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Leergepumpt und vollgemüllt

Peter Frankopan hat eine Menschheitsgeschichte rund um Umweltzerstörung und Klimawandel verfasst

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 4 Min.
Coca Cola, fast ein Synonym für Kapitalismus, gehört zu den großen globalen Umweltsündern.
Coca Cola, fast ein Synonym für Kapitalismus, gehört zu den großen globalen Umweltsündern.

Eine Weltgeschichte aus Niederschlagsmengen, Sauerstoffisotopen in Eisbohrkernen, Sonnenflecken, Vulkanexplosionen und Temperaturschwankungen, die einerseits Vergangenheit beschreibt und andererseits in eine ungewisse Zukunft weist. Der 1971 geborene Oxforder Professor für Globalgeschichte Peter Frankopan hat sie geschrieben. Sie beginnt mit den Bedingungen menschlichen Lebens auf der Erde vor den ersten Homo sapiens und führt hin bis zur »letzten Generation«.

Es geht um die Wechselwirkungen zwischen dem Klima und den Menschen. Anfangs dominierte die Natur die Entwicklung der Menschheit. Bald veränderten deren Aktivitäten den natürlichen Lebensraum und schufen neue klimatische Verhältnisse. Der Autor beschreibt die Entwicklung von etwa 12 000 v. Chr. bis heute in 25 Kapiteln. Frankopan ist Historiker. Er nimmt für sich und sein Publikum die Herausforderung an, die Menschheitsgeschichte mit natürlichen Entwicklungen abzugleichen, die überwiegend naturwissenschaftlich zu erklären, zu messen und zu bewerten sind. Er trägt dafür ein erstaunlich fulminantes Fachwissen zusammen. Etwa 3000 Anmerkungen verweisen auf die Vielfalt der von ihm studierten und ausgewerteten Quellen – überwiegend angesehene wissenschaftliche Publikationen. Eine verantwortliche Quellenkritik an den von ihm verwendeten naturwissenschaftlichen Befunden kann von einem Historiker vielleicht nicht erwartet werden. Unsicherheiten in der Bewertung solcher markiert Frankopan ohne Scheu in seinem flüssig niedergeschriebenen, spannenden Text. Nichts gilt als bewiesen, was nur behauptet wird, es wird kein Kausalzusammenhang konstruiert, wo es sich nur um Korrelationen handelt.

Die Fülle von Informationen über Naturphänomene aus Zehntausenden von Jahren und ihre Auswirkungen auf die Menschheit kann die Leserin oder den Leser schon überfordern. Kaum zu glauben beispielsweise: »Die Explosion des Vulkans von Santorini um 1600 v. Chr., einer der gewaltigsten Ausbrüche der letzten fünf Jahrtausende (mit einer Sprengkraft von zwei Millionen Atombomben vom Typ der Hiroshima-Bombe) ist ein gutes Beispiel.« Das war vor langer Zeit und wird bis heute naturwissenschaftlich als »Minoische Eruption« diskutiert. Was aber ist in Zukunft zu erwarten? »Die mit Abstand größte Gefahr für das Weltklima geht von Vulkanen aus«, meint Frankopan und weist auf den Ausbruch des Unterwasservulkans in Tonga vom 15. Januar 2022 hin, der die Gewalt von hundert Hiroshima-Bomben (!) hatte. Er sei zum »Hypertreibstoff eines Megagewitters« mit 600 000 Blitzen in drei Tagen geworden.

Das sind die großen, plötzlichen Ereignisse, die das Klima beeinflussen und denen wir Menschen ohnmächtig gegenüber sind. War es bis dahin die Natur, die dem Menschen die Lebensbedingungen aufzwang, ist es seitdem menschliches Handeln, das die Natur verändert. Das geschieht mit großer Beschleunigung und ist allmählich in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Die erforderlichen politischen und praktischen Konsequenzen werden daraus aber nur zögerlich gezogen. In einem atemberaubenden Stakkato zählt der Autor menschliche Umweltsünden auf. Hier nur einige, die neben den hauptsächlich diskutierten Faktoren für die Erderwärmung kaum Beachtung finden:

Beispiel Wasser: Einer der weltgrößten Grundwasserspeicher unter den Great Plains Nordamerikas wird von der Landwirtschaft leergepumpt. »Der Aquifer sei über Jahrmillionen entstanden, doch nun werde er in der Lebensspanne eines einzigen Menschen ausgeschöpft«. Oder: »Bei der Herstellung eines einzigen T-Shirts werden 2700 Liter Trinkwasser verbraucht.« Beispiel Klimaanlagen: »Weltweit entfallen heute 10 Prozent des Stromverbrauchs auf Klimaanlagen und Ventilatoren.« Oder Müllbeseitigung: »Müll wird oft übersehen, obwohl seine Beseitigung für rund 20 Prozent der menschlichen Emissionen verantwortlich ist, vor allem durch die Gärung organischer Abfälle auf Mülldeponien.« Lebensmittelverschwendung: »Geschätzte 8–10 Prozent der globalen Treibhausemissionen gehen auf nicht konsumierte Lebensmittel zurück.« Auch ein Problem, Flaschenwasser: »Eine Untersuchung in Barcelona zeigte, dass Flaschenwasser die Umwelt 3500-mal so stark belastet wie Trinkwasser aus dem Hahn.« Zu den größten Umweltsündern gehören Kreuzfahrtschiffe: »Eine Analyse hat ergeben, dass allein der weltgrößte Kreuzfahrtanbieter 2017 an den Küsten Europas mehr schädliche Abgase freisetzte als alle 260 Millionen Pkws Europas zusammengenommen.« Und besonders schlimm das Militär: »Die US-Army verbraucht mehr fossile Brennstoffe und produziert mehr Treibhausemissionen als jede andere Institution der Welt. In Kriegszeiten steigt der Preis für Gesellschaft und Umwelt drastisch.«

Frankopan zitiert zum Schluss seines höchst aufschlussreichen Buches den Bericht des britischen Rechnungshofs von 2021. »Die Lösung des Klimaproblems ist ganz einfach: Am Ende werde nicht der Mensch, sondern die Natur die Nettoimmissionen auf null bringen. Sie tut das mit einer katastrophalen Entvölkerung, ob durch Hunger, Seuchen oder Krieg.« Vielleicht kommen wir dem nachhaltigen Paradies unserer erträumten Vergangenheit trotzdem mit friedlichen Mitteln näher, schreibt der Autor, »ein Historiker würde allerdings nicht darauf wetten«.

Peter Frankopan: Zwischen Erde und Himmel. Klima – eine Menschheitsgeschichte. A. d. Engl. v. Henning Thies und Jürgen Neubauer. Rowohlt, 1023 S., geb., 44 €.

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