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Stephan Steinlein: Diener zweier Staaten
Stephan Steinlein ist ein Unikum in der deutschen Diplomatie
Dabeigewesene erinnern sich noch heute mit Empörung: »Kein Anstand, geschweige Respekt.« Gemeint ist die Übernahme diplomatischer Missionen der DDR in immerhin 135 Staaten rund um den Globus durch Vertreter des bundesrepublikanischen Auswärtigen Amtes. »Da wurden bereits vor dem 3. Oktober Inventarlisten erstellt, Mobiliar und Meißner Porzellan gezählt. Unwürdig und geschmacklos« nennt dies gegenüber »nd« eine ehemalige Mitarbeiterin der DDR-Botschaft in Paris, damals in karrierehoffnungsvollen Mittdreißigern und junge Mutter: »Sie haben unseren Kindern die Schulbank unterm Hintern weggezogen und die Tafel abtransportiert, noch bevor der DDR das Licht ausgeknipst worden ist.« Ihre Tochter war seit einem Monat stolze Erstklässlerin in der Schule der DDR in Frankreichs Hauptstadt.
Intervenierte Stephan Steinlein nicht? Er war mit 29 frisch gekürter Botschafter des ostdeutschen Staates an der Seine, dorthin entsandt vom ebenfalls frischgebackenen Außenminister der letzten DDR-Regierung und gleich jenem Theologe von Beruf. Zwei Quereinsteiger. Markus Meckel fühlte sich im inzwischen längst weggesprengten Domizil des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR am Spreeufer Unter den Linden in Berlin wie »in einem feindlichen Haus« (so jüngst im ZDF) und schaute sich nach »vertrauenswürdigen Leuten« im eigenen engeren Umkreis um.
Die Medien überschlagen sich in heller Begeisterung, dass es nun mit der Berufung von Steinlein als Botschafter in Paris ein Unikum gibt: einziger Diplomat für beide deutsche Staaten auf demselben Posten. Tatsächlich wurde auch das komplette diplomatische Personal der DDR abgewickelt und in die Arbeitslosigkeit verbannt. Per ministerialer Order von Hans-Dietrich Genscher. Einige wurden ob ihrer Sprachkompetenz und intimen Kenntnisse von Land und Leuten von internationalen Gremien wie der Uno oder OSZE dankend übernommen. Die meisten, vor allem Jüngere, mussten sich jedoch vollkommen neu orientieren. Eine DDR-Botschafterin etwa sattelte auf den Bock einer Taxifahrerin um.
Steinlein, Absolvent des »Sprachenkonvikts« der Theologischen Hochschule in Berlin (Ost) und Doktorand bei Wolfgang Ullmann, der leidenschaftlich wie kaum ein Zweiter für eine neue Verfassung des vereinigten Deutschlands stritt, hat nach seinen sechs Wochen 1990 in Paris als Chef des Corps Diplomatique der République démocratique allemande (RDA/DDR) die Schule des Auswärtigen Amtes durchlaufen, um an der Seite von Frank-Walter Steinmeier Karriere zu machen: im Kanzleramt, im Leitungsstab des Auswärtigen Amtes und im Bundespräsidialamt.
Der mit einer Französin aus dem Elsass verheiratete viermalige Vater, seit 2010 Mitglied der SPD (als viele Sozialdemokraten der Partei ob Gerhard Schröders »Agenda« den Rücken kehrten), wird diesmal ordentlich akkreditiert. 1990 war ihm kein poignée de main (Händeschütteln) im Élysée-Palast mit François Mitterrand vergönnt, dem seinerzeitigen Präsidenten der Republik Frankreich und großen Skeptiker, ja eigentlich eingeschworenen Gegner der deutschen »Wiedervereinigung«. Nun, Emmanuel Macron wird Stephan Steinlein entschädigen.
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