untergebracht ist, ein Gemeindefest. Als Erdoğans Wahlsieg am Abend feststand, fuhr mehrmals ein Autokorso mit türkischen Fahnen über die Straße. Einzelne Gäste des Gemeindefests grüßten den Autokorso mit dem Wolfsgruß, dem Erkennungszeichen der faschistischen Grauen Wölfe. Verwunderlich ist das nicht, Anfang des Jahres hatte die Ditib in Wuppertal noch einen Historiker zu Gast, der den Völkermord an den Armenier*innen leugnet.
Der Stadtspitze machen die Autonomen den Vorwurf der Ignoranz. An der Gathe sei bisher niemand gewesen und habe sich die Sorgen der Anwohner*innen angehört. Man gebe sich gerne »demokratisch und menschenrechtskonform«, obwohl das überhaupt nicht mit der Politik der Ditib zusammenpasse. Die Stadt »giere nach der Kohle die Erdoğans Ditib verspricht«. Einer offenen Diskussion stelle man sich nicht.
Dabei wird in Wuppertal viel über das Moscheebauprojekt diskutiert. Am Dienstagabend (nach Redaktionsschluss) fand eine Debatte mit dem Islamismuskritiker Ahmad Mansour und Vertretern von Freien Wählern und Linke statt. Mit Spannung erwartet wird eine Veranstaltung des WDR am Donnerstag, bei der ein Vertreter des AZ sowie der Vorsitzende der Ditib auf dem Podium erwartet werden. Dort wird sich auch der Sozialdezernent der Stadt den kritischen Fragen stellen.
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