Susi Claus: »Dann gibt’s nur noch Netflix statt Theater«

Susi Claus über das Gedenken an die Köpenicker Blutwoche als Puppentheater, das Schnatterinchen und die Sesamstraße und die Faszination ihrer Arbeit

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Puppen­spiel­künstlerin Susi Claus spielt das Schnatterinchen, das prominente Entchen aus dem DDR-Fernsehen.
Puppen­spiel­künstlerin Susi Claus spielt das Schnatterinchen, das prominente Entchen aus dem DDR-Fernsehen.

Frau Claus, wie sind Sie zum Puppenspiel gekommen?

Interview

Susi Claus, 47, ist diplomierte Puppen­spiel­künstlerin. Sie lebt und arbeitet in Berlin und übernimmt Engagements als Puppenspielerin, Regisseurin und Coach in Film- und Fernsehproduktionen sowie an Theaterhäusern im deutschsprachigen Raum.

Ich hatte schon immer eine Liebe zum Theater. Hier in Köpenick gab es dafür genügend Anregung, zum Beispiel durch das FEZ. Ich stand dort, in der DDR hieß es noch »Pionierpalast«, von der Unterstufe an auf der Bühne und das bis zum Ende der Schulzeit. Mit der Aufnahme zum Schauspielstudium hatte es aber nicht geklappt und ich bin in den hedonistischen Neunzigern, wo man ja quasi alles machen konnte, gereist, habe gejobbt und Praktika absolviert. Auf einer dieser Touren kam es mir in den Sinn, statt Schauspiel Puppenspiel zu studieren.

Was faszinierte Sie an dem Gedanken?

Mein romantischer Traum damals war, ich mache alles selber vom Bühnenbild über die Puppenherstellung bis zur Regie und dem Spiel. Es ist alles klein und überschaubar und ich fahre mit meinem VW-Bus übers Land.

Daraus wurde schnell ein Plan.

Ja, ich bin immer konsequent und will meine Ideen zügig umsetzen. Zurück in Berlin habe ich mir gleich ein Praktikum an der Schaubude, einer Puppentheaterbühne, besorgt. Es hatte geklappt und das Puppenspiel hat mich entzündet. Das gilt bis heute.

Was haben Sie aus dem Studium mitgenommen?

Da gibt es vieles. Das Studium war bis unter die Hutkante mit Angeboten vollgepfropft. Wir hatten genau wie die Schauspielstudentinnen alles – vom Fechten, Singen, Tanzen bis zum Sprechtraining. Dazu kam dann die Arbeit mit den verschiedenen Puppenarten, also mit Klappmaulpuppen, Hand- und Tischpuppen sowie mit Marionetten.

Wie funktioniert das mit der Animation?

Wir nennen es: die Arbeit mit dem Material, die Belebung toter Materie. Als Spielerin transformiere ich ja alles nach außen in meine Figur. Ich realisiere Bewegungen, Blicke, Atem und Sprache. Die Zuschauer*innen vollenden aber mit ihrem Denken und ihrer Phantasie den Prozess der Verlebendigung. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn die Kommunikation Spieler zu Puppe und Puppe zu Publikum stimmt. Wenn man handwerklich so trainiert ist, dass man nicht mehr mit der Frage beschäftigt ist, wie spiele ich jetzt diese Puppe, dann kommt man erst in den Flow.

Derzeit spielen Sie unter anderem das Schnatterinchen, das prominente Entchen des DDR-Fernsehens, das anlässlich des 60.Jubiläums des »Sandmännchens« 2019 wieder zu sehen war. Seit 2022 gibt es eine weitere Staffel im RBB.

Ich spiele sowohl das Schnatterinchen als auch Abby Cadabby, eine Hauptfigur in der Sesamstraße. Das ist nach über 30 Jahren meine kleine Wiedervereinigungsgeschichte.

Was hat sich am Schnatterinchen verändert?

Schnatterinchen hat sich inzwischen nicht nur äußerlich, sondern auch charakterlich verändert. Sie ist nicht mehr nur lieb und hilfreich als Korrektiv für den Kobold Pittiplatsch oder den Hund Moppi. Sie ist jetzt selbst auch mal frech und hat spaßige Ideen.

Wie war es am Theater Junge Generation in Dresden?

Toll! Wir arbeiteten mit hervorragenden Regisseuren, und in einem großen Ensemble zu spielen, war eine wichtige Erfahrung für mich. Es gab dort eine Puppenspielsparte für Kinder ab vier bis zum Erwachsenentheater. Ich wollte aber trotz des Komforts, den so ein Haus bietet, nach drei Jahren wieder fort. Ich hatte ja meinen Traum, freischaffend zu arbeiten.

Inwiefern birgt das auch Risiken?

Risikophasen gibt es wie bei allen Freischaffenden, vor allem besteht das Planungsrisiko. Und es braucht auch Talent fürs Unternehmerische. Das reine Spiel macht bei mir vielleicht 15 Prozent aus, der Rest ist Bürokram, die Fahrten, Akquise und so weiter. Das ermüdet manchmal. Trotzdem war mein Leben bislang aber nicht prekär. Und während der Corona-Beschränkungen konnte ich mich nach langer Zeit mal wieder inhaltlich richtig vertiefen, dank speziell eingerichteter Fördertöpfe vom Berliner Senat und Projektförderungen vom Bund. Ich hatte Glück mit einem Recherchestipendium.

Das hört sich gut an!

Ja, aber ich befürchte, dass sich unser Land diese Art der Kultur auf Dauer nicht mehr leisten kann oder will. Dann gibt’s nur noch Netflix statt Theater.

Verwenden Sie Puppen mehrfach?

Während einer aktuellen Inszenierung natürlich nicht. Dann haben sie erst mal eine Auszeit. Nach einer Weile können sie aber in eine neue Identität schlüpfen. Manche waren schon in vielen Rollen.

Eine Ihrer prominenten Figuren ist das »Apfelmännchen« …

Mein »Apfelmännchen« ist ein netter älterer Herr mit Schnauzbart aus dem gleichnamigen Kinderstück. Die Puppe ist aus Holz geschnitzt und unter ihrem »letzten Hemd« ist sie nackt, mit allem Drum und Dran. Ich hatte die Puppe schon mit in Belarus auf einem Workshop mit Lehrerinnen. Die haben sich unter viel Gelächter mit dem nackten Apfelmännchen fotografiert. Es war für sie ein kleiner subversiver Akt, weil die Figur sie stark an ihren Präsidenten erinnerte.

Was ist wichtig an der Arbeit mit Zeitzeugenaussagen und Dokumenten, die Sie für Ihre aktuelle Inszenierung »Wenn alles auseinanderfällt« zum Gedenken an die Köpenicker Blutwoche einsetzen?

Ich war zuvor noch nie in einem Archiv und nun saß ich da vor Originaldokumenten, zum Beispiel einem Polizeibericht von 1933, mit Füller geschrieben. Plötzlich rückt das vergangene Geschehen so nah und wird noch einmal anders als in einem Buch, menschlich verstehbar. Es gibt viele Archive und viele Zeitzeugenberichte, aber die Erinnerungen bleiben auch tot, wenn sie keiner nutzt.

Warum die »Köpenicker Blutwoche«, ein NS-Verbrechen am Stadtrand, das sich im Juni 1933 zugetragen hat?

Ich habe die Recherchen und die Inszenierung zusammen mit meiner Nachbarin, der Bildhauerin Stefka Ammon, erarbeitet. Wir haben regelmäßig über das Thema Zeitzeugen gesprochen und sie hat schon oft an Themen der Erinnerungskultur gearbeitet. Ich wiederum bin in Köpenick geboren und aufgewachsen und kannte zwar das Mahnmal, hatte mich aber nie damit beschäftigt. Aber das ihm zugrundeliegende Ereignis betrifft uns vor der Haustür. Mit einem Mal war uns klar, wir müssen mit unseren Mitteln darüber sprechen, welchen Terror es schon gleich 1933 gab. Es war so unvorstellbar, wie schnell hier in vertrauten Nachbarschaften mit Brötchendienst und Gärten der Zivilisationsbruch geschehen konnte.

Warum haben Sie sich für die Inszenierung auf die Frauen fokussiert?

Die Berichte waren oft von Frauen, die ja die Hinterbliebenen der Opfer waren – Schwestern, Töchter, Mütter, Ehefrauen. Sie stehen nicht auf den offiziellen Listen und sind trotzdem Opfer. Da ist zum Beispiel die Frau, die das Blut ihres gefolterten und erschlagenen Mannes am nächsten Morgen wegwischen muss, oder das Kind, das allein mit seiner Katze nachts durch den Wald zu Bekannten läuft.

Funktioniert das Erzählen über den Gewaltakt mit Puppen?

Die Frage hatten wir uns auch gestellt. Aber es funktioniert erstaunlich gut, wie die Probeaufführungen im vorigen Jahr gezeigt haben. Wir haben die Originalberichte nicht mit Tränen und Geschrei inszeniert. Ich lese die Dokumente und die Figur schaut dann vielleicht nur auf oder es gibt einen Wechsel vom Präteritum ins Präsens. Wir haben vier Protagonistinnen ausgewählt, die wir mit vier verschiedenen Köpfen verschiedenen Alters, aber mit nur einem weiblichen Körper spielen. Es geht dabei nicht um Porträts. Die Zuschauer*innen dürfen sich fragen, ist das jetzt die historische Person oder jemand, der heute lebt.

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