Verrohte Verkehrswege

Panzerbikes und Egoräder: In Radtrends spiegeln sich aggressive Verhältnisse

Rad fahren als friedliche Alternative? Die Aggression im Straßenverkehr macht auch vor Zweiradfahrenden keinen Halt.
Rad fahren als friedliche Alternative? Die Aggression im Straßenverkehr macht auch vor Zweiradfahrenden keinen Halt.

Auf den Straßen geht es immer aggressiver zu. Längst haben sich Autos vom Schutzraum individueller Mobilität auf den gesellschaftlichen Verkehrswegen zu Panzern entwickelt: wuchtige SUVs für den fantasierten Einsatz im Gelände oder technisch hochgerüstete Mittelklassewagen, die bevorzugt in matten Grau- oder Olivlackierungen ausgeliefert werden (bis vor einiger Zeit noch militärischen Fahrzeugen gesetzlich vorbehalten). Die Aufrüstung verschärft die Aggression. Denn der Widerspruch des bürgerlichen Versprechens auf individuelle Freiheit wächst, wenn man auf dem Weg zur Lohnarbeit im Stau steht, der Klimakleber das gesellschaftliche Überich aufdrängt – oder: wenn der unterlegene, schwächliche Fahrradfahrer wieder einmal seine geheime Allmacht spielen lässt und sich nach vorne an die Ampel drängelt, nebeneinander auf der Straße fährt und für die Abschaffung von Parkplätzen lobbyiert.

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Aus diesen aggressiven Projektionen sprechen aggressive gesellschaftliche Verhältnisse. Was machen jene Verhältnisse mit denen, die nicht ins Auto, sondern auf das Fahrrad steigen? Auch wenn das Fahrrad von sich aus ein gesellschaftlicheres Transportmittel ist – weder dichtet man sich nach außen ab noch befördert es maschinellen Größenwahn –, hat es sich der Verrohung angepasst. Am deutlichsten ist das Mountainbike zum panzerähnlichen Gefährt geworden. An neuesten Modellen ist der Rahmen kein Gerüst mehr aus Stangen, sondern besteht aus dicken, sich verjüngenden Balken in grau, schwarz oder braun. Die bis zum Fat Tire angewachsenen Reifen wirken martialisch.

Trotz der optischen Anspielungen taugt das Mountainbike nicht zum Kampfpanzer. Vielmehr verheißt es den Ausbruch aus der Zivilisation, also jederzeit auch einfach in den Wald und vom nächsten Berghang zu brettern. Das Rad ist also an sich schon eine Kampfansage an den gesellschaftlichen Verkehr und damit tendenziell das Fahrrad derjenigen, die sich nach der gesellschaftlichen Zurichtung durch Bürojob und Kleinfamilie auf Youtube millionenfach geklickte Survival- oder Preppervideos anschauen.

Während das Mountainbike also sagt, dass man am zivilisierten Verkehr miteinander eigentlich nicht teilhaben will, finden sich ähnliche Entwicklungen auch am Trekkingrad: die optimierten Allrounder sind ebenfalls dicker, schwerer und dunkler geworden. Trekkingräder sind das Äquivalent der Funktionsjacke, mit wasserdichten Umhänge-Fahrradtaschen und Tachometer; das Rad der Schlauen, die sich mit Kindererziehung, Bioernährung und Steuertricks gleichermaßen auskennen. Hier ist das Fahrrad nicht Ausdruck der Zivilisationsverachtung, sondern der Überlegenheit. Vom Gravelbike, also das auf Geländewege optimierte Rennrad, bis zum stadttauglichen Tourenrad materialisiert sich hier eine bürgerliche Selbstgewissheit.

Die Aggression im Straßenverkehr sucht sich entsprechend den Umweg über die Moral, sie wird passiv-aggressiv. In dem Wissen, dass die Karre auf der Nebenspur sie im Zweifelsfall einfach überfährt, provozieren die Radfahrenden die Konfrontation als moralische Gewinner, empören sich über vergessene Schulterblicke und parkende Autos auf dem Fahrradweg oder stellen gleich Videos davon in die sozialen Netzwerke.

Aber mit dieser Abschätzigkeit lüge ich mir in die eigene Tasche. Ich habe selbst genug Erfahrung mit Aggression im Straßenverkehr – der eigenen und die der anderen. Als urbaner, linker Millenial fahre ich standesgemäß Rennrad, selbstverständlich nicht aus aktuellen Kollektionen – die den Trend zum dicken farblosen Rahmen teilen und ohnehin zu teuer sind –, sondern Retro. Die meist bunt verzierten Stahlrahmen aus den 1980er oder 90er Jahren werden entweder in eigene Räder umgebaut oder zum Unikat, möglichst nahe am Original, erhalten. Das damit verbundene Bedürfnis nach Individualisierung überträgt sich auch auf die Nutzung: Das Rennrad ist schnell und agil, widersetzt sich purer Funktionslogik (keine Schutzbleche, keine Lichtanlage), ist für mindestens die Hälfte der Straßenbeläge ungeeignet (und bedarf daher der individuellen Routenführung) und fordert eine Leistung, die an Autoaggression grenzt.

Da ich auf dem Rennrad in der Stadt mit der Geschwindigkeit von Autos annähernd mithalten kann und des glatten Asphalts halber um den Platz auf der Fahrbahn konkurrieren muss, sublimiere ich Aggression zum Wettkampf. Passend dazu ist das Rennrad ursprünglich Sportgerät, aber Sport ist eben Kriegsersatz. Mein kompaktes Bügelschloss steckt am Gürtel oder der Hosentasche und ich kann damit jederzeit wie ein Hammer dem Kontrahenten den Rückspiegel abschlagen.

An sich selbst die Aggression im Straßenverkehr zu beobachten und zu kritisieren, ist der erste Schritt weg davon. Die Aggression drückt schließlich ein geteiltes Leiden aus. Überall, wo Individualität auf Bedingungen einer feindlichen Umwelt trifft, wird Selbstbehauptung aggressiv. Das kann man schwer den individuellen Verkehrsteilnehmenden ankreiden. Frieden auf gesellschaftlichen Verkehrswegen gibt es nur durch Gleichheit: auf Wegen, die nicht zur Arbeit führen, Straßen, die keine Hierarchien pflastern, und zwischen Individuen, die keine Angst voreinander haben müssen.

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