Werbung

Warum Berlin Büros und keine bezahlbaren Wohnungen baut

In Berlin scheint alles profitabler zu sein als Wohnraum. Das Problem ist wie immer der Kapitalismus, betont Nathaniel Flakin

  • Nathaniel Flakin
  • Lesedauer: 4 Min.
In Berlin stehen über 750.000 Quadratmeter Bürofläche leer. Aber es wird immer mehr gebaut – zum Beispiel der »Amazon Tower« in Friedrichshain.
In Berlin stehen über 750.000 Quadratmeter Bürofläche leer. Aber es wird immer mehr gebaut – zum Beispiel der »Amazon Tower« in Friedrichshain.

Mitte Juli besetzten Aktivist*innen eine Wohnung in der Hermannstraße 48 in Berlin Neukölln. Wie »nd« berichtet, steht das Loft schon seit mehreren Jahren leer. Es könnte eine WG für bis zu zwölf Personen sein. Doch der neue Eigentümer des Gebäudes will die Räume als Büros vermieten. Vor anderthalb Jahren habe ich berichtet, wie die 140 Bewohner*innen der H48 vergeblich versucht haben, ihr Haus zu kaufen.

Was braucht Berlin dringend? Bezahlbaren Wohnraum. Ich habe gerade von einem Studenten gehört, der 700 Euro für neun Quadratmeter zahlt. Das ist das Drei- bis Vierfache dessen, was ich für ein Zimmer bezahlt habe, als ich vor zwei Jahrzehnten nach Berlin zog.

Was bekommt Berlin stattdessen? Büroräume. Endlose neue Bürotürme. Es scheint keine Rolle zu spielen, dass in der Stadt derzeit über 750.000 Quadratmeter Bürofläche leer stehen. Es wird einfach immer mehr gebaut. Seht Euch den ominösen Amazon-Tower an, der über der Warschauer Straße ragt: Die meisten Amazon-Ingenieur*innen würden es vorziehen, von zu Hause aus zu arbeiten, aber jetzt werden sie in diesem Monument für Jeff Bezos' unbesiegbares Ego gefangen sein.

Kolumne »Red Flag«

»Red Flag« ist eine Kolumne über Berliner Politik von Nathaniel Flakin. Sie erschien von 2020 bis 2023 im Magazin »Exberliner« und fand ein neues Zuhause bei der Zeitung »nd« – als deren erster Inhalt, der auch auf Englisch zu finden ist. Nathaniel ist auch Autor des antikapitalistischen Reiseführers Revolutionary Berlin.

Read this arcticle in English.

Warum keine Mietwohnungen bauen? Ein Bauträger sagte dem RBB: »Jeder weiß: Dafür (6,60 Euro pro Quadratmeter kalt) kann man in Deutschland keine Wohnungen mehr bauen.« Das ist nicht ganz gelogen: Die Kosten für städtische Grundstücke und Baumaterialien steigen rasant. Die Leute der H48 haben gelernt, dass es bis zu 50 Jahre dauern kann, bis die Mieten den Verkaufspreis des Gebäudes amortisieren. Natürlich erwartet kein Investor, keine Investorin eine Amortisation in einem halben Jahrhundert.

Was diese Kapitalist*innen zu sagen versuchen: Es ist für sie unmöglich, Wohnungen zu bauen und dabei einen Gewinn zu erzielen. Das Problem ist, wie immer, der Kapitalismus.

Überall in der Stadt wird gebaut, aber nur für leere Büros, Hotelketten und Eigentumswohnungen, die russische Oligarch*innen zur Geldwäsche nutzen können. In der Nähe meines Hauses werden demnächst in einem nagelneuen Apartmenthaus möblierte Zimmer für maximal drei Monate angeboten, sodass die dort lebenden Menschen keine grundlegenden Mieter*innenrechte haben. Alles, so scheint es, ist profitabler als echter Wohnraum.

Zeitgleich mit der Aktion der H48 verkündete Berlins Senator für Stadtentwicklung, Bau- und Wohnungswesen stolz, dass die Stadt im Jahr 2022 17.310 neue Wohnungen geschaffen habe. Christian Gaebler von der SPD klopfte sich auf die Schulter für all diese »bezahlbaren Wohnungen«. Nur sind diese Zahlen um mindestens 20 Prozent aufgebläht worden, wie ein »nd«-Reporter analysierte.

Und selbst wenn es stimmen würde, sagt die Zahl 17.310 nichts über den Preis dieser Wohnungen aus. Jede neue Eigentumswohnung für Jeff Bezos – und er neigt dazu, ein halbes Dutzend auf einmal zu kaufen, nur für den Fall, dass er eine Stadt besuchen will – findet ihren Weg in die Regierungsstatistiken über »bezahlbaren Wohnraum«.

Der kapitalistische Markt war noch nie in der Lage, angemessene Unterkünfte für die städtischen Massen bereitzustellen. Der einzige Grund, warum es in Berlin jetzt Wohnungen gibt, ist, dass der Osten 1973 das Wohnungsbauprogramm startete und der Westen mit großen öffentlichen Projekten reagieren musste.

Die einzige Möglichkeit, die Mieten wieder zu senken, ist öffentliches Eigentum. Bereits 2021 forderten 59,1 Prozent der Wähler*innen die Enteignung. Die letzten beiden Regierungen haben alles getan, um die Umsetzung dieses demokratischen Beschlusses zu verhindern. Sie setzten eine »Expertenkommission« ein, um Zeit zu schinden. Nun hat diese Kommission zurückgemeldet, dass die Enteignung in der Tat legal und bezahlbar ist – und mehr noch, dass keine andere Maßnahme die Verdoppelung der Mieten in jedem Jahrzehnt aufhalten wird.

Die Enteignungskampagne hat eine englischsprachige Gruppe namens »Right to the City« (R2C). Wie fühlen sie sich fast zwei Jahre nach der Abstimmung? »Ich fühle mich ermutigt«, sagte mir die Aktivistin Rosa Silvan, denn »die Sozialisierung ist unvermeidlich«. Die Gruppe hängt nicht nur überall in der Stadt Plakate auf, sondern unterstützt auch Mieter*innen in kleinen Kämpfen gegen Zwangsräumungen und Mieterhöhungen. Da die Wohnungskrise vor allem Menschen ohne deutschen Pass betrifft, sagt R2C, dass sie bei jedem Treffen wächst.

Schon vor 150 Jahren gab es in Berlin Aufstände gegen hohe Mieten und Zwangsräumungen. Die Kapitalist*innen werden einen Weg finden, uns bezahlbaren Wohnraum zu geben, aber nur, wenn sie Angst haben, dass wir sie sonst enteignen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -