- Kommentare
- Bildung und Integration
Integrationsunwillige Ampel
Das Familienministerium streicht eine Bildungsberatung für junge Zugewanderte. Christoph Ruf sieht bereits grüne Krokodilstränen kullern.
Kennen Sie einen gut integrierten Asylbewerber und dessen Familie? So was wie: Familienvater arbeitet beim Bäcker, Mutter im örtlichen Krankenhaus, die Kinder sprechen akzentfrei Deutsch und sind Lehrerinnen und Mitschülern ein Wohlgefallen? Dann sollten Sie schnell aktiv werden. Sorgen Sie dafür, dass sie den Pass wegwerfen, Unsinn machen und dabei die Bundesländer wechseln. Abschieben geht dann nicht mehr. Vor 10 Jahren aus dem falschen Land eingereist zu sein, ist fatal. Es sei denn, man hat keinen Pass mehr.
Wer das alles noch versteht, muss Innenpolitiker einer der beiden ehemaligen Volksparteien sein. Wobei: Wenn Wahlkampf ist, wie gerade bei Nancy Faeser in Hessen, dann tut man gerne mal so, als verfahre man nach logischen Maximen. Und sorge dafür, dass Integration auch gelingen kann.
Wie verlogen das ist, zeigt der Umgang mit dem »Bundesprogramm Garantiefonds Hochschule (GFH)«. Kennen Sie nicht? Ich bis vor kurzem auch nicht. Und dass das Programm, obwohl es seit Jahrzehnten existiert, so unbekannt ist, dürfte der Hauptgrund sein, warum das Ampel-Kuriositätenkabinett es gerade mal eben auf null zusammengestrichen hat. Hat nämlich keiner gemerkt. Rot-grüne Krokodilstränen können also weiterfließen, wenn die AfD wieder Forderungen stellt, die grüne Ministerien schon lange übererfüllen.
Aber der Reihe nach: Wenn unser eingangs erwähnter Bäcker nach drei Jahren des Brötchenbackens auf die Idee kommen sollte, ein Studium aufzunehmen, hätte er sich bislang an eine der 22 vom GFH finanzierten Beratungsstellen und die von ihnen koordinierten 100 mobilen Beratungsteams wenden können. Die kümmerten sich bislang nämlich um alle Zugewanderten, die ein Studium aufnehmen wollen. Man prüfte die Zeugnisse aus dem Ursprungsland, erarbeitete zusammen mit den Studis einen Bildungsplan und schaute, wie sich der realisieren lassen könnte. »Meine beruflichen Erfahrungen haben mich davon überzeugt, Migranten und Migrantinnen als Bereicherung unserer Gesellschaft zu sehen«, schrieb mir eine Betreuerin. Und das sei auch wörtlich gemeint: Viele hätten »beruflich erfolgreich Fuß gefasst und haben die damalige Förderung durch ihre Steuergelder nach abgeschlossenem Studium um ein Vielfaches zurückgezahlt.«
Man muss sich das mal vorstellen: Die gleichen Politiker, die nicht müde werden zu beheulen, dass es in diesem Land an Ärzten, Lehrerinnen und 58 anderen Berufsgruppen fehlt, kappen ein Programm, das dafür sorgt, dass ein syrischer Medizinstudent, der kurz vor seinem Abschluss aus Aleppo geflüchtet ist, in einem hiesigen Krankenhaus arbeiten kann.
Noch absurder ist das Ganze, wenn man sich – man muss das im Sinne eines erfüllten Lebens wirklich nicht täglich tun – in die Gedankenwelt rot-grüner Politiker hineinversetzt, die ja angeblich bis zum letzten Blutstropfen für das Grundrecht auf Asyl kämpfen. Denn ein besonderes Augenmerk des GFH-Programms lag auf Sprachkursen – der besten und günstigsten Integrationsmaßnahme überhaupt. Und zwar für Geflüchtete, Spätaussiedlerinnen, Kriegs-Traumatisierte und jüdische Migranten. Sie alle standen im Mittelpunkt des natürlich schlecht bezahlten, aber mit viel Idealismus betriebenen Programms. Wer weiß, wie schwer es ist, im hochgradig überbürokratisierten und unlogischen Paragraphendschungel um die Anerkennungspraxis den Überblick zu behalten, kann da nur den Hut zücken. Doch statt des Bundesverdienstkreuzes (und eines adäquaten Gehalts) bekommen die Leute die Kündigung.
Für die Streichung des Programms ist übrigens das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verantwortlich. Geleitet wird es von Lisa Paus, über die man allerdings nicht voreilig den Stab brechen sollte. Ihr verdanke ich nämlich die Erkenntnis, dass die Grünen einen linken Flügel haben. Denn dem gehört sie ausweislich ihres Wikipedia-Eintrages an.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.