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Wenn Stress krank macht
Herzerkrankungen treten bei dauernder psychischer Belastung häufiger auf
Stress an sich ist eigentlich nicht ungesund: Steigender Blutdruck und ein erhöhter Puls tragen dazu bei, mehr Sauerstoff ins Hirn zu bringen. Gefährlich wird es dann, wenn die Erholungsphasen ausbleiben, so die KKH-Ärztin Sonja Hermeneit einleitend zum Thema. Die Kaufmännische Krankenkasse gehört wie andere Kassen und weitere gesundheitspolitische Akteure zur Herz-Hirn-Allianz. Deren Ziel ist es, kardiovaskuläre Ereignisse bis 2030 deutschlandweit um 30 Prozent zu reduzieren. Damit gemeint sind zum Beispiel Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Alle Erkrankungen dieser Gruppe waren 2020 die Ursache von 338 000 Todesfällen in Deutschland und damit Todesursache Nummer eins hierzulande.
Stress ist ein wichtiger Risikofaktor für die genannten Erkrankungen. Die KKH hat eine Forsa-Umfrage in Auftrag gegeben, um den Zusammenhang genauer zu beleuchten. Die Ergebnisse wurden am Mittwoch in Hannover vorgestellt. Demnach fühlen sich 84 Prozent der 18- bis 70-Jährigen zumindest gelegentlich gestresst, 42 Prozent sogar häufig oder sehr häufig. Offenbar nimmt die Belastung noch zu. Etwa die Hälfte der Befragten hat das Gefühl, dass das Leben in den letzten ein bis zwei Jahren anstrengender und stressiger geworden ist.
Nun zeigen Daten der Ersatzkasse auch, dass bei Versicherten mit kardiovaskulären Diagnosen, darunter auch Angina Pectoris und Herz-Rhythmusstörungen, der Anteil von Patienten mit stressbedingten psychischen Leiden um rund ein Viertel höher ist als im Durchschnitt. Während Herz-Kreislauf-Erkrankungen allgemein im Zeitraum von 2011 bis 2021 um rund 17 Prozent zunahmen, fiel der Anstieg bei der doppelten Diagnose mehr als doppelt so hoch aus. 37 Prozent mehr Patienten hatten also 2021 sowohl eine Herz-Kreislauf-Erkrankun als auch eine psychische Diagnose, darunter depressive Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen, wie Expertin Hermeneit erläutert.
In Sachen Prävention interessiert es natürlich nicht nur die KKH, welche Unterstützung Versicherten in der Frage der Stressvermeidung am besten hilft. Auch diese Kasse bietet mehrere Arten von Gesundheitsprogrammen an. Laut Hermeneit werden besonders Kurse zu Ernährung und Bewegung gut angenommen, jene zur Stressreduktion aber weniger.
Für den einzelnen Gestressten ist es zunächst wichtig zu erkennen, wodurch die Belastung bei ihm ausgelöst wird. Laut der erwähnten Umfrage vom Mai 2023 stehen an der Spitze der Stressauslöser aber überraschend die hohen Ansprüche an sich selbst. Erst danach folgen aktuelle Themen (Klimawandel, Krieg, Inflation) oder die berufliche bzw. Ausbildungssituation.
Zu den akuten Auslösern von Stress kommen weitere Risiken, die am Ende eine Erkrankung begünstigen, so etwa die genetischen Voraussetzungen oder psychische Folgen von negativen Erlebnissen. Zum Stressabbau wiederum verfügen die meisten Menschen über individuelle Lösungen. Laut Umfrage sind dabei eigene Hobbys am wichtigsten, es folgen Treffen mit Freunden und Familie sowie Sport und Bewegung, dann aber auch gemütliches Faulenzen. Entspannung bei einer Zigarette oder einem Glas Alkohol wurden deutlich weniger genannt.
KKH-Expertin Hermeneit würde hier nicht vorschnell Ungesundes verurteilen und verweist auf das Gegenbeispiel: »Wer sich zum Beispiel beim Sporttreiben zu viel Druck macht, schafft sich nur zusätzlichen Stress.« Nur jeder Vierte praktiziere zum Stressabbau Entspannungstechniken.
Zu den umfassenderen gesellschaftlichen Ursachen von Stress zählt Psychiater Kai G. Kahl den großen gesellschaftlichen Transformationsprozess, der sich unter anderem in der Umgestaltung der Arbeitswelt durch Künstliche Intelligenz zeigt, aber auch in weiteren Unsicherheiten, etwa durch Inflation und Klimawandel. »Das Gehirn ist glücklich, wenn alles unter Kontrolle ist, und umgekehrt«, so der Mediziner mit dem wissenschaftlichen Schwerpunkt Psychokardiologie. Er ist als leitender Oberarzt an der Medizinischen Hochschule Hannover tätig.
Bei Forschungsprojekten in Job-Centern beobachtet er mit besonderer Sorge junge Leute zwischen 18 und 28 Jahren, die überraschend klare körperliche und psychische Probleme haben, aber weder zum Arzt gehen noch beruflich Anschluss finden. Eine andere besonders gestresste Altersgruppe seien Menschen, die im Alter zwischen 55 und 60 Jahren ihre Arbeit verlieren oder auch nur in Altersteilzeit gehen. Auch in dieser Gruppe häuften sich Depressionen. Eine neue Entwicklung sei auch, dass bei viel mehr Menschen zwischen 20 und 30 Jahren erhöhter Blutdruck auftrete.
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