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Ein Fall Wagner, mal wieder
Prigoschin und Co.: Der große Musikdramatiker Richard W. bleibt ein Politikum. Aber taugt der nationalromantische Komponist überhaupt zur zeitgenössischen Instrumentalisierung?
Wagner dominiert einmal mehr die Schlagzeilen. Wird denn in diesem Jahr so früh auf den Grünen Hügel gerufen, ins fränkische Hinterland? Ist einmal mehr einem Bassbariton die Hakenkreuz-Tätowierung zum Verhängnis geworden? Hat ein Regierungsoberhaupt das Bayreuther Mobiliar zum Einsturz gebracht? Oder hat sich etwa ein Exponent des Regietheaters neuerlich am Meister vergangen? Nichts davon.
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War zuletzt medial von Wagner die Rede, so ging es um Jewgeni Prigoschin und seine Privatmiliz, genannt Gruppe Wagner. Und es ging um einen Putsch, der keiner war oder keiner werden konnte. Ob der schnelle Marsch der Söldner von der Ukraine in die russische Heimat und sein abruptes Ende nun Ausweis von Putins Machtverlust oder seiner ungebrochenen Stärke sind, ist unter den selbsternannten Russland-Experten, die derzeit scharenweise in die Öffentlichkeit treten, noch nicht entschieden. Seit der deutsch-russischen Entfremdung im vergangenen Jahr, die mit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine ihren Lauf nahm, feiert die Kreml-Astrologie offenkundig eine Renaissance.
Prigoschins 2013 formierte und bis vor Kurzem mit staatlicher Unterstützung, wenn nicht mit staatlichem Auftrag agierende Privatarmee kämpfte nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Asien und Afrika, und umfasste wohl zuletzt um die 50 000 Mann. Die Gruppe Wagner trägt ihren deutschtümelnden Namen nicht zufällig. Dmitri Utkin, ein neonazistischer Ex-Offizier und Vertrauter Prigoschins, trägt gleichfalls den Kampfnamen Wagner und soll verschiedenen Medienberichten zufolge Gründer der Gruppe sein. Seine Nähe zu Ideologie und Ästhetik des Dritten Reichs seien ausschlaggebend für die Benennung gewesen. Offenbar war Hitlers Lieblingskomponist als Patron gerade recht.
Mehrere Embleme der Kampftruppe kursieren im Internet: ein schwarz-rot-goldenes etwa, das sowohl ein Sowjetstern als auch zwei gekreuzte Schwerter zieren; ein anderes zeigt wiederum einen Totenkopf; ein weiteres präsentiert runenhaft stilisiert den lateinischen Buchstaben W wie Wagner. Besieht man diese Logos, könnte man sie für das Produkt einer ironischen Kunstaktion halten – oder für einen schlechten Scherz. Man ahnt aber auch, aus welchem Verweisnetz die Namenswahl stammt: Eine diffus als faschistisch wahrgenommene Ästhetik wird mit dem Komponisten auf den Plan gerufen.
Aber ist das gegenwärtig überhaupt noch möglich? Ist der Fall Wagner noch ein Fall? Heutzutage – nach Jahrzehnte währender Geisteraustreibung aus dem Haus Wahnfried? Und taugt denn etwas, das so hochkulturell wie harmlos daherkommt, überhaupt für stumpfsinnige Aufmarschiererei?
Aber der Reihe nach. Viel ist geschrieben worden über das Weltbild des Richard W., viel auch über seine Rezeptionsgeschichte vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Nicht alles dazu muss wiederholt werden. Und doch soll hier angemerkt sein, dass der in jungen Jahren nationalliberal gestimmte, in mancherlei Hinsicht durchaus progressive Wagner nicht als der Reaktionär geboren wurde, als der er später in die Geschichtsbücher einging.
Wagners Pamphlet »Das Judenthum in der Musik« ist eine zusammengeschusterte Kampfschrift, dem eigenen Neid auf einen Kollegen entsprungen und aus unterschiedlichen halbseidenen Quellen kompiliert. Die Lektüre ist heutzutage nicht einmal mehr aus kulturgeschichtlichem Interesse zu empfehlen.
Aber wie steht es um Wagners große Musikdramen, deretwegen der Künstler immer noch die Opernhäuser dominiert? Auch in sie hat sich das Ressentiment in die eine oder andere Stelle eingeschrieben. Aber das ist, möchte man meinen, etwas, womit der mündige Zuhörer im 21. Jahrhundert fertig zu werden imstande ist, besonders wenn Regisseure am Werk sind, bei denen man davon ausgehen darf, dass kein affirmatives bis devotes Verhältnis zum Genius des Komponisten vorherrscht.
So war es keine schlechte Idee, den jüdischen Regisseur Barrie Kosky vor sechs Jahren am Bayreuther Festspielhaus das hochproblematische Stück »Die Meistersinger von Nürnberg« inszenieren zu lassen und das Publikum mit den der deutschen Seele entsprungenen Judenkarikaturen, wie Wagner sie zeichnet, zu konfrontieren.
Wir haben es also mit einem schwierigen Künstler zu tun, auch mit einem herausfordernden Werk, dessen Ambivalenzen nicht geleugnet, sondern befragt werden müssen. Aber mit der berühmten Trennung von Künstler und Werk, die allenthalben und keineswegs zu Unrecht eingefordert wird, ist es allein nicht getan. Eine komplexe Rezeptionsgeschichte, die weit über persönliche und politische Verfehlungen eines Komponisten und die öffentlichen Reaktionen darauf hinausgeht, hat sich den Musikdramen eingeschrieben.
Dass sich derlei beim Hören nicht einfach ausblenden lässt, hat ohne Zweifel auch mit der gewollten mythischen Aufladung des Wagner-Imperiums zu tun. Bis heute sind die legendenumwobenen Festspiele fest in der Hand der Familie. Und was für eine Familie das ist! Man denke nur an Richard Wagners Schwiegertochter Winifred, die noch im hohen Alter, wie für uns der Filmemacher Hans-Jürgen Syberberg dokumentiert hat, wie ein verliebter Teenager vom »Auge des Führers« schwärmen konnte.
Die extremen und extrem unterschiedlichen Reaktionen auf Wagners Werk bei Zeitgenossen und Nachgeborenen, bei Künstlern und Philosophen, manchmal politisch vollkommen unerwartet, schwingen fortdauernd mit. Sie sind Teil des Gesamtkunstwerks Wagner. Man denke auch an die Theorie des Film- und Theaterkünstler Christoph Schlingensief, der fest davon überzeugt war, dass der Krebs, der ihn letztlich das Leben kostete, sich in Bayreuth in ihm festgesetzt habe. Und erwähnt sei an dieser Stelle auch, dass in Israel bislang jedes Mal, wenn Wagners Musik erklingt, ein neues Aufflammen der endlosen Debatte über den Umgang mit dem Komponisten sicher ist.
Bleibt die Frage, ob sich neben Wagners Judenbild und dem »Auge des Führers« auch Jewgeni Prigoschin zum heimlichen Ko-Autor der Kompositionen gemacht hat. Der Name Wagner ist immerhin schon eng mit ihm verbunden. Und wohl nur besonders weltentrückten Musikliebhabern dürfte es dieser Tage gelingen, zunächst an den »Ring des Nibelungen« zu denken und nicht an eine brutale Privatarmee, gespeist aus amnestierten Strafgefangenen, wenn von Wagner die Rede ist.
Was sich aber unvermeidlich in die Kunst einschreibt, dem muss man auch künstlerisch begegnen. Sicher wäre es klug, in dieser kriegerischen Gegenwart Wagners Musikdramen inszenatorisch die Blutrünstigkeit auszutreiben oder aber die Grausamkeit darin auch als den Schrecken offenbar zu machen, den sie wirklich bedeutet. Denn auch das kennen wir aus der Rezeptions- und Aufführungsgeschichte des Komponisten – von Sergej Eisenstein bis Heiner Müller und Einar Schleef: Mit dem Künstler Wagner lässt sich Widerstand gegen den Reaktionär Wagner leisten und auch gegen seine faschistischen Apologeten.
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