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Konferenz zur Armutsbekämpfung: Die Billionenfrage
Beim Gipfel in Paris geht es um eine neue Finanzarchitektur in Zeiten der Klimakrise
Es geht ums große Ganze: Nichts weniger als ein »neuer globaler Finanzpakt« soll bei einem Gipfeltreffen an diesem Donnerstag und Freitag in Paris vorbereitet werden. Rund 50 Staats- und Regierungschefs haben ihr Kommen angekündigt, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz und Brasiliens Präsident Lula da Silva. Vertreter der großen internationalen Finanzinstitutionen werden dabei sein, ebenfalls private Geldgeber wie Melissa Gates, aber auch viele NGO-Vertreter und die Klimaaktivistin Greta Thunberg. »Der Kampf gegen Armut, die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft und der Erhalt der Artenvielfalt sind eng miteinander verbunden«, sagte Frankreichs Präsident und Gastgeber Emmanuel Macron im Vorfeld.
Die Idee stammt indes aus einem ganz anderen Teil der Welt: Barbados. Die Regierung der klitzekleinen Karibik-Insel hatte die nach der Hauptstadt benannte Bridgetown-Initiative gestartet. Diese enthält fünf konkrete Vorschläge, die »einzeln innerhalb von 18 Monaten umsetzbar sind und zusammengenommen das globale Finanzsystem sinnvoll umgestalten werden, um besser auf die Klima- und Entwicklungskrise reagieren zu können«, wie es darin heißt. Die charismatische Labour-Premierministerin Mia Mottley stellte die Initiative beim UN-Klimagipfel in Glasgow Ende 2021 vor. Schnell schlossen sich zahlreiche Länder aus Süd wie Nord an, darunter Frankreich.
Der Ansatz ist naheliegend: Die Finanzfrage ist seit vielen Jahren Konfliktthema bei den Klimagipfeln und fiel nicht selten hinten runter, sehr zum Ärger der »verwundbarsten Länder« im globalen Süden. Das bereits 2009 gegebene Versprechen der Industriestaaten, 100 Milliarden Dollar pro Jahr für Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen in armen Ländern bereitzustellen, wird immer noch nicht eingehalten; 2025 soll es nun soweit sein. Die Summe wird dabei den Erfordernissen nicht annähernd gerecht, und es braucht zudem Mittel für weitere Bereiche wie Entschädigungen bei Naturkatastrophen und den Schutz der Artenvielfalt.
Die Zeit für Fortschritte ist indes günstig, nicht nur, weil die Klimafrage in den internationalen Beziehungen zunehmend in den Vordergrund rückt. Auch wird ohnehin seit geraumer Zeit an einer Reform von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank gearbeitet. Zudem spielen neue Player wie die Brics-Gruppe und vor allem China eine wichtige Rolle in der Entwicklungsfinanzierung. Gleichzeitig drohen im Gefolge der Corona-Pandemie die UN-Ziele zu Nachhaltigkeit und Armutsreduzierung bis 2030 krachend zu scheitern, und am Horizont taucht die Gefahr einer neuen Schuldenkrise im globalen Süden auf. »Die bestehende Finanzarchitektur spiegelt die geopolitische Realität von vor 80 Jahren wieder. Sie ist den Herausforderungen unserer Zeit nicht gewachsen«, sagt David Ryfisch von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. »In Zeiten von Rekordgewinnen für fossile Konzerne, enormen Investitionsbedarfs in den Klimaschutz und sich zuspitzender Auswirkungen der Klimakrise brauchen wir ein neues Paradigma für die Finanzarchitektur.«
Es geht dabei um Billionensummen, die mit den herkömmlichen Finanzierungswegen nicht annähernd zu bewältigen sind. Zumal viele arme Länder unter hoher Schuldenlast leiden und kaum Mittel zu halbwegs günstigen Konditionen mobilisieren können. Dabei werden sie am härtesten vom Klimawandel getroffen, obwohl sie selbst nur wenig zum CO2-Ausstoß beitragen. Ganz Afrika etwa hat aktuell einen Anteil von nur vier Prozent daran.
Die Bridgetown-Initiative hat hierfür Lösungen. So wird die Schaffung eines Klimaschutzfonds im Umfang von einer halben Billion Dollar gefordert, der sich aus nicht genutzten IWF-Sonderziehungsrechten der Industriestaaten speist und auf den Kapitalmärkten weitere Mittel beschafft. So könnten 2,5 bis 5 Billionen Dollar etwa in den Ausbau der Erneuerbaren gelenkt werden. Ferner sollen die multilateralen Entwicklungsbanken zinsgünstige Kredite im Umfang von einer Billion bereitstellen. Eine Abgabe auf die Produktion fossiler Brennstoffe oder eine internationale Kohlenstoffgrenzsteuer könnten bei der Bewältigung von Klimaschäden helfen, die besonders die tropischen Länder treffen. Ferner sollen verbindliche Kreditklauseln ermöglichen, dass bei externen Schocks wie Naturkatastrophen oder einer Pandemie Zinszahlungen ausgesetzt werden.
Die Vorschläge aus Barbados werden seither intensiv diskutiert. Auf Regierungsebene bei den Klimagipfeln, im Rahmen der G7- und G20-Staatengruppen, bei UN-Vollversammlungen und den halbjährlichen Treffen von IWF und Weltbank. Parallel macht die Zivilgesellschaft bei ihren Großveranstaltungen Druck. Die Entwicklungsorganisation One hat die Kampagne »FundTheFuture« gestartet, Oxfam berechnete in einer Untersuchung den tatsächlichen Finanzbedarf armer Länder und machte sich in einer anderen Publikation für eine deutlich höhere Besteuerung der Superreichen stark, um internationale Ungleichheit bekämpfen zu können.
Beim Gipfel in Paris soll nun erstmals Bilanz gezogen werden, wobei die Bridgetown-Vorschläge nur ein Teil der Agenda sind. Es geht um »eine Bestandsaufnahme aller Mittel und Wege zur Stärkung der finanziellen Solidarität mit dem Süden«, heißt es offiziell. Viel ist von »innovativen Finanzierungswegen« die Rede. Dazu zählt die Mobilisierung privater Investitionen für eine grüne Wende, worauf etwa afrikanische Staaten drängen. Auch Schuldenerleichterungen und die von Frankreich traditionell unterstützte Finanztransaktionssteuer sollen Thema sein. Konkrete Fortschritte könnte es bei den Diskussionen über eine CO2-Steuer für die Seeschifffahrt geben. Inhaltliche Vereinbarungen wird es in Paris sonst noch nicht geben. Gastgeber Frankreich hofft, dass sich die Teilnehmer auf einen »Fahrplan« mit weiteren Schritten einigen. Beschlüsse könnten beim geplanten UN-Zukunftsgipfel im September 2024 in New York getroffen werden.
Viel wird vom Verhalten der Europäer sowie vor allem der beiden weltwirtschaftlichen Elefanten abhängen: Die USA sind seit langem skeptisch, wenn es um internationale Finanzzusagen geht. Und Großfinancier China gibt sich bei solchen Anlässen noch immer gerne als Entwicklungs- und nicht als Geberland. Bei der CO2-Steuer für die Schifffahrt bremsen bisher die Exportmächte Argentinien und Brasilien. Und auch Entwicklungsländer haben unterschiedliche Prioritäten, wie Mavis Owusu-Gyamfi vom African Center for Economic Transformation erläutert: Während es den Inselstaaten vor allem um die Frage der Schäden und Verluste geht, stehen für Subsahara-Afrika Liquidität und Entschuldung im Vordergrund. Die wichtige Frage sei daher: »Können wir uns hier auf eine Koalition einigen?«
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