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Brasilien und Argentinien: Mehr Jaguare im Nationalpark
Rund um die Wasserfälle von Iguaçu in Brasilien und Argentinien hat sich die Raubkatzenpopulation etwas erholt
Der Nationalpark von Iguaçu im südbrasilianischen Bundesstaat Paraná ist berühmt wegen der gleichnamigen größten Wasserfälle der Welt. Jährlich besuchen etwa zwei Millionen Touristen den Nationalpark an der Grenze zu Argentinien. Weniger bekannt ist, dass er einen der letzten großen Reste des artenreichen Atlantischen Regenwalds beherbergt und damit wichtiges Rückzugsgebiet des in diesem Biom vom Aussterben bedrohten Jaguars ist. Die Anzahl der Jaguare hat sich innerhalb des Schutzgebiets im vergangenen Jahr gegenüber 2009 mehr als verdoppelt. In absoluten Zahlen sind das immer noch lediglich etwa 25 Tiere, die das Schutzgebiet durchstreifen. Dies ergab eine im Juni veröffentlichte Studie der Jaguarschutzprojekte »Yaguareté« in Argentinien und »Onças do Iguaçu« in Brasilien.
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Seit 20 Jahren überwachen die beiden Projekte die Veränderungen der Population der größten Raubkatze Südamerikas in den grenzüberschreitenden atlantischen Regenwaldgebieten am Rio Paraná, Rio Iguaçu und Rio Uruguay. Mit Unterstützung der Stiftung Vida Silvestre Argentina, des World Wide Fund for Nature (WWF-Brasilien) und staatlicher Naturschutzinstitutionen führten sie im vergangenen Jahr nun die bisher umfangreichste Jaguarzählung durch.
Das Untersuchungsgebiet mit einer Gesamtfläche von 582 123 Hektar umfasst die nordostargentinische Provinz Misiones sowie die beiden angrenzenden brasilianischen Schutzgebiete, den 185 262 Hektar großen Parque Nacional do Iguaçu in Paraná und den Parque Estadual do Turvo mit einer Fläche von 17 491 Hektar in Rio Grande do Sul. Die Raubkatzenforscher platzierten an 224 ausgesuchten Stellen Fotofallen, die über temperatur- und bewegungsempfindliche Sensoren aktiviert werden.
Insgesamt 3763 Mal tappte eine der scheuen, bis zu 2,50 Meter großen und 140 Kilogramm schweren Raubkatzen im Untersuchungszeitraum in eine der Fallen. Da sich die Tiere am Muster ihrer Fellflecken unterscheiden lassen wie Menschen an ihren Fingerabdrücken konnten die Forscher die Zahl der fotografierten Individuen ermitteln und dann unter Verwendung mathematischer Modelle die wahrscheinliche Größe der Raubkatzenpopulation in der Region errechnen.
Die Ergebnisse zeigen, dass im vergangenen Jahr in Misiones mit einer Sicherheit von 95 Prozent zwischen 72 und 122 Jaguare lebten, was eine Durchschnittspopulation von 93 ergibt. Damit hat sich die Population nach einem drastischen Rückgang zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der nordostargentinischen Provinz seit 2016 auf einem Niveau zwischen 90 und 100 Individuen stabilisiert.
»Wenn man bedenkt, dass wir im Jahr 2005 nur etwa 40 Jaguare in Misiones hatten, können wir davon ausgehen, dass die Maßnahmen zur Erhaltung dieser Spezies gute Ergebnisse gebracht haben«, kommentiert Agustín Paviolo, der Koordinator des »Yaguareté«-Projekts. »Die Bedrohung der Raubkatzen bleibt jedoch latent und nimmt in einigen Fällen zu, weshalb wir unsere Anstrengungen verdoppeln müssen, um die Art vor dem Aussterben zu bewahren.«
Im brasilianischen Iguaçu-Nationalpark identifizierten die Biologen 19 bis 33 Jaguare. Gegenüber 2009, als lediglich neun bis elf der gefleckten Katzen gezählt wurden und die Art akut vom lokalen Aussterben bedroht war, habe sich die Population im Schutzgebiet zumindest erholt, so die Studie.
Zwischen 1990 und 1995 lebten nach Schätzungen der Wissenschaftler noch zwischen 400 und 800 Jaguare in der Untersuchungsregion, 164 davon im Iguaçu-Schutzgebiet. Die Hauptursachen für den Rückgang der Raubkatzenpopulation ab 1995 seien der Verlust an Lebensraum, die weitere Zerstückelung der Waldgebiete durch Straßenbau und damit einhergehende Verkehrsunfälle sowie der illegale Abschuss der Raubtiere und die übermäßige Jagd auf deren wichtigste Beute, die Pekaris. Im Nationalpark von Iguaçu galt diese auch Nabelschwein genannte Spezies ab 1996 als ausgestorben. Erst 2016 kehrten die Pekaris in das Gebiet zurück, was möglicherweise die Jaguarpopulation von Iguaçu positiv beeinflusste, nehmen die Forscher an. Sie gehen davon aus, dass in den gesamten atlantischen Regenwaldgebieten noch etwa 250 bis 300 Jaguare leben.
Der Atlantische Regenwald, in Brasilien Mata Atlântica genannt, ist eines der artenreichsten Ökosysteme der Erde, das sich einst über rund 1,4 Millionen Quadratkilometer von Nordargentinien und Paraguay bis in den brasilianischen Nordosten erstreckte. Seit 1993 steht in Brasilien der Atlantische Regenwald zumindest auf dem Papier unter strengem Schutz. Dennoch sind etwa 90 Prozent der brasilianischen Mata Atlântica bereits vernichtet. Und die Abholzung geht weiter.
Laut einem im Mai vorgelegten Bericht der Umweltschutzorganisation SOS Mata Atlântica wurden 2022 mehr als 20 000 Hektar Atlantischer Regenwald in Brasilien abgebrannt oder gerodet. Ein Großteil des Waldfrevels fand zwar illegal statt, doch auch legal wird dem Atlantischen Regenwald im Bundesstaat Paraná weiter zugesetzt, und das selbst im Namen des Naturtourismus: Damit noch mehr »Naturtouristen« das seit 1998 privatisierte Schutzgebiet von Iguaçu per Auto aufsuchen können, lässt die Regierung die einzige Zugangsstraße auf einer Strecke von 8,7 Kilometern auf die doppelte Breite ausbauen. Dafür wurden bereits Hunderte von Bäumen gefällt. Widerstand gegen die Straßenerweiterung gab es nicht, weder in Brasilia noch im Bundesstaat Paraná, zu dessen Haupteinnahmequellen der Massentourismus von Iguaçu gehört.
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