Ecuador: Ein neues Wirtschaftsmodell ist überfällig

Die Erdölförderung kommt an ihre Grenzen und steht beim Referendum teilweise zur Disposition

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die exzessive Ölförderung in Ecuador hat viele Gebiete am Amazonas verschmutzt. Darunter leidet vor allem die indigene Bevölkerung.
Die exzessive Ölförderung in Ecuador hat viele Gebiete am Amazonas verschmutzt. Darunter leidet vor allem die indigene Bevölkerung.

Für die Experten kam die letzte Anzeige des ermordeten Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio nicht sonderlich überraschend. »In den vergangenen zehn Jahren hat ein Korruptionsskandal im Erdölsektor den nächsten gejagt. Von 15 Milliarden US-Dollar Verlusten durch Korruption gehen die Experten aus«, so Esperanza Martínez, Gründungsmitglied von Acción Ecológica. Die 63-jährige Juristin und Biologin beschäftigt sich seit Jahren mit dem Yasuní-Nationalpark, dem Referendum über die Frage, ob das Öl für immer im Dschungelboden bleiben soll oder gefördert werden soll und auch mit den Strukturen rund um die Förderung, die intransparent sind. Immer wieder kommt es vor, dass Politiker der Selbstbedienung oder der Verteilung von klientelistischen Gefälligkeiten bezichtigt werden.

Im Kern ist das auch die Essenz der Anzeige, die Fernando Villavicencio, von der Zentrumspartei Construye (Baue!), einen Tag vor seinem Tod bei der Staatsanwaltschaft eingereicht hat. Es geht um Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Ölverträgen. Politisch verantwortlich war demnach Ex-Präsident Rafael Correa, der Schaden für das Land wird laut Anzeige auf rund neun Milliarden Dollar (8,2 Milliarden Euro) beziffert. Für die Recherche zu den harten Fakten war das Duo Villavicencio und sein Freund und Wahlkampfmanager Christian Zurita verantwortlich.

Förderkosten abrupt gestiegen

Zurita ist seit Sonntag neuer Präsidentschaftskandidat von Construye. Zentraler Vorwurf ist, dass, nachdem die Förderlizenzen für 21 Bohrlöcher der staatlichen Petroecuador an ausländische Gesellschaften vergeben wurden, die Förderkosten abrupt ohne nachvollziehbaren Grund anstiegen. Während Petroecuador das Öl mit Kosten von 18 US-Dollar pro Barrel von 159 Litern Öl förderte und dem Staat in Rechnung stellte, berechneten die internationalen Gesellschaften 43 US-Dollar pro Barrel, so Villavicencio auf den Stufen der Staatsanwaltschaft in einem seiner letzten öffentlichen Auftritte.

Villavicencio war sich sicher, dass derartige Deals ausgehandelt wurden, um die eigenen Taschen von Politikern und Unternehmen zu füllen. Ein Korruptionsnetz sei unter der Ägide des Ex-Präsidenten Rafael Correa geschaffen worden, der derzeit in Belgien im Exil lebt, weil in Ecuador bereits eine Gefängnisstrafe wegen Korruption in einem anderen Fall anhängig ist. Correa bestreitet die Vorwürfe und spricht von politischer Justiz.

Über viele Jahre herrschte Korruption in Ecuador

Für Villavicencio war Ex-Präsident Rafael Correa (2007-2017) das Symbol der Korruption. Nach seiner ersten Amtszeit und dem Fall des Erdölpreises wurde die Korruption deutlich sichtbarer, so der Dekan der juristischen Fakultät der Päpstlichen katholischen Universität von Quito, Mario Melo gegenüber »nd«. »Der Odebrecht-Korruptionsskandal hat auch in Ecuador tiefe Spuren hinterlassen, Rafael Correas Glaubwürdigkeit schwer erschüttert. Was uns fehlt, ist ein neues ökonomisches Modell«, erklärt der 57-jährige Jurist. Zum einen zeige sich das daran, dass nach 50 Jahren Erdölförderung die Förderregionen im Amazonas die ärmsten Gegenden in Ecuador seien. »Es liegt auf der Hand, dass dieses ökonomische Modell uns nicht weiterbringt«, sagt Melo.

Der Reichtum verpuffe, schaffe keine Entwicklung. Zum anderen seien viele Vorkommen erschöpft. Internationalen Studien zufolge werde Ecuador in fünf, spätestens sieben Jahren nur noch so viel Erdöl fördern, um den Eigenbedarf zu decken. Eine wichtige Einnahmequelle versiege und Regierung und Wirtschaft hätten keinen wirklichen Plan. Sie setzten auf Kupfer- und Mineralienförderung. »Doch da sind die Widerstände in den Regionen immens, ich vertrete mehrere indigene Völker, die sich wehren«, so Melo.

Große Steuerungerechtigkeit ist ein Problem

Ecuador hat zusätzlich ein Problem, das in Lateinamerika weit verbreitet ist: ineffiziente Steuersysteme. »Die 50 reichsten und einflussreichsten ökonomischen Gruppen in Ecuador zahlen keine Steuern«, so der Ökonom und Nachhaltigkeitstheoretiker Alberto Acosta. »Laut der Cepal, der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik, sind es rund sieben Milliarden US-Dollar, die sie in die Steuerkasse einzahlen müssten – es aber nicht tun.« Dieses Geld fehlt. Darauf macht auch das Umweltkollektiv der YASunidos in ihrer Kampagne für das Ende der Erdölförderung im Bloque 43 der Yasuní Nationalparks aufmerksam. Ihr Sprecher, Pedro Bermeo, verweist immer wieder darauf, dass sämtliche Erdöleinnahmen seit 2020 ausschließlich in den Schuldendienst fließen und dass die Einnahmen aus dem Bloque 43 sich pro Jahr auf die vergleichsweise niedrige Summe von 147 Millionen US-Dollar belaufen.

Das sei im Vergleich zu den sieben Milliarden US-Dollar, die den Steuerbehörden wissentlich durch die Lappen gehen, ein vergleichsweise geringer Betrag. »Doch was uns fehlt, ist ein nachhaltiger ökonomischer Neustart. Dafür kann das Referendum und mehr Basisdemokratie den Steilpass liefern – falls das Sí für den Schutz des Yasuní Nationalparks beim Referendum gewinnt«, so der 31-jährige Umweltaktivist. Die schlichte Frage lautet: »Sind Sie damit einverstanden, dass die ecuadorianische Regierung das ITT-Rohöl, bekannt als Block 43, dauerhaft im Boden belässt?« Diese Frage dürfen die Wähler*innen nun nach zehnjährigen juristischen Konflikten bei den Präsidentschaftswahlen am 20. August beantworten.

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