47. Bachmann-Preis: Mord mit Bakterien

Am Sonntag wurden in Klagenfurt die Preisträger des 47. Bachmann-Wettbewerbs gekürt

  • Karsten Krampitz
  • Lesedauer: 5 Min.

Nach Klagenfurt kommt man nicht», sagt der dort wohnhafte Schriftsteller Alexander Widner, «nach Klagenfurt gerät man. Entweder durch Geburt, Unvorsichtigkeit, Zufall oder aus Jux und Tollerei.» Er selbst sei aus Gleichgültigkeit nach Klagenfurt geraten.

Nach außen hin wolle dieser Ort immer die fröhliche Stadt sein, die sich ihres südlichen Flairs zu rühmen beliebt; nach innen aber seien die gleichen Kräfte am Ruder, die schon immer gerudert hätten, «sei es um Geld, Lokalmacht, Einfluss, das Übliche halt, oder schlicht um ein Gelingen auf dem Feld der Hinterfotzigkeit». So schaut’s aus am Wörthersee. Und weiter heißt es über die Lindwurmstadt: «Dieselben Feste, dieselben Besoffenen, dieselben Verschlagenen, dieselben Schlauen, dieselbe Dreistigkeit, dieselbe Sorge um Sicherheit, Erscheinung, Ansehen, Würde, Gesundheit, schöne Haut und einen gelungenen Abschlag auf dem Golfplatz.» Ein Fest aber, ein mediales Ereignis fällt heraus aus dem Partykalender …

Der Bachmann-Wettbewerb, heuer zum 47. Mal ausgetragen, gehört nicht wirklich zu Klagenfurt – er findet hier nur statt. Im Saalpublikum und draußen im ORF-Garten sitzen nur sehr wenige Einheimische. Die meisten Zuschauer sind angereist oder gehören eh irgendwie zum Literaturbetrieb. In den Schaufenstern der hiesigen Buchläden wird auf den «Bewerb» nicht einmal hingewiesen. Die großen Schriftsteller, die Klagenfurt auf unerklärliche Weise hervorgebracht hat – Robert Musil, Ingeborg Bachmann, Gerd Jonke, Christine Lavant und andere – sie alle waren der Stadt fremd. «Verlass die Stadt, die keine ist», singt die Sängerin Gustav aka Eva Jantschitsch.

Einer der wenigen Klagenfurter, die beim «Bewerb» aufschlagen, ist (der Kameras wegen) der Bürgermeister. Die zweite Amtszeit schon darf sich Christian Scheider bei der Preisvergabe aufs Bild drängen. Über den ehemaligen Tennislehrer von Jörg Haider bemerkte unlängst Elias Hirschl im «Standard», dass Scheider ja vielleicht irgendwann merke, «dass man ihn eigentlich nur höflich toleriert». Aus Gründen: Die Stadt Klagenfurt stiftet den Hauptpreis, der am Sonntag an Valeria Gordeev ging. Und bei einer Summe von 25 000 Euro und dem enormen Renommee, das der Ingeborg-Bachmann-Preis mit sich bringt, ist es selbstredend egal, wer einem da die Hand schüttelt.

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Auf den Roman jedenfalls darf das Publikum gespannt sein. Wie schon an dieser Stelle berichtet, war die Berliner Schriftstellerin mit dieser Arbeit bereits für den Alfred-Döblin-Preis nominiert. «Er putzt», so der Titel des Romanauszugs, erzählt vom Sauberkeitswahn eines Neurotikers, der den Pilzen, Viren und Bakterien den Kampf angesagt hat:

«Der Wasserhahn. Typische Kalkflecken, scharfkantig umkrustete, matt versprenkelte, weiße, durchscheinende Flecken. Jeder Fleck ein getrockneter Wassertropfen. Oberflächenspannung. Die mineralischen Bestandteile sinken zu Boden und bilden eine Ablagerungsschicht, kristalline Strukturen, ein Zeichen der Wassergüte …»

Die Jury lobte nicht nur den Text, sondern auch den Vortrag – bei dem Gordeev ein Blatt fehlte, sodass der Moderator zur Erheiterung des Publikums mit seinem Manuskript aushelfen musste. Manch einer, hieß es, werde jetzt seine Wohnung mit anderen Augen sehen. Überhaupt sei Gordeev eine Autorin, die einen detaillierten Blick auf die Sprache werfe; die liebt, was sie tut, und dabei auch um ethische Grenzen weiß. Dadurch sei es Gordeev gelungen, ihren Text sprechen zu lassen.

Ihre Sprache verloren hat hingegen Tanja Maljartschuk, gebürtige Ukrainerin und Bachmann-Preisträgerin des Jahres 2018. Ihre Eröffnungsrede ließ niemanden unberührt: «Verstehen Sie mich und meine Verbitterung nicht falsch. Ich verdanke alles in meinem Leben der Literatur, die ich mir als Blüte am Ast eines Baumes vorstelle. Einerseits ermöglicht sie die Fortpflanzung der Ideen, und doch fällt sie bei einem Unwetter als Erste ab.» Denn auch im Donbass hätten in diesem Frühling Bäume geblüht, in verlassenen Dörfern, vor zerbombten Häusern, über noch nicht entdeckten Massengräbern. «Ein Baum blüht, während ein Soldat ein Mädchen auf den Wurzeln des Baumes vergewaltigt. Ein blühender Baum ist machtlos und hilflos der Gewalt gegenüber, die Menschen einander antun …»

Der Titel ihrer Rede – «Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf» – hätte auch als Thema der diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur herhalten können. So auch bei Anna Feinhofer aus Wien. Die promovierte Psychologin bekam von der Jury den mit 12 500 Euro dotierten Deutschlandfunk-Preis zugesprochen. Ihr Text «Fische Fangen» handelt von den Gewalterfahrungen eines 16-Jährigen, der infolge einer neurologischen Krankheit keine Gesichter lesen kann. Der Junge erkennt weder seine Mutter noch die Schulkameraden, die ihn fortwährend verprügeln.

Gewalt auch bei Martin Piekar. Der in Frankfurt am Main lebende Deutschpole las einen Prosatext, der mit seinem lauten Schrei noch lange in Erinnerung bleiben wird – aber vielleicht auch, weil er am Rand vom Leben der Großmutter im sowjetischen Gulag erzählt. In «Mit Wänden sprechen / Pole sind schwierige Volk» geht es jedoch vor allem um eine zu Tränen rührende Mutter-Sohn-Beziehung vor dem Hintergrund einer Fluchtgeschichte. Martin Piekar ging am Sonntag mit verdienten 23 000 Euro Preisgeld heim – Kelag-Preis, Publikumspreis und Klagenfurter Stadtschreiberstipendium. Den mit 7500 Euro dotierten 3Sat-Preis erhielt die Schweizer*in Laura Leupi für «Das Alphabet der sexualisierten Gewalt», einen hochpolitischen, leider völlig unliterarischen Text.

Von Jury und Publikum nicht bedacht wurde unerklärlicherweise die Berlinerin Jacinta Nandi, die in Klagenfurt außerordentliche Gewaltfantasien offenbarte, als koksende Mutter, aber vor allem als Ehefrau: «Aber dann ging sie ins Badezimmer und steckte seine Zahnbürste in den Po, dann ging sie unter die Dusche und betete, dass ihre Pobakterien ihm Krebs geben. Krebs kommt von Bakterien manchmal, oder? Plötzlich denkt sie: Ist das Mord?»

In der Geschichte des Bachmann-Wettbewerbs ist Jacinta Nandi wohl die erste Teilnehmerin gewesen, die bei ihrer Lesung einen Kotzeimer neben sich stehen hatte, was sie den Leuten vor Ort mit ihrer Aufgeregtheit erklärte. Ein Mordsspaß also. Allein für die Perfomance hätte sie einen Preis verdient.

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