Hausdurchsuchung bei »Pudding«

Gegen einen Grimmaer Sozialarbeiter wird aufgrund von Tweets zum Leipziger Kessel ermittelt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Tobias »Pudding« Burdukat bei einem Zukunftskongress 2020 im Dorf der Jugend in Grimma
Tobias »Pudding« Burdukat bei einem Zukunftskongress 2020 im Dorf der Jugend in Grimma

Die Ermittler standen am Bahnhof, als Tobias »Pudding« Burdukat von einem Seminar kam, das er gehalten hatte. »Jugend – Gefahr, Risiko oder Chance« hieß es. Der 40-jährige Sozialarbeiter aus Grimma würde immer für letzteres plädieren. Er gründete vor knapp zehn Jahren in der ehemaligen »Spitzenfabrik« der sächsischen Kleinstadt das »Dorf der Jugend«, in dem es Angebote für Freizeit und demokratische Bildung gibt, und wurde für sein Engagement seither vielfach ausgezeichnet, mit dem Demokratie-Preis der Amadeu-Antonio-Stiftung etwa und mit der »Goldenen Henne« des MDR in der Kategorie »Charity« (Wohltätigkeit). 2022 wurde das »Dorf der Jugend« von Katja Meier (Grüne), der sächsischen Ministerin für Justiz, zum »Ort der Demokratie« ernannt.

Jetzt hat Burdukat mit eben dieser Justiz ein dickes Problem. Die Ermittler werfen ihm »gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten« vor. Das kann mit Geldbuße oder bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Seine Wohnung wurde durchsucht, sein Handy beschlagnahmt und eine »Gefährderansprache« gehalten. Die Ermittlungen dauerten an, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, die Auswertung der Beweismittel werde noch einige Zeit dauern.

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Dabei geht es im Kern um einige weitergeleitete und teils ergänzte Kurzmitteilungen im Nachrichtendienst Twitter. Sie entstanden am »Tag X«, an dem die linke Szene nach dem Urteil im Antifa-Ost-Verfahren in Leipzig ihre Solidarität mit Lina E. und drei weiteren Antifaschisten bekunden wollte. Weil es Aufrufe zu Gewalt gab, unterbanden Stadt und Polizei alle Demonstrationen. In einem Fall wurden über 1000 Teilnehmer einer Versammlung in einem Kessel festgesetzt und unter unwürdigen Bedingungen elf Stunden festgehalten.

Burdukats Äußerungen auf Twitter bezogen sich auf einen Staatsanwalt, der an dem Tag an Ort und Stelle gewesen war und über die Strafverfolgung aller Eingekesselten wegen des Verdachts auf schweren Landfriedensbruch entschieden hatte. Er hatte sich dabei vermummt, wie die Staatsanwaltschaft Leipzig später bestätigte: »Zum Zweck des Eigenschutzes« hätten er und eine ebenfalls anwesende Kriminalbeamtin »ihre Gesichter verhüllt«. Die Behörde wies Gerüchte zurück, ihr Mitarbeiter habe bereits zuvor vermummt an der Versammlung teilgenommen.

Die von Burdukat weitergeleiteten Tweets enthielten den Namen des Staatsanwalts, Angaben zu Wohnort und familiären Verhältnissen sowie dessen aus einer juristischen Zeitschrift entnommenes Bild. Einen der Retweets ergänzte der Sozialarbeiter um den Zusatz: »... falls er euch in den leeren Gassen Grimmas mal über den Weg läuft«. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft Burdukat vor, »unterschwellige Andeutungen verbreitet zu haben, die zu einem gewaltsamen Einwirken auf den Staatsanwalt hinwirken sollten«. Es bestehe die »erhebliche« Gefahr, dass »gewaltbereite Twitter-Nutzer aus der linken Szene« Straftaten gegen diesen und seine Familie verübten. Burdukat räumt in einem Interview für das Portal la-presse.org ein: »Das war dumm formuliert.« Er verstehe aber nicht, warum die Durchsuchung nötig gewesen sei.

Im Interview bekräftigt er seine Kritik am Vorgehen der Staatsmacht am »Tag X« und insbesondere an dem Kessel, in dem auch Jugendliche festsaßen. In diesem Fall hätten Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe hinzugezogen werden müssen, sagt er und wirft den Behörden vor, »gezielte Erniedrigung als Machtinstrument« eingesetzt zu haben.

Die Durchsuchung bei ihm knüpft Kritikern zufolge daran an. Sie sei »Teil einer Einschüchterungskampagne«, sagt Kerstin Köditz, linke Landtagsabgeordnete aus Grimma. Es solle »ein Exempel statuiert werden«. Der Journalist Thomas Datt spricht auf Twitter von einer »sächsischen Groteske« und weist darauf hin, dass Burdukat »nie nur eine annähernd scharfe Unterstützung durch die Strafverfolgungsbehörden erhielt«, als er aufgrund von Morddrohungen gegen ihn Strafanzeigen gestellt habe. Täter wurden nie ermittelt. Burdukat und seine Jugend- und Demokratieprojekte in der sächsischen Kleinstadt sehen sich ständigen Anfeindungen ausgesetzt; der tätowierte Sozialarbeiter mit »Tunnel« in den Ohren gilt vielen als Feindbild. Bei der OB-Wahl 2022 forderte er den langjährigen Amtsinhaber heraus, kam aber nur auf knapp acht Prozent. Die Finanzierung seiner Projekte ist stets prekär. 2021 warb er mit einer Extremtour über die Alpen Spendengelder ein, um Stellen für Sozialarbeiter zu finanzieren. Später gründete er eine gemeinnützige GmbH namens »Between the Lines« als Trägerin für die Projekte. Im Interview mit la-presse.org wird er zu Gerüchten befragt, wonach Vertreter des Justizministeriums ihn gedrängt hätten, die Geschäftsführung der GmbH abzugeben, weil ansonsten keine Fördergelder mehr ausgezahlt würden. Burdukat wollte das »nicht kommentieren«. Das Ministerium erklärte auf Anfrage des »nd«, es habe keine Aufforderung oder Empfehlung gegeben. Das Förderreferat habe aber anlässlich von Burdukats Retweet »darauf hingewiesen, dass dieser als Aufforderung zur Gewalt verstanden werden konnte, und darum gebeten, dass die Between the Lines gGmbH die aktuellen Zuständigkeiten der dort tätigen Personen für das dort durchgeführte Projekt erläutert«. Über das Programm »Orte der Demokratie« erhält diese 100 000 Euro. »Pudding« haben die Ermittlungen stark getroffen. Auf Twitter ließ er wissen, er befinde sich derzeit »im Modus der Verdrängung«.

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