Bafög auf dem Prüfstand

Das Bundesverfassungsgericht befasst sich mit der Ausbildungsförderung

»Studieren ist ein Vollzeitjob«, das steht für Rahel Schüssler vom Freien Zusammenschluss der Student*innenschaften (FZS) außer Frage. Und doch müssen Studierende aus der Not heraus oft neben dem Studium arbeiten. Nicht nur im Einzelfall, worauf Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Erziehungsgewerkschaft GEW, hinweist, sondern für etwa zwei Drittel der Studierenden ist das Realität. »Im Durchschnitt beträgt die wöchentliche Arbeitszeit 15 Stunden«, weiß Keller.

Die Folgen sind gravierend: Immer mehr Studierende fühlen sich emotional erschöpft, wie eine repräsentative Forsa-Umfrage für die Techniker Krankenkasse ergeben hat. Vor fünf Jahren noch sprach knapp ein Viertel der Studierenden von einer solchen Erschöpfung, jetzt sind es bereits mehr als ein Drittel.

»Viele Studierende fühlen sich im Stich gelassen«, erklärt Schüssler am Donnerstag auf einer Pressekonferenz der GEW zur Situation der Ausbildungsförderung. »Eigentlich ist es ein Skandal, dass trotz Bafög-Erhöhung im vorigen Jahr der Bedarfssatz noch unterhalb des Existenzminimums liegt.« Das Bafög wurde zum Wintersemester 2022/23 gerade mal um 5,75 Prozent erhöht. Damit werde die Ausbildung zu einem Armutsfaktor, was für Schüssler angesichts des enormen Fachkräftemangels nicht erklärbar ist.

Bewegung in diese sich durch die Inflation noch einmal zuspitzende Situation könnte allerdings schon bald kommen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat angekündigt, sich noch in diesem Jahr zum Bafög zu äußern. Von dieser bundesweiten Ausbildungsförderung, die 1971 eingeführt wurde, um auch jenen ein Studium zu ermöglichen, die nicht aus gut situierten Familien stammen, profitieren derzeit nämlich gerade einmal 13 Prozent der Studierenden.

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Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Bafög hatte im Mai 2021 das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geäußert. Die dortigen Richter kamen zu der Auffassung, dass die Festlegung des Bafög-Bedarfssatzes nicht mit dem »verfassungsrechtlichen Teilhaberecht auf gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten« vereinbar sei. Da das Gericht selbst Gesetze aber nicht für verfassungswidrig erklären darf, hat es eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht beschlossen. Das letzte Wort haben jetzt die obersten Richter in Karlsruhe.

Der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Schaller hat die Klage einer Studentin gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht geführt und so die Überprüfung des Bafög durch das Bundesverfassungsgericht initiiert. Er erläutert, dass für eine abschließende Beurteilung der aktuelle Bedarfssatz herangezogen werde. Der beträgt nach der Bafög-Erhöhung zum vorigen Wintersemester 452 Euro. Für Studierende, die nicht mehr bei ihren Eltern leben, kommen Kosten für die Unterkunft in Höhe von 360 Euro hinzu. Der Bafög-Höchstsatz beträgt also 812 Euro. Das liegt deutlich unter dem Betrag von 930 Euro, den die Düsseldorfer Tabelle als angemessenen Unterhalt für ein studierendes Kind aufführt, das nicht mehr bei den Eltern wohnt.

Für Schaller ist die Sache klar: Durch die niedrigen Bafög-Sätze seien viele Studierende gezwungen, unterhalb der Armutsgrenze zu leben. Denn Zugang zu anderen Sozialleistungen haben sie laut Sozialgesetzgebung nicht. Er hofft darauf, dass das Bundesverfassungsgericht seiner Auffassung folgt. Schließlich werde durch den niedrig gehaltenen Bafög-Satz auch die freie Berufswahl erheblich eingeschränkt, so seine Argumentation. Tatsächlich scheint in Deutschland maßgeblich die Herkunft über die Studienbedingungen zu entscheiden.

Die GEW fordert eine umfassende Reform des Bafög. Der Höchstsatz sollte künftig bei 1200 Euro im Monat liegen. Wichtig sei dabei, so Keller, dass die Förderung auch für ausländische Studierende gilt, die Altersgrenze abgeschafft wird und auch Schüler der Sekundarstufe II wieder in die Förderung aufgenommen werden. Sollten auch die Richter in Karlsruhe den Bafög-Satz beanstanden, dürfte diese Gewerkschaftsforderung Rückenwind bekommen und die Ampel-Regierung erheblich unter Druck stehen, endlich eine grundlegende Bafög-Strukturreform einzuleiten.

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