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Fahrplan für Finanzumbau
Gipfel in Paris befürwortet Weltbank-Reform und Katastrophenklauseln bei Krediten
Das internationale Finanzsystem steckt in einer Krise», sagte UN-Generalsekretär Antonio Guterres beim am Freitag in Paris zu Ende gegangenen Finanzgipfel. «52 Länder sind bankrott oder gefährlich nahe dran. Dazu gehört die Mehrheit der ärmsten Länder und die Mehrheit der 50 Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind.»
Knapp 40 Staats- und Regierungschefs, zur Hälfte aus Afrika, sowie die Vertreter Dutzender weiterer Staaten, die Chefs der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) waren nach Paris gereist, um den Anstoß zu geben für die Schaffung eines «neuen globalen Finanzpakts». Dass dieser dringend erforderlich ist, betonte auch der UN-Chef: «Es ist klar, dass die internationale Finanzarchitektur bei ihrer Aufgabe versagt hat, ein globales Sicherheitsnetz für die Entwicklungsländer zu schaffen.»
Bei dem informellen Treffen wurde ein Fahrplan erarbeitet, was in den kommenden Monaten im Rahmen der G20-Staatengruppe, der Jahrestagung von Weltbank und IWF sowie der UN-Klimakonferenz in Dubai passieren soll. Das weltweite Finanzsystem solle effizienter und gerechter gestaltet werden, mit mehr Mitteln für den Kampf gegen Armut und Klimawandel, hieß es zum Abschluss. Teilnehmende Länder verständigten sich überdies auf eine Reform der Weltbank und der weiteren Entwicklungsbanken. Diese setzt auf mehr Kooperation, zusätzliche Gelder sowie einen neuen Umgang mit der Klima-Verletzlichkeit von Ländern wie den Inselstaaten.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
«Wir haben nur diesen Planeten, wir müssen zusammenarbeiten, um ihn zu verbessern», sagte Mia Mottley, Premierministerin des karibischen Inselstaats Barbados. Sie forderte in Paris einen tiefgreifenden Umbau der internationalen Finanzarchitektur. Solch weitgehende Forderungen wurden hauptsächlich von anderen Vertretern aus dem globalen Süden geteilt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wiederum rief dazu auf, Steuern auf Finanztransaktionen, auf CO2-Emissionen von Flügen und der Schifffahrt in möglichst vielen Ländern einzuführen. «Internationale Steuern in einzelnen Ländern reichen nicht», sagte er.
Bundeskanzler Olaf Scholz schlug den Aufbau von grünen Wertschöpfungsketten im globalen Süden vor. Die Ressourcen für eine Klimatransformation dürften nicht mehr von dort entführt und dann im globalen Norden verarbeitet werden. Dies wurde von vielen Regierungschefs aus Entwicklungsländern begrüßt. Die Umweltorganisation Germanwatch sprach von einem «potenziellen Wendepunkt zu mehr Gerechtigkeit und besseren Entwicklungschancen». Scholz werde nun daran gemessen werden, «inwieweit dieses neue Partnerschaftsmodell Realität wird».
Allgemeine Zustimmung gab es in Paris zu dem Vorschlag, in internationale Kreditverträge sogenannte Katastrophenklauseln einzubauen. Erfunden hat diese Idee Barbados. Als man bei einer Umschuldung im Jahr 2019 neue Anleihen ausgab, wurde diese mit einem Passus versehen, dass der Schuldendienst für zwei Jahre ausgesetzt wird, wenn der Inselstaat von einer klimabedingten Katastrophe heimgesucht wird. Er wurde bisher im Durchschnitt alle 26 Jahre von einem Hurrikan getroffen. Sollte dies wieder passieren, kann Barbados die freigewordenen Mittel, die rund 18 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes betragen, für die Bewältigung der Schäden verwenden. Die Katastrophenklauseln sind denn auch Teil von Mia Mottleys «Bridgetown-Initiative». Diese umfasst Vorschläge zur Reform des internationalen Finanzsystems, über die auch in Paris beraten wurde.
IWF-Direktorin Kristalina Georgieva konnte beim Gipfel einen Erfolg verkünden: Im Jahr 2021 hatte der Währungsfonds Sonderziehungsrechte (SZR) im Wert von 650 Milliarden Dollar an seine Mitgliedsländer zur Bewältigung der Corona-Pandemie verteilt. SZR sind eine Art künstliche Währungsreserve. Da sich der Anteil, den jedes Land bekommen hat, an der Wirtschaftsleistung bemisst, bekam allein Deutschland Sonderziehungsrechte im Wert von 30 Milliarden Dollar, ganz Afrika hingegen nur im Wert von 28 Milliarden. Wegen dieses extremen Ungleichgewichts versprachen die G20-Staaten, SZR im Wert von 100 Milliarden Dollar an ärmere Länder abzugeben. Diese Summe dürfte nun erreicht werden, wie Georgieva mitteilte. Frankreich und Japan wollen 40 Prozent ihrer SZR abgeben und viele andere Industriestaaten etwas weniger. Unklar ist allerdings, ob die USA ihre Zusage einhalten können. Washington kündigte an, SZR im Wert von 21 Milliarden Dollar zu den 100 Milliarden beizusteuern. Dem muss der republikanisch dominierte US-Kongress zustimmen.
Wenig Unterstützung gab es hingegen für den Vorschlag aus der Bridgetown-Initiative, einen Fonds zur Absicherung von Wechselkursrisiken für Klimaschutzprojekte zu schaffen. Entwicklungsländer beheimaten zwar 42 Prozent der Weltbevölkerung, tätigen aber nur sieben Prozent der Investitionen in erneuerbare Energien. Und so produzieren etwa die Niederlande allein mehr Solarstrom als alle afrikanischen Länder südlich der Sahara zusammen. Der Hauptgrund ist, dass Entwicklungsländer Mühe haben, privates Kapital für die Investitionen in Solar- und Windkraftwerke zu mobilisieren. Da die Einnahmen aus dem Stromverkauf in der lokalen Währung anfallen, entsteht ein beträchtliches Wechselkursrisiko, das sich in vielen Fällen gar nicht oder nur sehr teuer absichern lässt. Der Ökonom Avinash Persaud aus Barbados, kreativer Kopf der Bridgetown-Initiative, schlägt daher vor, der IWF und die Weltbank sollten einen Fonds schaffen, der eben jenes Wechselkursrisiko von Investitionen in Erneuerbare absichert.
Immerhin gab es am Rande des Gipfels Neuigkeiten für zwei afrikanische Länder: Sambia hat sich endlich mit seinen Gläubigern auf eine Umschuldung geeinigt. Das Land war im Jahr 2020 zahlungsunfähig geworden, aber die Verhandlungen insbesondere mit China zogen sich in die Länge. Des Weiteren stellen einige EU-Länder sowie Kanada dem westafrikanischen Land Senegal 2,7 Milliarden Dollar zur Verfügung, um den Anteil der Erneuerbaren von 10 auf 30 Prozent des Stromverbrauchs bis zum Jahr 2030 zu steigern.
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