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Ein unsichtbarer Gast namens Sahra W.
Ist Die Linke noch zu retten? In Berlin wurde versucht, über das Gemeinsame in einer zerstrittenen Partei zu sprechen
Dass Linke sich sogar anlässlich von Erfolgen eher beharken als selbst feiern, ist ein altes Ärgernis – oder wird zumindest so empfunden. Nun hat die Linkspartei seit Längerem nicht mehr viel zu feiern. Hier mal eine Oberbürgermeisterin, da ein Bürgermeister, dort mal eine medienwirksame Aktion. Um das ins Bewusstsein zu rücken, veröffentlicht die Linke-Geschäftsstelle neuerdings einmal im Quartal einen Erfolge-Flyer. Doch die Partei steckt in der Krise, hat viele schlechte Wahlergebnisse kassiert, kommt in den Umfragen nicht auf die Beine und wird von einer anhaltenden Spaltungsdebatte strapaziert.
Dabei könnte der Theorie nach alles so leicht sein. Die soziale Spaltung vertieft sich, rechte Kräfte werden stärker, in Europa tobt ein Krieg, die Bundesregierung gibt Unsummen für Militär und Rüstung aus – genügend Reibungsflächen für eine linke Partei, um sich zu profilieren. Aber es gelingt nicht, weshalb es in der Partei grummelt und brodelt. Die Unzufriedenheit ist mit Händen zu greifen, hier und da wurde schon ein Sonderparteitag verlangt.
»Ist Die Linke noch retten?«, hieß deshalb eine Veranstaltung, auf der die Problemlage diskutiert werden sollte. Der Titel ist keinesfalls zu dramatisch gewählt, aber über das Podium hängte man dann doch lieber die etwas erbaulichere Losung »Die Linke stark machen«. Die Initiative zu dem Gespräch am Donnerstagabend am Berliner Franz-Mehring-Platz, so hörte man, ging von Ellen Brombacher aus, seit Jahrzehnten einer der wichtigen Köpfe in der Kommunistischen Plattform. Neben ihr saßen Fraktionschef Dietmar Bartsch, die Abgeordneten Gesine Lötzsch und Gregor Gysi. Vier Leute, die seit Beginn der PDS in Ostdeutschland ihre Verdienste um die Partei haben. Aber jetzt diese Runde, mehr als 15 Jahre nach Gründung der gesamtdeutschen Linkspartei?
Es ging darum, mit der verunsicherten, zweifelnden, von vielen Fragen bewegten Parteibasis Ost ins Gespräch zu kommen. Wobei eine fünfte Person zwar nicht auf dem Podium saß und auch nicht im Raum war, aber faktisch die Tagesordnung dominierte: Dreh- und Angelpunkt der Debatte war die Haltung der in den Medien omnipräsenten Sahra Wagenknecht zu ihrer Partei und umgekehrt, die Entfremdung und Konfrontation, die Pläne für ein eigenes politisches Projekt. Ein Gespräch über die abwesende Frau Wagenknecht, könnte man frei nach dem Dichter Peter Hacks sagen, auf den Wagenknecht bekanntlich große Stücke hält.
Einer der Hauptvorwürfe Wagenknechts, vorgetragen als Dauerschleife in TV-Talks, Interviews, Podcasts und Zeitungskolumnen: Die Linke vernachlässige sträflich ihr Profil als soziale Kraft und Friedenspartei. Bekräftigt auch in ihrem Bestseller »Die Selbstgerechten«. Ein Befund, den viele in der Partei und offenbar auch im Saal teilen, denn es muss ja einen Grund haben, dass es der Partei bei Wahlen und in Umfragen schlecht geht. Ellen Brombacher spricht von Bestrebungen in der Partei nach Regierungsbeteiligung im Bund – »das würde bedeuten, die Staatsräson der BRD anzuerkennen und damit die Nato zu akzeptieren«. »Einfach unwahr« nennt es dagegen Dietmar Bartsch, der Linken ein Abrücken von friedenspolitischen Grundsätzen zu unterstellen: »Die Linksfraktion im Bundestag hat nie einem Auslandseinsatz der Bundeswehr und nie einem Rüstungsexport zugestimmt.«
Immerhin: Es gibt offenbar die Erkenntnis, dass die Kernpunkte des linken Selbstverständnisses wieder stärker in den Vordergrund gerückt werden sollten. Für Gysi sind das – statt als Partei der 1000 kleinen Dinge wahrgenommen zu werden – »Frieden, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit mit sozialer Verantwortung, Gleichstellung von Mann und Frau, Gleichstellung von Ost und West«. Noch knapper sagt es Bartsch: »Wir sind die soziale Kraft, wir sind die Friedenspartei, wir vertreten ostdeutsche Interessen. Punkt.«
Die entscheidende Frage lautet: Sind die Differenzen zu Wagenknecht und ihren Anhängern so groß, dass nur noch Rückzug bleibt oder sogar ein neues Parteiprojekt? Wagenknecht hat das für sich teilweise beantwortet – sie will wegen gravierender Meinungsunterschiede nicht mehr für Die Linke kandidieren und erwägt genau darum eine Neugründung. Für sie ist Die Linke nicht mehr zu retten; deren Führung hält sie für unfähig. Der Parteivorstand hat deshalb eine Trennlinie gezogen: »Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht« ist ein Beschluss von Anfang Juni überschrieben.
Das findet Gregor Gysi falsch. »Ich bin gegen eine Spaltung«, sagt er, »aber auch dagegen, Sahra loszuwerden.« Ellen Brombacher meint, die Partei solle nicht aufhören, um Wagenknecht zu kämpfen: »Es ist ein großer Unterschied, ob sie geht oder ob wir sie wegschicken.« Linke-Bundesgeschäftsführer Tobias Bank, der den Abend moderiert, erklärt, dass der Vorstandsbeschluss eine Reaktion auf Wagenknechts Dauerattacke sei und erst gefasst wurde, als es Belege dafür gab, dass in mehreren Landesverbänden Vorbereitungen für eine neue Partei laufen und Leute rekrutiert werden. Mancher im Publikum sieht das anders: »Spaltet Sahra oder spalten wir?« Er meint sogar, die Linke-Führung solle sich bei Wagenknecht entschuldigen.
Die Verabredung für diesen Abend war offenbar, Differenzen zwar deutlich zu machen, aber sich nicht im Streit zu verhaken und ein paar grundsätzliche Gemeinsamkeiten zu betonen. Zumindest diese eine jedenfalls: Die Linke muss verteidigt werden. »Wir haben kein Recht, unsere Partei infrage zu stellen. Für die anderen wäre es viel einfacher, wenn es uns nicht mehr gäbe«, sagt Dietmar Bartsch. »Wir werden gebraucht, um zu verhindern, dass die Gesellschaft nach rechts rückt. Das sind wir den Alten schuldig, die den Faschismus noch erlebt haben, und auch den Kindern«, sagt Gregor Gysi. »Eine Spaltung wäre vermutlich das Ende der Linken. Und eine neue Partei hätte keine Chance. Das wäre dem deutschen Imperialismus sehr recht«, sagt Ellen Brombacher. »Was ist denn aus den Linken in Italien, Spanien, Frankreich geworden? Sie sind nach den Spaltungen deutlich geschwächt, zum Teil fast unsichtbar«, sagt Gesine Lötzsch.
Viel Zustimmung zu Wagenknechts Positionen; kaum Bereitschaft, ihr in eine neue Partei zu folgen – das ließ sich aus den Reaktionen des Publikums am Donnerstagabend ablesen. Sollte das ein Maßstab für die Stimmung in der gesamten Linken sei, ergeben sich Fragen. Wagenknecht muss sich fragen, mit wem sie ihr Projekt eigentlich betreiben will. Die Linke-Führung muss sich fragen, ob und wie sie die Abspaltung verhindern kann und wie sie auf die vielen in der Partei zugehen will, die Wagenknecht in entscheidenden Punkten recht geben. Mal sehen, ob dazu etwas in einem der nächsten Erfolge-Flyer der Linkspartei zu lesen sein wird.
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