Muhiddin Fidan: Undurchsichtiger Abschiebegrund

Muhiddin Fidan soll Deutschland verlassen, dagegen regt sich Protest

Es war eine normale Verkehrskontrolle, in die Muhiddin Fidan am Freitag geriet. Aber Polizisten nahmen den Kurden fest, nachdem sie festgestellt hatten, dass er kein gültiges Bleiberecht hat. Mittlerweile sitzt er in Darmstadt in Abschiebehaft, und seine Familie hat Angst davor, dass der 40-Jährige in die Türkei ausgewiesen werden könnte. Seine Frau Gülcan rechnet mit dem Schlimmsten. »Ich bin mir sicher, dass er aus der Türkei nicht lebendig rauskommen wird«, sagte sie der Lokalzeitung »HNA«. Auch seine Unterstützer*innen gehen davon aus, dass Fidan in der Türkei Gefängnis und Folter drohen.

Muhiddin Fidan lebt mit seiner Frau und fünf minderjährigen Kindern, die alle die deutsche Staatsbürgerschaft haben, im nordhessischen Naumburg. Seine Frau berichtete davon, dass sie Pläne hatten und sich mit einem Kiosk selbstständig machen wollten. Muhiddin Fidan engagierte sich auch im gemeinnützigen kurdischen Kulturverein Navenda Civaka Kurdistan in Kassel, und das ist ihm jetzt zum Verhängnis geworden. Sein Engagement in dem Verein wird offenbar mit einer terroristischen Tätigkeit in Verbindung gebracht, was seine Unterstützer*innen aber vehement abstreiten. »Er war nicht – wie von den Sicherheitsbehörden fälschlicherweise behauptet – an terroristischen Aktivitäten beteiligt«, heißt es in einem offenen Brief an die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und den hessischen Amtskollegen Peter Beuth (CDU). Vielmehr habe er sich in der Vergangenheit an der Integrationshilfe beteiligt, habe Veranstaltungen zum kurdischen Volkstanz organisiert und bei der Vorbereitung genehmigter Demonstrationen geholfen, die sich auch gegen die Diskriminierung und Unterdrückung kurdischer Menschen in der Türkei richteten. »Wegen keiner dieser Aktivitäten wurde Muhiddin jemals vor Gericht gestellt, denn sie sind nicht strafrechtlich relevant«, heißt es in dem Schreiben.

Am Sonntag protestierten mehrere hundert Menschen vor dem Kasseler Rathaus gegen die drohende Ausweisung. Dort wurde eine Audiobotschaft Fidans aus der Abschiebehaft abgespielt. »Ich habe mich immer an die Gesetze gehalten, ich suche Gerechtigkeit«, beteuerte er darin. Nach Angaben seiner Familie ist er mittlerweile in einen Hungerstreik getreten. Für den Dienstagabend waren in mehreren hessischen Städten weitere Demonstrationen geplant.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!

Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen. Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Muhiddin Fidan flüchtete als 13-Jähriger nach Deutschland, auch seine Geschwister leben inzwischen in Hessen. Es überraschte sie alle, als seine Aufenthaltsgenehmigung 2021 nicht mehr verlängert wurde. Damit hatte er auch keine Arbeitserlaubnis mehr, die Idee mit dem Kiosk lag auf Eis. Stattdessen drohte ihm jederzeit die Verhaftung und Ausweisung. Seitdem habe es keinen Tag gegeben, an dem »die drohende Abschiebung nicht präsent im Leben der Familie ist«, sagte Kathleen Effinger, die die Familie in den vergangenen Monaten unterstützte. »Seine Kinder müssen jeden Tag zur Schule gehen, ohne zu wissen, ob sie ihren Vater wiedersehen.« Das zuständige Kasseler Regierungspräsidium dagegen bestätigte, dass Fidan zur Ausreise verpflichtet sei, auch das Verwaltungsgericht habe dies bestätigt.

Zuvor hatte sich der Petitionsausschuss des hessischen Landtags mit dem Fall beschäftigt. Doch die von einer Unterstützerin von Fidan eingebrachte Petition sei vor einigen Wochen geschlossen worden, erklärte die Linken-Abgeordnete Heidemarie Scheuch-Paschkewitz »nd«. Über die Gründe dürfe sie sich nicht öffentlich äußern. Sie hoffe aber, dass es noch einen Weg für Fidan gebe, dass die Abschiebung gestoppt und ihm ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Aussicht gestellt werde.

Der Bundestagsabgeordnete Boris Mijatović (Grüne) hat am Wochenende die Familie Fidan besucht. Er hält eine Ausweisung für ein sehr hartes Vorgehen der Behörden. »Wenn eine Familie mit fünf minderjährigen Kindern auseinandergerissen wird, sollte es sehr gute Gründe dafür geben«, erklärte er »nd«, »und die sind mir derzeit nicht ersichtlich.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -