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Abtreibung in den USA: »Eine Drohkulisse, die uns Sorge bereitet«
Alleine die Diskussion um die Todesstrafe bei Abtreibungen in den USA hinterlässt Spuren, meint Maja Liebing von Amnesty International
Seitdem der US-Supreme Court vor einem Jahr entschieden hat, das verfassungsmäßige Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch zu kippen, wurden in einigen konservativ geführten US-Bundesstaaten sukzessive die Gesetze verschärft, bis hin zu einem absoluten Verbot. Es soll einzelne US-Bundesstaaten geben, die sogar in Erwägung ziehen, die Todesstrafe auch auf Abtreibungsfälle anzuwenden. Wie ernst ist diese Entwicklung zu nehmen?
Bisher wurde die Todesstrafe für Abtreibungen noch in keinem Bundesstaat eingeführt. Es gibt einen Bundesstaat, in dem ein entsprechender Gesetzesentwurf eingebracht wurde. Er ist aber nicht angenommen worden. In einer ganzen Reihe von US-Bundesstaaten, zum Beispiel in Texas, gibt es aber einzelne Politiker, die versuchen, solche Gesetzesvorlagen einzubringen.
In welchen US-Bundesstaaten wird die Einführung einer Todesstrafe auf Abbrüche diskutiert?
Im US-Bundesstaat South Carolina wurde ein Gesetzesvorschlag eingereicht, kam aber nicht durch. In Texas macht sich Bryan Slaton für eine Einführung stark. Bisher ist daraus nichts geworden.
Slaton steht selbst im Verdacht, eine Frau sexuell missbraucht zu haben. Er will nun erreichen, dass es bei Abtreibungen auch keine Ausnahmen bei Vergewaltigung und Inzest gibt. In einigen Bundesstaaten, in denen dafür eine Ausnahme gilt, müssen Frauen innerhalb einer kurzen Frist nachweisen, dass diese überhaupt stattgefunden haben. Gerade, wenn Frauen traumatisiert sind und aus schambehafteten Situationen heraus agieren sollen, scheint das nicht leistbar zu sein. Ist das nicht realitätsfern?
Maja Liebing studierte Politikwissenschaft und Völkerrecht an der Universität Hamburg mit den Schwerpunkten Friedens- und Konfliktforschung, Menschenrechte und internationales Strafrecht. Sie arbeitet als Amerika-Referentin bei Amnesty International in Deutschland.
Solche Gesetze sind sehr tiefe Einschnitte in die Rechte von Frauen und deren Gesundheitsversorgung. Schwangerschaftsabbrüche sollten normale Gesundheitsdienstleistungen sein. Daher ist es sehr erschreckend, was sich in den USA abzeichnet. Zu sehen, welch krasse Rückschritte es in diesem Bereich entgegen den globalen Trends in den USA gibt, erfüllt uns mit sehr großer Sorge. Zumal sich immer mehr Länder aktuell dazu entschließen, ihre Gesetze zu Schwangerschaftsabbrüchen zu liberalisieren.
Wie schätzen Sie die Entwicklungen hinsichtlich der Einführung einer Todesstrafe für Schwangerschaftsabbrüche in manchen US-Bundesstaaten ein: Ist die Gefahr gebannt?
Wir sehen diese Entwicklung bei Amnesty International im Kontext einer umfassenderen Taktik, die Diskussion um dieses Thema zu beeinflussen. Zum einen wird damit eine unglaubliche Drohkulisse aufgebaut: Insbesondere Ärztinnen und Ärzte – das medizinische Gesundheitspersonal – sollen eingeschüchtert werden, damit sie sich nicht mehr trauen, schwangeren Personen zu helfen. Zum anderen lässt es andere Beschränkungen und Sanktionen gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen vernünftiger aussehen.
Was meinen Sie damit?
Wenn die Todesstrafe in der politischen Diskussion schon vorgekommen ist und dann letztlich vielleicht »nur« eine Gefängnisstrafe angedroht und eingeführt wird, dann erscheint das vernünftiger als eine Todesstrafe auf Abtreibung und die Hilfe zur Abtreibung einzuführen. Das ist aber nicht »vernünftig« – es bleibt ein Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf Gesundheit von schwangeren Personen. Wir machen uns daher weniger Sorgen, dass die Todesstrafe auf Schwangerschaftsabbrüche tatsächlich in einzelnen US-Bundesstaaten eingeführt werden könnte, als dass wir eine Verschärfung dieser Diskussion sehen, die sich immer weiter auflädt. Es ist diese Drohkulisse, die uns bei Amnesty International sehr große Sorgen bereitet.
Sind Fälle von harten Sanktionen gegen Ärzte, Helfer oder Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt haben, seit der Aufhebung von »Roe versus Wade« schon bekannt geworden?
Wir haben noch nicht viele Fälle von harten Sanktionen gegen medizinisches Personal und auch Frauen beobachtet. Es gibt aber einen Fall in Nebraska. Da läuft gerade ein Verfahren gegen eine Mutter, die ihrer Tochter geholfen hat, die Schwangerschaft zu beenden. Auch in Texas läuft ein Gerichtsverfahren. Dort hat ein Mann drei Menschen verklagt, die angeblich seiner – inzwischen – Ex-Frau geholfen haben sollen, eine Schwangerschaft zu beenden. Diese Kriminalisierung ist besorgniserregend. Auch wenn wir noch nicht von vielen Fällen wissen, rechnen wir damit, dass die Kriminalisierung zunehmen wird und diese restriktiven Gesetze mehr und mehr zur Anwendung kommen.
Das erzeugt auch sehr viel Unsicherheit.
Ja, das ist richtig. Auch in den US-Bundesstaaten, in denen Schwangerschaftsabbrüche nicht direkt verboten sind, herrscht sehr viel Unsicherheit bei Ärztinnen und Ärzten und weiterem medizinischen Personal. Nicht nur in den 14 US-Bundesstaaten, die Abbrüche verboten haben. Wir sehen auch, dass Frauen in diesem Klima nicht die Hilfe bekommen, die sie eigentlich bräuchten.
Ein anderer Aspekt ist, dass die Diskriminierung insbesondere von Frauen mit geringem Einkommen deutlich zunehmen könnte. Wie schätzen Sie das ein? Wie zeigt sich das?
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Das stimmt. Es ist Fakt, dass viele schwangere Personen in US-Bundesstaaten leben, die Schwangerschaftsabbrüche de facto verboten haben. In der Diskriminierung sehen wir tatsächlich ein Hauptproblem, denn Frauen haben in diesen Staaten keine Möglichkeit mehr, einen Abbruch durchzuführen. Sie sind gezwungen, dafür Tausende Meilen zu reisen und viel Geld auszugeben, was sie vielleicht nicht haben. Das hat einen Diskriminierungscharakter: Schon allein in einen anderen US-Bundesstaat zu reisen – die Vereinigten Staaten sind ein riesiges Land –, allein der Aufwand, einen Abbruch zu realisieren, können sich viele Frauen gar nicht leisten. Frauen, die nicht viel Geld und weniger Spielräume haben, sind daher von diesen Verboten besonders betroffen. Die Folge ist, dass die Müttersterblichkeit in den USA dadurch ansteigt.
Die Vereinigten Staaten haben bereits die höchste Müttersterblichkeitsrate unter den Industrienationen, wie aktuelle Zahlen belegen, insbesondere bei Schwarzen Frauen.
Ja, richtig.
Wenn ein Schwangerschaftsabbruch nur in den ersten Wochen möglich ist, stehen den Frauen, die einen Abbruch vornehmen möchten, keine umgehenden unabhängigen Beratungs- und Unterstützungsangebote zur Verfügung. Ein Abbruch ist oft aus diesem Grund nicht rechtzeitig umsetzbar. Manche Frauen werden dann versuchen, den Abbruch selbst in die Hand zu nehmen. Forscher haben vor Kurzem festgestellt, dass seit der Einführung restriktiverer Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch die Suizidrate bei Frauen im gebärfähigen Alter auf 5,8 Prozent angestiegen ist.
Das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in den USA, so bezeichnet es eine amerikanische Kollegin bei Amnesty International, kommt einer Todesstrafe für viele Frauen gleich.
Wie steht die Bevölkerung zu diesen Verboten?
Interessant ist, dass selbst in konservativen US-Bundesstaaten die Bevölkerung in der Mehrheit liberalere Gesetze befürwortet. Die Politik ist da viel restriktiver und konservativer als die eigene Bevölkerung. Was wir hier sehen, ist Ausdruck einer zunehmenden Polarisierung in den USA. Frauenrechte kommen dabei unter die Räder. Es ist ein Thema, das uns weiterhin begleitet und für das es keine schnellen Lösungen geben wird.
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