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Frauen in Bars: Die Tresenhocker des Patriarchats
Die Figur des einsamen, männlichen Trinkers umgibt eine Magie, die seit Bukowski ungebrochen scheint. Mit ihrem Essay »Eine Frau geht einen trinken. Alleine.« plädiert die Journalistin Lou Zucker für eine feministische Kehrtwende
Wer kennt sie nicht, die Tresenhocker? Ob mit Sterni in der Hand, geschütteltem Martini oder Whiskey Sour – meist sind sie allein, männlich und fühlen sich sichtlich wohl an ihrem angestammten Platz. Im schlimmsten Fall fliegen sie nach dem neunten Bier raus, im besten Fall haben sie »keine Termine und leicht einen sitzen« (Harald Junke), geben sich dem Dolce Vita hin und warten darauf, dass endlich etwas passiert. Herr Lehmann lässt grüßen.
Für viele Frauen und queere Menschen hingegen bedeutet allein am Tresen zu sitzen jedoch strenge Selbstüberwachung. Wo setze ich mich hin? Wie mache ich glaubhaft, dass ich nicht nur allein bin, sondern auch allein bleiben will? Und sehe ich dabei eigentlich so aus, als hätte ich mein Leben im Griff?
In der neuesten Ausgabe der eigenwillig kuratierten und aufwendig illustrierten Maro-Hefte versucht sich die Autorin Lou Zucker an einer Kulturhistorie des mulmigen Gefühls, das nächtliche Streifzüge im Alleingang bei vielen Frauen auslösen: eine Mischung aus Angst, Trotz und Selbstzweifel. Zucker argumentiert dabei von Grund auf materialistisch. Die Trennung zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit versteht sie als ein Herrschaftsinstrument des Patriarchats. Frauen wird im Zuge der Herausbildung der bürgerlichen Kleinfamilie im 19. Jahrhundert die häusliche Sphäre zugewiesen. Das Flanieren im öffentlichen Raum, die vita contemplativa und auch der Aperitif am Vormittag wird so zum männlichen Privileg.
Die Verbannung von Frauen aus dem öffentlichen Raum führt dabei – mit Clara Zetkin – vor allem dazu, »die Proteste der Arbeiter*innen zu zerschlagen und Frauen zu gefügigen, unbezahlten Reproduktionsarbeiter*innen zu machen« – ein kapitalismuskritischer Gedanke, der sich durch den gesamten Text zieht und sich in aktuelle Diskurse einreiht. Wie Zucker klug herausarbeitet, hat die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum beziehungsweise die Frage danach, wer sich wo aufzuhalten hat, viel mit weiblicher Sorgearbeit zu tun. Es gehen grundsätzlich weniger Frauen als Männer in Bars und sie trinken auch weniger Alkohol – das mag damit zusammenhängen, dass manche von ihnen zu erschöpft sind für das Feierabendbier in Gesellschaft.
Neben weiteren Zitaten feministischer Denker*innen (unter anderem von Angela Davis und Silvia Federici) erkundet Zucker in erzählenden Passagen die eigene Leidenschaft für Bars und lässt diverse Kneipengänger*innen von ihren Erfahrungen erzählen. Da ist die 44-jährige Bettina und die Erzählung von ihrem Gang in eine Homo-Bar als Jugendliche. Da ist die 19-jährige Barkeeperin Fine, und Anette, die sich mit 57 Jahren im öffentlichen Raum nicht mehr wahrgenommen fühlt, aber jahrzehntelang mit freudiger Gedankenlosigkeit im Schankbetrieb versackt ist.
Sie alle eint eine ambivalente Faszination für diesen Ort: die Bewegungen der Barkeeper, die potenzielle Begegnung, die Geräusche und schließlich das Gefühl, hier einen Platz zu finden, der einem im Draußen verwehrt bleibt. Gleichzeitig scheint die Bar in diesen Erzählungen auch der Schauplatz patriarchaler Machtpraktiken und männlicher Gewalt. Berichte von taxierenden Blicken, ungewollten Flirtversuchen und gezückten Schlüsseln auf dem Nachhauseweg verdeutlichen dies. Auch Vergewaltigungen und K.O.-Tropfen kommen im Text vor.
Besonders überzeugend ist Zucker, wenn sie diese Ambivalenz emotional auserzählt. Über ihre eigene Angst vor sozialem Ausschluss alleine in der Bar schreibt sie beispielsweise: »Frau allein, leicht zu haben, Freiwild, auf der Suche, verzweifelt, einsam, keiner will sie, hat ihr Leben nicht im Griff.« Sie und andere berichten davon, was es bedeutet, sich trotzdem aufzuraffen, sich zu wehren und Raum einzunehmen. Diffuse Gefühlslagen werden außerdem durch zum Teil frappierende historische Fußnoten und Statistiken dekonstruiert. Noch im Jahr 2000 wurde zwei Frauen der Zutritt zur Brasserie Fouquet in Paris verwehrt – Damen ohne (männliche) Begleitung waren in dem historischen Lokal nicht erwünscht. Auch in den USA haben Frauenverbote in Bars seit Anfang des 20. Jahrhunderts Tradition und galten in einzelnen Gaststätten bis in die 1980er Jahre.
Der Essay »Eine Frau geht einen trinken. Alleine« ist in diesen und andere Details eine vielschichtige Abrechnung mit dem Patriarchat. Die Solidaritätsbekundungen mit unterschiedlichen marginalisierten Gruppen und vielen statistischen Daten sind vor diesem Hintergrund zwar konsequent, es mangelt ihnen aber zum Teil an (utopischem) Esprit. Lange danach suchen muss man trotzdem nicht: Die wunderbaren Illustrationen von Josephin Ritschel lassen in luxuriös verspielten Interieurs und space age Farben die Sehnsucht der Nacht auch in den Text einziehen. Eine Superheld*in geht in eine Superheld*innenbar, eine Frau in High Heels positioniert sich in Yoga-Pose vor dem Tresen, eine andere sucht den Blick ins Weite. Auch sie sind fragil, aber sie sind da und zeigen das, was sich womöglich alle trinkfreudigen lonesome ladies und Queers wünschen: das soziale Stigma des Alleinseins zu überwinden und die Tassen zu heben. Alleine. An der Bar.
Lou Zucker: Eine Frau geht einen trinken. Alleine. Mit Illustrationen von Josephin Ritschel. MaroVerlag, 36 S., brosch., 16€.
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