- Politik
- Italien
Giorgia Meloni – Karriere einer Faschistin
Die italienische Regierungschefin ist eine beinharte Rechtsextremistin und beruft sich bis heute offen auf die Politik Mussolinis
Die am 15. Januar 1977 in Rom geborene Giorgia Meloni stammt, wie sie gerne betont, aus den einfachen Verhältnissen einer Angestelltenfamilie. Was sie verschweigt: Ihre aus Sizilien stammende Mutter Anna Paratore gehörte dem faschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) an. Ihr Vater Francesco Meloni war ein aus Sardinien stammender Steuerberater, den sie in einem Interview 2006 als überzeugten Kommunisten bezeichnete, der die Familie, als sie drei Jahre alt war, verließ. Dem Beispiel der Mutter folgend, trat sie als 15-jährige Gymnasiastin 1992 in die Jugendfront des MSI ein, eine Kaderschmiede zur Heranbildung des Parteinachwuchses.
Von der Mutter, die sie als gebildete Frau schildert, dürfte ihr bekannt gewesen sein, dass es sich beim MSI um eine Wiedergründung von Mussolinis Partito Nazionale Fascista handelte. Und weiter, dass ihr Gründer Giorgio Almirante Staatssekretär des »Duce«, dessen führender Rassenideologe und unter anderem Mitherausgeber des rassistischen Hetzblattes Difesa della Razza war. Noch kurz vor Kriegsende gab er einen Befehl zur Erschießung von Partisanen heraus, von diesen »Genickschusserlass« genannt. Bei der MSI-Gründung zu dessen Vorsitzendem gewählt, bekannte er sich mit der Würdigung des faschistischen Parteiprogramms von 1919 und der Festlegung im MSI-Programm, »die soziale Idee in der ununterbrochenen historischen Kontinuität fortzuführen«, zur Wahrung des Mussolini-Erbes. Ein Jahr vor seinem Tod hat Almirante die Führung des MSI an Gianfranco Fini übergeben, der durch die Kaderschmiede der Jugendfront gegangen und zu ihrem Leiter, wie später auch Meloni, aufgestiegen war.
1994/95 erlebte sie die Umbenennung des MSI in Alleanza Nazionale (AN), bei der es nach dem Eintritt in die Regierung Berlusconis 1994 darum ging, dem nun regierenden MSI Breite zu verschaffen, eine viel größere Gefolgschaft um die AN zu scharen, ohne die Vergangenheit zu leugnen, sondern die alten Ziele weiter zu verfolgen. Fini hielt, und Meloni folgt ihm hier auch heute noch, am MSI-Parteisymbol fest, der Flamme in den Farben der italienischen Trikolore, die über einem schwarzen Sarg lodert, und, wie die Partei offen propagierte, darstellt, dass »Mussolinis Seele aus dem Sarg emporsteigt, um seine Nachfolger zu ermutigen«. In den 90er Jahren sagte Meloni in einem Interview, Mussolini sei ein »guter Politiker« gewesen.
Ihr Festhalten am unverfälschten Erbe des Mussolini-Faschismus demonstriert Meloni bis in die Gegenwart. Als Assunta Almirante, die Witwe des MSI-Gründers, am 26. April 2022 verstarb, nahm Meloni an der Beerdigung teil – zusammen mit zahlreichen führenden Faschisten ihrer Partei Fratelli d’Italia (FdI, Nachfolgepartei von MSI und AN), die am Sarg »den römischen Gruß« zeigten. Laut dem »Corriere de la Siera« sagte Meloni: »Ich habe ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus.«
Ab Mai 1994 erlebte Meloni die Berlusconis Regierung, die er mit dem in AN umgetauften MSI und der rechtsextremen Lega gebildet hatte. Die linke Zeitung »Il Manifesto« charakterisierte diese Koalition als eine »schwarze Regierung aus Faschisten und Monarchisten, Lega-Leuten und christdemokratischem Schrott, Industriellen, Anwälten und Managern der Fininvest«. AN-Führer Fini bekräftigte seine Treuebekundungen zu Mussolini sowie die Aktualität von dessen Erbe und feierte den »Duce« als »größten Staatsmann des Jahrhunderts«. Er beantragte, das in der Verfassung verankerte Verbot der Mussolini-Partei aufzuheben, um damit deren faschistische Herrschaft zu rehabilitieren.
Der G8-Gipfel im Juli 2001 in Genua bot eine Bühne für Berlusconi, der vorher auf einem Gipfel der EU in Göteborg vor den mehrheitlich sozialdemokratischen Regierungschefs provokatorisch erklärt hatte, Italien von Kommunisten und Exkommunisten (den sozialdemokratischen Linken) »zu befreien«. Ein Polizist tötete den Studenten Carlo Giuliani mit einem gezielten Schuss. Während des Gipfels wurden mehr als 600 Demonstranten festgenommen und in »Gefangenensammelstellen« gepfercht. Viele davon wurden in ihrem Nachtquartier, der Diaz-Schule, blutig zusammengeschlagen, 54 von ihnen in einer Carabinieri-Kaserne unter Hitler- und Mussolini-Bildern gefoltert, während sie »Viva il Duce« rufen mussten.
Der Arzt und Präsident der italienischen Liga zur Aids-Bekämpfung, Vittorio Agnoletto, erklärte, in Genua habe eine Operation wie in Chile unter Pinochet stattgefunden. Bodo Zeuner von der Freien Universität Berlin warnte, »wenn Polizisten, wenn Spezialeinheiten der Polizei es sich herausnehmen, politisch unliebsame Personen, wie in Genua geschehen, mitten in der Nacht zu überfallen und brutal, ja lebensgefährlich zu verprügeln, dann ist es zu Folterkellern wie denen der SA im Deutschland von 1933 nur noch ein Schritt.« Wie Fausto Bertinotti, Sekretär von Rifondazione Comunista (PRC), einschätzte, war es Berlusconis Ziel, »systematisch jeden Widerstand zu zerschlagen und sein Emporkommen unmöglich zu machen«, um »einer politischen Wende in Richtung eines faschistischen oder autoritären Regimes« den Weg freizumachen. Diesen Regierungskurs Berlusconis nannte Literaturnobelpreisträger Dario Fo eine »Etablierung des Faschismus«, der Schriftsteller Umberto Eco sah darin ein Erbe des »übelsten Faschismus« des »Duce«.
Wenn Meloni bei ihrer Ankündigung, für das Amt der Ministerpräsidentin zu kandidieren, erklärte, dass »die Identität, die Ziele von Mitte-rechts bekannt sind, und es darum geht, sie ins Werk zu setzen«, bedeutete das nichts anderes, als dass sie ein ähnliches Regime der Unterdrückung jedweden Widerstandes zu errichten gedachte. Dabei wird sie zumindest vorerst auf Terror, wie ihn Berlusconi in Genua praktizierte, verzichten können. Denn, wie die Schriftstellerin Michela Murgia, Mitbegründerin der »Initiative zur Rettung von Flüchtlingen in Seenot«, festhielt, erfolgt der »Übergang« zum Faschismus heute nicht mehr mit »klassischer Waffengewalt«, sondern »durch die Manipulation der demokratischen Instrumente«, mit der man »ein ganzes Land faschistisch machen kann, ohne auch nur einmal das Wort ›Faschismus‹ auszusprechen«. Das bezieht sich auf die von Berlusconi begründete Herrschaft der »Videokratie«, die von Salvini im digitalen Zeitalter auf Facebook, Instagram, Twitter, in Talkshows, in den klassischen Medien perfektioniert wurde. Nicht zu vergessen die Rolle vieler Mainstream-Medien, die das mit ihren täglich stereotyp verkündeten Berichten über den zu erwartenden Wahlsieg Melonis festschrieben.
An Berlusconi wollte sie zunächst mit dem Angriff auf die Verfassung anknüpfen, um ein Präsidialregime zu errichten, wie dieser es bereits in seiner ersten Regierungszeit 1994 verfolgte. Der Medientycoon wollte schon damals die Direktwahl des Staatspräsidenten und des Ministerpräsidenten einführen und den Senat als zweite Kammer abschaffen. Aus der Verfassung sollten 84 der 184 Artikel gestrichen oder geändert werden. Der damalige Präsident des Verfassungsgerichts, Ettore Gallo, nannte das einen »Staatsstreichversuch«. Meloni kündigte erst einmal an, mit der Direktwahl des Staatspräsidenten zu beginnen.
Von 2006 bis 2008 wurde Berlusconis Herrschaft von einer Mitte-links-Regierung unter dem Christdemokraten Romano Prodi unterbrochen. In die folgende, von Berlusconi wieder mit der AN und der Lega gebildete Regierung trat Giorgia Meloni als Ministerin für Jugend und Sport ein. Im Kabinett saß sie zusammen mit Umberto Bossi, zu dieser Zeit Lega-Vorsitzender, ihren heutigen Ministern Roberto Calderoli und Roberto Maroni. Im Wahlkampf hatte die Lega gefordert, illegale Einwanderer in Lager zu sperren, Bossi geäußert, es sei leider »leichter Ratten zu vernichten als Zigeuner auszurotten«.
Die FdI-Führerin Meloni, die heute ihr soziales Engagement und ihr Eintreten für Gerechtigkeit betont, machte widerspruchslos die Politik ihres Kabinettschefs Berlusconi mit, der laut dem Mailänder »Espresso« die »persönlichen Interessen über die des Staates« stellte, eine »ineffiziente und unverantwortliche Regierungsführung« praktizierte und laut dem damaligen Fiat-Präsidenten Luca Cordero di Montezemolo schuld am Bankrott des Landes und »der beispiellosen Staatskrise« war. Meloni hatte auch nichts dagegen, dass 2012 für Mussolinis Kriegsminister Marschall Rodolfo Graziani, unter anderem verantwortlich für barbarische Massaker an Zehntausenden Äthiopiern, eine Gedenkstätte errichtet wurde.
Bei den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen im Mai 2011 erlitt Berlusconi schwere Niederlagen. Dann stimmten bei einem Referendum mehr als 90 Prozent für die Aufhebung einer »Lex Berlusconi«, die ihn als Ministerpräsidenten vor strafrechtlichen Ermittlungen und gerichtlichen Anklagen schützte. Es folgten ein Generalstreik im September und anhaltende Massendemonstrationen mit Forderungen nach dem Rücktritt des korrupten Regierungschefs. Schließlich trat Berlusconi am 12. November 2011 zurück.
In dieser Lage brach AN-Führer Fini mit Berlusconi und wollte, gedeckt vom Fiat-Chef und Unternehmerpräsident Montezemolo, zur Zusammenarbeit mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico übergehen. Die AN geriet in eine Krise und Meloni zeigte, was sie in der Kaderschmiede von MSI/AN gelernt hatte. Um zu verhindern, dass die Mitglieder AN-Fini folgten, gründete sie 2012 gemeinsam mit dem MSI/AN-Aktivisten und Mussolini-Bewunderer Ignazio La Russa (den sie später zum Senatspräsidenten und damit zweiten Mann im Staate machte) sowie einer Mehrheit der AN-Mitglieder die Partei Fratelli d’Italia. 2014 wurde Meloni zur FdI-Vorsitzenden gewählt. Ihr strategisches Werk war der Erhalt einer faschistischen Bewegung als das, was sie für den reaktionärsten Teil des Kapitals immer war: eine Eingreifreserve in Krisenzeiten.
Den harten Kern der Faschisten um sich zu scharen, gelang Meloni nur mit Bezug auf Mussolini. Innerhalb des »Mitte-rechts-Bündnisses« war und ist Meloni eine ausgesprochene Hardlinerin, die – im Gegensatz zu Berlusconi und Lega-Chef Matteo Salvini Kompromisse mit den Sozialdemokraten oder der Fünf-Sterne-Bewegung ablehnte. Ihre Nähe zum Mussolini-Faschismus stellte sie erneut unter Beweis, als sie zu den EU-Wahlen 2019 einen Urenkel des »Duce« aufstellen ließ. Dessen Aussage, er sei »stolz« auf seinen Urgroßvater, nahm Meloni zum Anlass, ihn eine »Bereicherung« ihrer Wahlliste zu nennen.
Mit der Erklärung im Jahr 2022 von Premier Draghi, dem vormaligen EZB-Banker, er werde auch einer von Meloni geführten Regierung zustimmen, setzte Brüssel ganz offen auf die faschistische Alternative. Wie »Il Manifesto« enthüllte, erwog Draghi, der Statthalter Brüssels in Rom, nach dem Wahlsieg Melonis ins Präsidentenamt zu wechseln, weil man die Faschisten so »domestizieren« könne. Diese Mär ist nicht neu. Schon zu Mussolinis 1922 gebildeter erster Regierung, der sieben Minister bürgerlicher Parteien angehörten, wurde verbreitet, der »Duce« müsse die Macht mit ihnen teilen und könne so unter Kontrolle gehalten werden. Das hat sich bekanntlich als Illusion erwiesen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.