Unabhängige Patientenberatung: Neutralität auf der Kippe

Mitten in der parlamentarischen Sommerpause kam der Gesundheitsausschuss zu einer Sondersitzung zusammen, um die Unabhängigkeit der Patientenberatung zu retten. Gesundheitsminister Lauterbach blieb fern – und die Kritik hält an

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 5 Min.
Welche Rechte haben Patient*innen? Gesetzestexte und die Unabhängige Patientenberatung helfen.
Welche Rechte haben Patient*innen? Gesetzestexte und die Unabhängige Patientenberatung helfen.

Eigentlich sollte bis Anfang nächsten Jahres eine Stiftung als neue Rechtsform für die Unabhängige Patientenberatung gegründet werden. Damit wollte die Bundesregierung sicherstellen, dass Patient*innen weiterhin eine neutrale Anlaufstelle für ihre Fragen und Beschwerden haben. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: »Die Unabhängige Patientenberatung überführen wir in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen.«

Doch nun steht nicht nur der Zeitplan, sondern auch die Unabhängigkeit der Beratung in Frage. Wichtige Patientenorganisationen haben gedroht, sich aus dem Projekt zurückzuziehen, wenn die gesetzlichen Krankenkassen die zukünftige Stiftung wie geplant dominieren können. Anfang Juli hatten die Mitarbeiter*innen der Beratung gegen ihre drohende Entlassung und für eine schnelle Übergangslösung vor dem Gesundheitsministerium protestiert.

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Im März hatte der Bundestag das Gesetz zur Reform der Beratung beschlossen, womit die bisher gemeinnützige GmbH in eine Stiftung überführt und mit 15 Millionen Euro jährlich durch die gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden soll. Aus diesem Finanzierungsmodell der Stiftung erklärt sich der Einfluss der Kassen: Statt aus Steuergeldern soll die Beratung künftig aus den Beiträgen der Versicherten bezahlt werden, das legt das Gesetz fest. Dagegen hatten sich allerdings auch die Kassen selbst ausgesprochen. Der Sprecher des Spitzenverbandes Florian Lanz betonte, eine Beratung unabhängig von bestehenden Versicherungsverhältnissen sei eine »gesamtgesellschaftliche Aufgabe und damit ganz klar aus Steuermitteln zu finanzieren«. Mitte Juni beschloss dann der Verwaltungsrat des Kassenverbandes, die Arbeit an der Satzung zu boykottieren. Das Bundesgesundheitsministerium ließ sich auf einen Deal ein und sagte dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen weitgehende Mitspracherechte bei der Besetzung der Geschäftsführung und der Festlegung zukünftiger Beratungsthemen zu. Im Stiftungsrat werde das Ministerium mit den Kassen stimmen, so das Versprechen. Die Krankenkassen wollen hauptsächlich zu medizinischen Fragen beraten, Beratungen zu Reha oder Pflegefragen könnten so wegfallen, obwohl hier großer Bedarf besteht.

Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), hatte harsche Kritik an diesem Deal geäußert: Eine Einflussnahme auf Beratungsinhalte sei »inakzeptabel«, die Unabhängigkeit der Beratung sei gefährdet. Der Sozialverband Deutschland erklärte gemeinsam mit weiteren maßgeblichen Patientenorganisationen, dass sie nicht an einer Beratung mitwirken würden, die vollständig unter der Regie der Krankenkassen stehe und »nicht vorrangig im Sinne der Patientinnen und Patienten agiert«. Die Patientenorganisationen kritisierten, sie seien »an keiner Stelle befragt oder einbezogen« worden, obwohl das Gesetz dies ausdrücklich vorsehe. Die Beratung müsse unabhängig sein von Kostenträgern, Leistungserbringern und Industrie sein, die Krankenkassen seien »offensichtlich nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems«.

Der Bedarf an einer solchen unabhängigen Beratung im komplizierten deutschen Gesundheitssystem ist hoch. Das zeigt auch der Jahresbericht der Beratung: 2022 gab es einen Rekord von 6000 geführten Gesprächen, viele davon psychosoziale Beratungen. Patient*innen streiten sich immer wieder mit ihren Krankenkassen um Leistungen, um Kuren, Prothesen, Operationen – warum sollte hier ausgerechnet der Spitzenverband der Krankenkassen ein Interesse an einer unabhängigen Beratung der Patient*innen haben?

Zu einem Durchbruch kam es offenbar bei der nichtöffentlichen Sondersitzung am Mittwoch nicht. Die Gesundheitpolitikerin der Linkspartei, Kathrin Vogler, hatte die Sitzung beantragt. Dem »nd« gegenüber kritisierte sie, dass es keinen »nahtlosen Übergang« gebe, weder für die beschäftigten, noch für die Patient*innen. Die Bundesregierung habe die Unabhängige Patientenberatung »mit Volldampf vor den Bus geschubst«. Ein »scharfes Schwert in der Hand der Patient*innen« könne die Beratung mit der Übermacht der Krankenkassen nicht sein.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte im Januar bei der ersten Beratung des Parlaments zum Gesetz erklärt, er wolle, dass alle Mitarbeiter*innen in die neue Struktur überführt werden könnten. Die spezialisierten und qualifizierten Berater*innen wolle man nicht verlieren. Doch das scheint Schnee von gestern: Die Vertreterin des Bundesgesundheitsministeriums, Staatssekretärin Sabine Dittmar (SPD) berichtete dem Ausschuss, ein Betriebsübergang seitens des Gesetzgebers sei »bewusst nicht vorgesehen« gewesen. Man habe den Beschäftigten keine verbindlichen Arbeitsplatzzusage gemacht. Den bisherigen Berater*innen sind die Kündigungen zum Jahresende bereits mitgeteilt worden. Die bisher Beschäftigten dürften sich aber neu bewerben, soll Dittmar im Ausschuss versichert haben.

Die Kritik an der Unabhängigkeit der Patientenberatung ist bereits älter: Bis 2015 war die Beratung durch die Patientenverbände selbst erfolgt. Der GKV-Spitzenverband und der damalige Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), hatten sich in einem umstrittenen Verfahren für die Sanvartis GmbH als neuen Anbieter entschieden. Einen Aufruf, die faktische Privatisierung der Beratung zurückzunehmen, unterschrieben innerhalb von weniger als vier Wochen 18 000 Unterstützer*innen, allerdings erfolglos. Der Verbund unabhängige Patientenberatung schrieb in seiner Kritik an der Vergabe an Sanvartis: »Dann kann ja gleich der Leistungserbringer oder Kostenträger die Beratung durchführen, da ist die Interessenlage klar erkennbar.« Das war vielleicht ironisch gemeint, ist jedoch nun kein unwahrscheinliches Szenario mehr.

Die Patientenvertreter*innen trafen sich am Freitag nochmals mit der Staatsekretärin. Das Gespräch sei »in konstruktiver Stimmung« verlaufen, sagte der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen, Gregor Bornes, dem »nd«. Die Sorge bleibe zwar, man wolle aber erstmal einen Entwurf für die Satzung abwarten. Der Zeitplan ist recht knapp: Bereits Ende August will der Spitzenverband der Krankenkassen dem Bundesgesundheitsministerium eine fertige Satzung zur Genehmigung vorlegen.

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