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Deutsche Post Punk: »Vielleicht sind wir auch nur ein Meme«
Eine neue Hamburger Band wie Diogenes aus der Tonne: Die Deutsche Post Punk
Es ist Freitagvormittag im malerischen Quartier de Grenelle, einem bezaubernden Viertel im Herzen von Paris. Hier im 15. Arrondissement, ganz in der Nähe des majestätischen Eiffelturms, entfaltet sich eine wahre Modeunterwelt. Es ist Ende Juni, Fashionweek, das Schaufenster der Exklusivität, in der Spaßgesellschaft sich selbst feiert. Ein gewöhnliches Parkhaus in Grenelle verwandelt sich in einen Laufsteg, das hat dann die »Ecken« und »Kanten«, die es für eine Modeschau besonders machen. Inmitten der Dunkelheit wird das Innere des Parkhauses kunstvoll beleuchtet und zieht die Blicke auf sich. Eine spiralförmige Rampe führt hinab in die Tiefen des Glamours.
An diesem verheißungsvollen Ort ist es der gefeierte japanische Star-Designer Mihara Yasuhiro, der regelmäßig Kollektionen für das renommierte Label Puma entwirft und auch seine eigene Linie führt, der die Modewelt mit seinen sommerlichen Kreationen beeindrucken will. Trotz der tristen Kulisse verströmt die Szenerie pure Exklusivität. Ein üppiges Buffet wartet mit erlesenen Häppchen: zartes Sushi, edles Markenwasser und delikate Pasta-Gerichte mit Trüffel und Hummus. Gegenüber nehmen junge, überwiegend männliche Models Platz, ähnlich wie bei einem exquisiten Buffet. Ihre langen, drahtigen Körper und markanten Gesichtszüge werden von einem Team von Stylisten und Maskenbildnern gleichzeitig bearbeitet, um sie für die bevorstehende Show vorzubereiten. Immer wieder eilen Personen mit Headsets durch das Parkhaus und geben kryptische Anweisungen, was ihnen eine Aura von eminenter Bedeutsamkeit verleiht. Es scheint, als wimmelte es hier von »wichtigen« Menschen.
Doch inmitten dieses schillernden Modekosmos sitzen drei Männer auf bescheidenen Klappstühlen, die scheinbar nicht in dieses Bild passen wollen. Durchschnittlicher Körperbau, die Gesichter teilweise von Bärten geschmückt und ihre wilden, langen Haaren heben sie sich deutlich von der Masse ab.
Es scheint fast so, als würde Mihara seine Models so wie die drei Männer aussehen lassen wollen, nur, dass der Look bei ihnen ungezwungen ist. Ähnlich wie in der griechischen Antike bei Diogenes aus der Tonne und bei den Hedonisten. Diogenes, der sich in seinen Lumpen wohlfühlt und die Hedonisten, die sich diese Lumpen überziehen, um sich zu schmücken.
Die drei Männer sind Teil einer vierköpfigen Band, ihr Name: »Die Deutsche Post Punk«. Dieses Hamburger Kollektiv, das sich eher dem psychedelischen Rock als dem klassischen Punk verschrieben hat, mag im Vergleich zu den anderen Anwesenden unscheinbar wirken. Doch ihre Musik erzeugt »eine einzigartige Atmosphäre, eine Art tranceartiges Erlebnis, das ihre Live-Auftritte zu unvergesslichen tribalen Ereignissen macht«, wie Bandmitglied Lion verrät. Sein kahl rasierter Kopf an den Seiten mit den blondgefärbten Haaren oben drauf macht ihn auf seine eigene Weise zu einer faszinierenden Erscheinung. Die Deutsche Post Punk hat bisher noch kein Studioalbum veröffentlicht, und ihre Musik findet man auch nicht auf den gängigen Streamingplattformen. Lediglich auf Soundcloud sind einige Mitschnitte ihrer seltenen Live-Auftritte zu finden.
Kurz vor Beginn der Show wird es aber auch bei der Band etwas hektisch: »Kann ich dein T-Shirt anziehen? Ich habe meins irgendwie verlegt«, sagt Bassist Nikita zu einem Freund. Ganz egal ist ihnen das äußere Erscheinungsbild aber nicht. Eigens für die Show haben sie sich von Maurice Oong, einem befreundeten Designer aus Hamburg, T-Shirts machen lassen, Modeschau auf der Modeschau quasi.
Aber ist das noch Punk? »Vielleicht sind wir auch nur ein Meme«, sagt Nikita.
Und warum wurde ausgerechnet diese unbekannte Band auserwählt, der Hauptact bei der Modeschau des gefeierten Star-Designers Mihara zu sein? Es mag damit zusammenhängen, dass das vierte Mitglied, Sängerin Apollonia, sich unter den Models befindet, die gleich über den Laufsteg geschickt werden. Aber auch damit, dass Mihara sich bei seiner sehr Denim-lastigen Kollektion von den Outfits, die die Ostdeutschen beim Fall der Berliner Mauer getragen haben, hat beeindrucken lassen. Vermutlich hat der Japaner auch deswegen eine deutsche Band eingeladen. So ordnet es die Modejournalistin Barbara Markert ein. Sie war auch unter den Gästen der Show von Mihara und war überrascht vom Auftritt von Die Deutsche Post Punk.
Mittlerweile haben sich die Models in ihren oversized Denim-Zwirn in eine Reihe gestellt und warten darauf, bis ein Person mit Headset ihnen das Signal zum Laufen gibt. Die Deutsche Post Punk steht schon bereit, auf einer kleinen Bühne mitten auf dem Laufsteg im Parkhaus.
Und plötzlich geht es los, die ersten Models kommen um die Ecke und die Band zeigt, warum sie eingeladen wurde. Mit einer aufbrausenden Intensität beginnt das Spiel. Eine verschmelzende Melange von schwebenden Gitarrenriffs, hypnotischen Rhythmen und schier endlosen Klangschichten treiben die Models an. Mitten in der Show wechselt Sängerin Apollonia vom Laufsteg auf die Bühne, ihr energetischer Gesang – ein weiteres Triebwerk. Zum Finale laufen alle Models gesammelt los und die Band verschwindet hinter einer Wand aus Menschen. Leute, die aussehen sollen wie Punks, verdecken die echten Punks. Wie bei Diogenes und den Hedonisten.
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