EU-Asylsystem: Aus den Augen, aus dem Sinn

Sølvi Nymoen von der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea-Eye über die Verschärfung des europäischen Asylsystems

  • Sølvi Nymoen
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Freitagabend strahlten die »Tagesthemen« einen Kommentar aus, vorgetragen von ARD-Korrespondentin Iris Sayram. Er ist eine Reaktion auf die frisch verabschiedete Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS), das die Sprecherin befürwortet. Leider. Denn die Reform ist eine Verschärfung des bestehenden Asylrechts, bei der Flüchtende aus als sicher geltenden Herkunftsländern zur schnelleren Überprüfung ihrer Chancen auf Asyl an den EU-Außengrenzen inhaftiert und einem Grenzverfahren ausgesetzt werden dürfen. Diese Verfahren sollen die individuellen Asylverfahren ersetzen, die flüchtenden Menschen zustehen.

Die Idee einer gesamteuropäischen Lösung, bei der sich die Staaten gegenseitig unterstützen, ist durchaus nachvollziehbar. Nur erfüllt sie aktuell nicht die Aufgabe, Schutzsuchenden ein gerechtes und zügiges Asylverfahren sowie ein Leben in Sicherheit zu ermöglichen, sondern mündet in der Abschottung Europas.

Sølvi Nymoen
Sølvi Nymoen ist bei der Berliner Regionalgruppe von Sea-Eye, einer zivilen Seenotrettungsorganisation, aktiv.

Sayram wirft die Frage auf, wie viele Flüchtende die deutsche Gesellschaft aufnehmen könne, ohne an »zu hohen moralischen Vorstellungen auseinanderzubrechen«. Dass die Menschenrechte hier als »moralische Vorstellungen« abgetan werden, ist bemerkenswert. Denn die im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg verabschiedeten Menschenrechte gelten per Definition für alle Menschen gleichermaßen, und es ist nicht ihr Anspruch, bequem zu sein. Die Menschenrechte flüchtender Menschen anzuerkennen, ist kein Zugeständnis aus Barmherzigkeit. Es ist die Umsetzung geltenden Rechts.

Sayram erklärt weiter, es sei leicht, eine humane Flüchtlingspolitik zu fordern, »wenn man vielleicht selbst nicht betroffen ist«. Es stimmt: Fordern ist leicht. Auch die Forderung nach einer restriktiven Abschottungspolitik ist leicht, wenn man nicht selbst auf der Flucht ist. Sayram begründet ihre Zustimmung zum GEAS damit, dass Menschenrechte in den Flüchtlingslagern längst preisgegeben worden seien. Ohne den neuen Beschluss würde lediglich der Status Quo bewahrt. »Wer Briefe schreibt und ein humanes Flüchtlingsrecht verlangt, der sollte das mitbedenken.«

Der ARD-Sprecherin scheint dabei nicht bewusst zu sein, dass sich Organisationen, die sich im Bereich Flucht engagieren, sich ebenfalls gegen den Status Quo aussprechen und das Sterben der Menschen auf der Flucht und die Zustände in den Lagern bekämpfen. Jedoch nicht, indem sie die Menschen inhaftieren, in Länder ausweisen, zu denen die Flüchtenden keine Verbindung haben, oder sie in deren Herkunftsland zurückschicken, aus dem sie aus gutem Grund geflohen sind. Sie setzen sich ein für verbesserte Umstände in den Lagern mit medizinischer Versorgung, für Bewegungsfreiheit, juristischen Beistand und somit zügigen Zugang zu Asylverfahren, die die Weiterreise innerhalb der EU ermöglichen. All diejenigen, die sich für eine humane Flüchtlingspolitik aussprechen, lehnen es ab, die Kälte Europas als unumgängliche Folge sogenannter Realpolitik hinzunehmen. Sie streben an, mit den beteiligten Staaten Lösungen zu finden, wie von allen Flüchtenden ein Asyl beantragt und ihnen ein Leben in Frieden und Würde ermöglicht werden kann.

Häufig wird als Argument für das GEAS angeführt, durch die neue Regelung würden sich weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen und somit nicht ihr Leben auf den gefährlichen Fluchtrouten riskieren. Das ist ein zynisches Scheinargument. Denn um diese Routen zu vermeiden, könnten auch legale Fluchtwege geschaffen werden. Menschen, die eine so risikoreiche Flucht auf sich nehmen, fliehen vor unmöglichen Lebensumständen. Sie werden sich kaum von einem weiteren Hindernis von der Flucht abbringen lassen.

Die Reform des GEAS löst also keine Probleme, sie verlagert sie nur außerhalb der EU-Grenzen. Und was Nancy Faeser ein bisschen wehtut, ist für Menschen auf der Flucht ein Schlag ins Gesicht.

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