Stationäre Versorgung: Bessere Qualität – und trotzdem nah

Medizinische Spezialisierung in Leistungsgruppen als Argument für die Krankenhausreform

Ist es ein Umbruch oder gar eine Revolution, vor der die Krankenhauslandschaft hierzulande steht? Während Experten das eher sachlich ausdrücken, tendieren verantwortliche Politiker, an der Spitze Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schon zur euphemistischen Umschreibung. Potenziellen Patienten dürfte nicht so viel daran liegen, dass ihre Behandlung eine Zeitenwende markiert: Sie wollen in der Nähe ihres Wohnortes und in guter Qualität versorgt werden.

Aber nur zu diesen beiden Faktoren präzisere Aussagen treffen zu wollen, ist nicht trivial. Zudem findet die stationäre Versorgung nicht im luftleeren Raum statt, es müssen ausreichend Fachkräfte bereitstehen: in der Pflege, bei den Ärzten und in weiteren technischen und therapeutischen Berufen. Hier warten nicht Tausende in der Arbeitslosigkeit auf frei werdende und vielleicht besser bezahlte Stellen, auch das ist klar. Eher wollen große Teile der Beschäftigten, wie insgesamt in der Volkswirtschaft, in wenigen Jahren in Rente gehen.

Ein Krankenhaus muss zudem in der Lage sein, mit den Erlösen aus den Behandlungsfällen seine Energierechnung und noch viel mehr zu bezahlen, etwa neue Technik, einen Anbau, ein weiteres Labor.

Für die voraussetzungsreiche Neustrukturierung des Sektors sind mehr Spezialisierung und Qualität gefragt – aber wie lässt sich beides sichern? Ein Mechanismus, der neu eingeführt werden soll, sind sogenannte Leistungsgruppen. Jeder Fall, jede Operation oder Behandlung soll eindeutig einer solchen Gruppe zugeordnet werden. Diese Gruppen sind absehbar enger gefasst als etwa die bisher bestehenden Fachabteilungen wie Kardiologie oder Innere: Es gäbe dann eine für Herzklappen und eine für die Koronargefäße, erläutert Christian Karagiannidis, leitender Oberarzt in einer Kölner Klinik, Internist und Intensivmediziner, der vielen aus der Pandemiezeit bekannt sein dürfte. Der Arzt gehört aktuell auch zur Regierungskommission, die zur Krankenhausreform berät.

Bei den Leistungsgruppen orientiert sich das absehbare Reformkonzept der Bundesregierung an Nordrhein-Westfalen, wo etwas Ähnliches bereits erarbeitet wurde. Mit der neuen Unterteilung soll gesichert werden, dass überall Versorgung in gleicher Qualität geboten wird. Medizinische Fachgesellschaften sind laut Reinhard Busse von der TU Berlin schon dabei, die jeweiligen, unter anderem personellen, Anforderungen für die einzelnen Leistungsgruppen zu definieren. Die umfassen dann zum Beispiel, wie viele verschiedene Fachärzte und Pflegekräfte jederzeit bereitstehen müssen.

Zu den Leistungsgruppen gehöre aber auch, welche weiteren notwendigen Abteilungen im Krankenhaus bereitzuhalten wären, zum Beispiel Notaufnahme und Intensivstation. Laut Busse sind die bisher schon für viele Gebiete vorhandenen Zentren (am besten zertifizierte) eine Entwicklung in die gleiche Richtung. Für die spezialisierten Zentren spricht, dass die Patienten hier eine deutlich geringere Sterblichkeit aufweisen.

Ähnlich sieht es zum Beispiel bei Abteilungen wie den Stroke Units aus, die auf die schnelle Behandlung und frühe Rehabilitation von Schlaganfällen spezialisiert sind. »In Deutschland zählen wir etwa 600 Schlaganfälle am Tag, die in insgesamt 1100 Krankenhäusern behandelt werden können. Von diesen haben nur 328 eine zertifizierte Stroke Unit, weitere 150 noch ›irgendeine‹ dieser Einheiten. Von den Patienten, die in einer Stroke Unit behandelt wurden, sind 23 Prozent nach einem Jahr verstorben, von denen, die ohne eine solche versorgt wurden, sind das 30 Prozent.« Argumente dieser Art hat Gesundheitsökonom Busse einige zu bieten. Sie laufen darauf hinaus, dass Spezialisierung eine bessere Versorgung ermöglicht.

Eine entscheidende Frage für die Akzeptanz der Reform ist die Transparenz solcher Zusammenhänge, auch bei Betrachtung einzelner Kliniken. Karagiannidis möchte für die Patientensteuerung in die stationäre Behandlung die Hausärzte stärker einbeziehen. Der Mediziner setzt Hoffnungen auf das von Minister Lauterbach geplante Transparenzportal, in dem die Krankenhäuser mit ihren Leistungsgruppen abgebildet wären. »Wenn man dort auch Personalstärke und Ergebnisqualität ablesen könnte, wäre das sehr gut. In den USA ist das üblich«, so der Kölner Arzt. Zugänglich sein sollten die Daten aber nicht nur Haus- und Fachärzten, sondern auch Patienten.

Wie wird es in Zukunft mit der Erreichbarkeit der Krankenhäuser aussehen? Boris Augurzky, Gesundheitsökonom am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen verweist auf eine Simulation, in der die Reduzierung der Kliniken in Bezug auf bestimmte Eingriffe errechnet wurde. So würden in Berlin etwa Hüft-Endoprothesen nur noch in 21 statt bislang 34 Häusern angeboten. In Mecklenburg-Vorpommern würde die Zahl der Anbieter von 21 auf 19 sinken.

»Von einem Kahlschlag kann keine Rede sein«, meint Augurzky. »Aber Personal brauchen auch die verbliebenen Einrichtungen. Das ist die eigentliche Herausforderung.« Der Ökonom verweist darauf, dass schon jetzt bei Umstrukturierungen auch auf die Personaldaten der Beschäftigten geschaut werde, etwa danach, wie lang ihr Weg zur Arbeit sei. Fachkräfte wären zu medizinischen Zentren vielleicht länger unterwegs. »Andererseits ermöglicht ein größeres Krankenhaus auch eine bessere Dienst- und Urlaubsplanung.« Augurzky befürchtet bei ausbleibender Reform, dass die Situation auf eine Rationierung von Krankenhausleistungen hinauslaufen könnte. Die Chance müsse genutzt werden, die Häuser an die seit der Pandemie gesunkene Zahl von Behandlungsfällen anzupassen und das vorhandene Personal überlegt einzusetzen.

Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern wollen sich erneut am 29. Juni zur nächsten und voraussichtlich entscheidenden Beratungsrunde treffen. Indessen wurde am Dienstag bundesweit die angespannte wirtschaftliche Situation und wachsende Insolvenzgefahr auf einem Protesttag der Krankenhäuser und ihrer Beschäftigten thematisiert. Erneut wurde die Forderung nach einem Inflationsausgleich gestellt – ohne diesen könnten vielen Kliniken noch vor der Reform das Geld ausgehen. In den vergangenen zwei Jahren sind deren Personal- Material- und Energiekosten um rund 20 Prozent gestiegen, die Preise für eine Krankenhausbehandlung allerdings nur um knapp 7 Prozent.

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