Umfragerekorde der AfD: Sanfte Mahnungen an Rechtswähler

Politiker warnen vor Normalisierung rechten Gedankenguts – und vor Pauschalurteilen über AfD-Affine

Die Rechtsradikalen im Land können vor Kraft kaum gehen: Umfragen bescheren der AfD Rekord um Rekord. In Thüringen, wo sie jüngst den ersten Landratsposten gewann, ist sie derzeit mit Abstand stärkste Partei. Ihre Zustimmungswerte liegen bei 34 Prozent, an zweiter und dritter Stelle folgen mit 21 und 20 Prozent CDU und Die Linke. Letztere stellt mit Bodo Ramelow seit 2014 den Ministerpräsidenten und hatte 2019 ein Rekordergebnis von 31 Prozent eingefahren. Auch in Sachsen und Brandenburg, wo 2024 wie in Thüringen die Landesparlamente neu gewählt werden, liegt die AfD in den Umfragen mit je 28 Prozent vorn.

Die etablierte Politik sucht Antworten auf diese Entwicklung – und pendelt zwischen Warnung und Verständnis für Frustrierte im Osten. Zugleich übernehmen nicht nur CDU und CSU, sondern auch die Regierungsparteien zum Beispiel in Sachen Asylpolitik AfD-Positionen, was von der Rechtspartei zufrieden registriert wird.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte am Sonntagabend im ZDF-Sommerinterview, angesichts des Erstarkens der AfD müssten sich die Regierenden fragen, ob sie die richtigen Themen und die richtige Art der Kommunikation gewählt hätten. Er mahnte, man dürfe nicht »jede kritische Frage« von Bürgern »automatisch als Populismus und Rechtsextremismus einordnen«. Viele Menschen wünschten sich Antworten, etwa darauf, was aus ihrem Job werde, wie sich die Inflation entwickle, ob »wir uns im Ukraine-Krieg richtig positionieren« oder mit Blick auf die Flüchtlingsbewegung an Europas Grenzen. Zugleich betonte er, Wählende trügen die Verantwortung dafür, wenn sie eine Partei stärkten, die »zur Verrohung der Auseinandersetzung beiträgt«. Es gehe darum, wieder zu lernen, »demokratischen Streit miteinander zu führen, ohne in Hass und Hetze auszubrechen«.

SPD-Chef Lars Klingbeil warnte vor einer Normalisierung rechten Gedankenguts. Es gelte zu verhindern, dass »rechtsextreme Erzählungen in der Mitte einer inzwischen ermüdeten Gesellschaft« ankämen, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die »Ermüdung« führt der Politiker auf Zukunftsängste infolge von drei Jahren Krise »durch Pandemie, Krieg in Europa, Energiekrise und Inflation« zurück. Sie bildeten einen »Nährboden für Populismus« der Rechten.

Klingbeil räumte aber auch ein, dass die Zerstrittenheit der Regierungskoalition zur Verunsicherung beigetragen habe – die die Union aber weiter fördere. Kritik am Agieren der eigenen Partei und der Regierung übte auch die Ko-Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang. Der »Frankfurter Allgemeinen« sagte sie: »Jeder sollte schauen, welchen Anteil er trägt, und die Schuld nicht nur bei anderen suchen. Ich sehe für uns die Aufgabe, mehr Sicherheit zu geben.« Zwar sei es »zu platt zu sagen: Wer wenig Geld hat, wählt radikal.« Aber, so Lang: »Unsicherheit in sozialen und wirtschaftlichen Fragen bildet den Nährboden für radikale Parteien. Das sehen wir im Osten besonders stark.«

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz gab einmal mehr den standhaften Demokraten im Widerstand gegen Rechtspopulismus, auf dessen Klaviatur er insbesondere in Sachen Energiepolitik und Fluchtpolitik selbst mit Vorliebe spielt. Im Gespräch mit der »Frankfurter Allgemeinen« (Montag) lenkte Merz die Aufmerksamkeit gleichwohl geschickt auf die Ampelkoalition. Mit dieser sei in »zentralen Fragen« bislang keine Einigung möglich gewesen. Bei der Ablehnung des Untersuchungsausschusses zur Scholz/Warburg-Affäre habe sie »sogar die Minderheitenrechte des Parlaments nicht mehr geachtet«. Angesichts dessen müsse man sich »über Ausweichreaktionen zu radikalen Parteien nicht wundern«, so Merz.

Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber schloss jede Zusammenarbeit der Unionsparteien mit der AfD aus – die auf kommunaler Ebene allerdings längst stattfindet. Weber sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, die AfD wolle das zerstören, wofür CDU und CSU immer eingetreten seien. Deswegen sei sie nicht nur politischer Konkurrent, »sondern Gegner und Feind«. Die Union werde den »Kampf gegen die AfD« ins Zentrum des Wahlkampfs zur Europawahl 2024 stellen, so Weber.

Ricarda Lang spielte derweil auch auf das an, was CDU und CSU parallel betreiben: einen Wettstreit mit der AfD um rechte Positionen. Die Union müsse sich fragen lassen, ob sie nicht die Verunsicherung von Menschen für »rechten Kulturkampf« missbrauche.

Bei diesem steht seit Monaten Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer an vorderster Front. Zuletzt forderte er am Wochenende auf einem Sommerfest der Gewerkschaft der Polizei eine weitere Verschärfung des Asylrechts. Mit Blick auf den Gewaltakt eines Afghanen gegenüber einem Lokführer und auf Ausschreitungen von Eritreern in Gießen sagte er, der Flüchtlingsstatus müsse solchen Personen aberkannt werden. Erst in der vergangenen Woche hatte der Europäische Gerichtshof geurteilt, dass ein solcher Schritt in den meisten Fällen nicht möglich ist. Straftaten können demnach nicht das Menschenrecht auf Schutz und körperliche Unversehrtheit auslöschen.

Kretschmer beruft sich bei seinem Vorstoß auf das Empfinden von »80 Prozent der Bevölkerung«. Ein Flüchtlingsstatus für Straftäter? »Da sind wir eigentlich der Meinung, dass das nicht richtig ist«, so der Ministerpräsident. Zuvor hatte er eine weitere Kürzung der Sozialleistungen für Geflüchtete gefordert. Kretschmer sieht seine Vorschläge als »wunderbare Prävention« gegen jene, die Einzelfälle nutzen, um »eine böse Stimmung« zu machen.

Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter will derweil offenbar zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl die Kanäle für eine Koalition mit der Union im Bund offenhalten. Er lobt das Agieren der CDU-Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, Daniel Günther und Hendrik Wüst. Von »progressiver Seite« brauche es Wertschätzung für »anständige Konservative« wie sie, so der Bundestagsabgeordnete. In den genannten Bundesländern sind die Grünen Juniorpartner der CDU in den dortigen Landesregierungen.

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