Bündnis plädiert für Absage des Rammstein-Konzerts in Berlin

Das Aktionsbündnis »Kein Rammstein in Berlin!« will die für Mitte des Monats geplanten Konzerte der Band im Berliner Olympiastadion verhindern. »nd« sprach mit Britt Baiano, der Pressesprecherin der Initiative

Britt Baiano, lassen Sie mich kurz für unsere Leserschaft rekapitulieren: Seit Wochen erheben mehrere Frauen schwere Vorwürfe gegen den Sänger der Band Rammstein, Till Lindemann. Er habe sie auf Konzerten für Sex rekrutieren lassen wollen, einige berichten von sexuellen Übergriffen und vermuten, dass ihnen unwissentlich K.-o.-Tropfen verabreicht wurden. Aufgrund von Anzeigen Dritter ermittelt nun die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Lindemann wegen »Tatvorwürfen aus dem Bereich der Sexualdelikte und der Abgabe von Betäubungsmitteln«. Ziel Ihres Bündnisses ist es, dass die drei Rammstein-Konzerte, die vom 15. bis zum 18. Juli im Berliner Olympiastadion stattfinden sollen, abgesagt werden. Wie gehen Sie das an?

Wir haben einen offenen Brief geschrieben, der sich an die Olympiastadion Berlin GmbH richtet sowie an den Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) und die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Darin fordern wir die Absage der Konzerte. Der Brief wird diese Woche in Zusammenarbeit mit der »Taz« veröffentlicht. Wir haben einige prominente Erstunterzeichner*innen und hoffen darauf, dass wir viele weitere Unterschriften sammeln können.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Konzerte tatsächlich abgesagt werden? Auch in München, wo Rammstein im Juni mehrmals aufgetreten sind, gab es Initiativen, die das verhindern wollten – und die gescheitert sind.

Die Stadt Berlin hat als hundertprozentige Eigentümerin des Olympiastadions natürlich ein großes wirtschaftliches Interesse an diesen Konzerten. Außerdem bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Daher ist tatsächlich fraglich, ob wir Erfolg haben werden. Dennoch wollen wir die klare Forderung nach der Absage der Konzerte hochhalten. Auch um darauf hinzuweisen, dass es durchaus möglich wäre, diese Veranstaltungen zu verhindern – die Verantwortung dafür liegt bei einzelnen Personen. Wenn etwa Iris Spranger nichts dagegen tut, dass die Rammstein-Konzerte wie geplant stattfinden, ist das ein öffentlicher Schulterschluss mit Till Lindemann. Das würde dem Image der Stadt zuwiderlaufen, die sie als Senatorin vertritt – eine Stadt, die sich als sicher und diskriminierungsfrei vermarktet. Spranger sollte sich klar positionieren: Ist sie auf der Seite der Täter oder der Betroffenen?

Interview

Britt Baiano ist Pressesprecherin des Aktions­bündnisses »Kein Ramm­stein in Berlin!«, ein Zusammenschluss von Einzelpersonen und in feministischen Netzwerken organisierter Aktivistinnen. Zusammen­gefunden haben sie unter dem Eindruck der Zeugnisse der Nordirin Shelby Lynn, der deutschen Influen­cerin Kayla Shyx und weiterer Frauen, die auf Ramm­stein-Konzerten ihren Aussagen nach zum Sex mit Ramm­stein-Sänger Till Linde­mann rekrutiert werden sollten und möglicher­weise sexuali­sierte Gewalt erfahren haben. Am 15. Juli will das Bündnis gegen das erste der geplanten Berlin-Konzerte von Ramm­stein im Olympia­stadion protes­tieren.

Falls das erste Konzert Ihrer Forderung zum Trotz am 15. Juli stattfindet, will »Kein Rammstein in Berlin!«, so steht es in mehreren Zeitungsartikeln, eine Demonstration veranstalten.

Richtig, wir würden dann um 14.30 Uhr am Theodor-Heuss-Platz starten und von dort aus zum Olympiastadion laufen. Dazu würden wir eine Kundgebung mit verschiedenen Redebeiträgen organisieren.

Die Rammstein-Konzerte in München wurden im dortigen Olympiastadion veranstaltet. Nun fordert die gemeinsame Stadtratsfraktion von Die Linke und Die Partei von der Olympiapark München GmbH, die – analog zur Olympiastadion Berlin GmbH – zu 100 Prozent der Stadt gehört, dass sie die Konzerteinnahmen offenlegt und an Projekte gegen sexuelle Gewalt spendet. Steht eine solche Forderung für Sie, sollten die Konzerte in Berlin stattfinden, auch zur Debatte?

Wenn die Stadt Berlin die Einnahmen aus den Konzerten spenden würde, empfänden wir das als Schönfärberei. Das wäre ähnlich wie Pinkwashing (die Solidarisierung von Unternehmen mit der LGBTIQ-Bewegung allein oder hauptsächlich aus Marketinggründen, Anm. d. Red.). Das Problem würde nicht an der Wurzel gepackt werden: Die Strukturen, die mutmaßliche Täter wie Lindemann hervorbringen, blieben dadurch unangetastet. Dasselbe gilt übrigens für den Vorschlag von Joe Chialo, auf Rammstein-Konzerten Awareness-Teams einzusetzen (Gruppen, die auf Veranstaltungen Unterstützung im Umgang mit Diskriminierung, Belästigung und Gewalt anbieten, Anm. d. Red.).

Ihre Initiative ist in Berlin nicht die einzige, die sich gegen die Rammstein-Konzerte richtet.

Ja, es gibt zwei Bündnisse. Unseres und eines mit dem Titel »Kein Machtmissbrauch in der Musikszene«. Daneben gibt es noch verschiedene andere Gruppen, zum Beispiel die Initiative »Keine Show für Täter«, die sich schon länger mit Gewalt im Showbusiness und Täterschutz befasst. Auch wurden mehrere Petitionen gestartet, an denen wir uns auch als Bündnis beteiligt haben. Wir unterstützen uns alle gegenseitig.

Wer ist denn bei »Kein Rammstein in Berlin!« dabei?

Das Bündnis setzt sich zusammen aus Einzelpersonen und politischen Gruppen, die es schon vorher gab. Hauptsächlich kommen diese Gruppen aus dem feministischen Kontext, aber es sind auch welche dabei, die antirassistische Arbeit oder viel zu Stadtpolitik machen. Bei uns treffen Leute mit viel Erfahrung mit politischer Arbeit auf Leute, die das zum ersten Mal machen – das ist schon spannend.

Welche Rolle spielen eigentlich die Fans von Rammstein bei den Protesten? Ziehen Sie die auch zur Verantwortung?

Auf jeden Fall. Alle, die jetzt, nachdem all diese Vorwürfe erhoben wurden und jedem bekannt sein dürften, noch auf Rammstein-Konzerte gehen, tragen natürlich eine große Mitverantwortung daran, dass dort weitere Übergriffe stattfinden könnten. Man sollte sich in dieser Sache ganz klar positionieren. Wir denken aber, dass wir die Leute, die jetzt noch auf die Konzerte gehen, nicht mehr erreichen können – deshalb ist das auch nicht unser Fokus. Hauptsächlich wenden wir uns an Veranstalter*innen und Politiker*innen.

Nach deutschem Recht gilt die Unschuldsvermutung: Eine verdächtigte Person wird so lange als unschuldig angesehen, bis das Gegenteil rechtskräftig bewiesen wurde. Welche Haltung hat Ihr Bündnis dazu?

Wir blicken aus einer feministischen und machtkritischen Perspektive auf die Thematik der Unschuldsvermutung. Für uns ist ganz klar: Wir glauben den Betroffenen. Trotzdem fordern wir nicht, dass Till Lindemann ohne Gerichtsverfahren verurteilt wird, sondern dass die Konzerte abgesagt werden, solange wir nicht sicher sein können, dass dort Straftaten passieren und sexualisierte Gewalt stattfindet. An all den Vorwürfen gegen Lindemann zeigt sich unserer Ansicht nach deutlich, wie löchrig das Gesetz im Hinblick auf sexualisierte Gewalt ist. Und spätestens, wenn man sich die Kommentarspalten unter den Artikeln zu den Vorwürfen durchliest, wird deutlich, dass weite Teile der Gesellschaft bestimmte Gewaltformen nicht als solche verstehen. Das spiegelt sich auch in der Gesetzeslage wider.

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