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Störti, Ehrenmann

Die Störtebeker-Festspiele laden zur Naturbühne Ralswiek auf der Insel Rügen, wo in diesem Jahr »Gotland unter Feuer« steht

In diesem Jahr nur ausnahmsweise zum actionreichen Kampf aufgelegt: Klaus Störtebeker (l.)
In diesem Jahr nur ausnahmsweise zum actionreichen Kampf aufgelegt: Klaus Störtebeker (l.)

Klaus Störtebeker ist der Norddeutschen liebster Volksheld. Vom »Robin Hood der Meere« spricht man hier zärtlich und anerkennend. Und nicht zu Unrecht, hat der Likedeeler – Hochdeutsch: Gleichteiler – doch den Reichen genommen und den Armen gegeben. So wollen es die vielen Legenden um den Gegenspieler der übersatten Geschäftsleute der Hanse. Der trinkfeste Pirat aus der frühen Neuzeit steht gleichsam für den Kampf für das Gute und für ein rücksichtslos cooles Draufgängertum.

Damit hat es der Freibeuter zur populären Medienfigur der Gegenwart geschafft. Störtebeker wurde von Punkbands besungen, in Comics zeichnerisch verewigt und mäßig erfolgreich zur Filmfigur gemacht. Seine größte und durchaus begeisterte Anhängerschaft – sieht man von dem allseits beliebten und nach ihm benannten Bier einer Stralsunder Brauerei ab – findet der baltische Outlaw aber bei den Störtebeker-Festspielen, die in dem charmanten Ort Ralswiek auf der Insel Rügen veranstaltet werden, wo der Pirat angeblich zur Welt gekommen ist.

Ende der 50er Jahre wurde die pittoreske Freilichtbühne am Ufer des Großen Jasmunder Boddens zur Aufführung der damals noch so genannten Rügenfestspiele errichtet. Mit einem fast unüberschaubaren Ensemble von (Laien-)Darstellern, Tänzern und Choristen sowie Profis vom Volkstheater Rostock hat man auf recht hohem künstlerischen Niveau dem Mythos Störtebeker zu neuer Popularität verholfen. Ein paar Jahre hielt das Theaterglück, dann überließ man die Bühne wieder der Natur. Erst Ende der 80er Jahre entdeckte man, abermals nur für kurze Zeit, die »Dramatische Ballade« um Klaus Störtebeker aus der Feder von Staatsdichter KuBa neu.

Seit Anfang der 90er Jahre ist Peter Hick am Steuer. Er hat die Bühne erworben und leitet mit beachtlichem Erfolg seinen Privattheaterbetrieb, den er bereits in Familienbesitz überführt hat. Man setzt ganz auf die Touristenscharen, die die Insel allsommerlich aufsuchen und in Ralswiek Unterhaltung finden. So wird in der Saison an sechs Tagen in der Woche gespielt und mit allerlei Spektakulärem aufgewartet. Kein Reiseführer verschweigt die Störtebeker-Festspiele.

Pferde dürfen nicht fehlen, ein paar Kampfszenen gibt es hier und da. Ostschlager-Urgestein Wolfgang Lippert sorgt für musikalische Unterhaltung und steuert Klassiker von den Puhdys, Karat und City bei. Ein paar Witze der derberen Art werden nicht ausgespart. Trainierte Greifvögel spielen mit. Und am Ende wartet das wirklich eindrucksvolle Feuerwerk in schönster Lage – vorausgesetzt, das Wetter trägt seinen Teil zum Gelingen bei.

Nun geben die Legenden um Rügens berühmten Sohn nicht unbegrenzt viel her. Altbekannt ist die Geschichte, wie der Pirat zu einem Namen kam – Stürz den Becher! – oder wie er, seines Kopfes entledigt, noch an sieben seiner Männer vorbeigerannt war und ihnen somit das Leben gelassen wurde. In Ralswiek hält man am Markenkern Klaus Störtebeker fest, aber schreibt die Geschichten munter weiter, sodass den Zuschauern Jahr für Jahr etwas Neues geboten wird.

»Gotland unter Feuer« heißt das Spektakel in diesem Sommer. Es ist eine konfliktgeladene Situation im ausgehenden 15. Jahrhundert, die den Hintergrund für das Bühnengeschehen bildet. Das Haus Mecklenburg erobert die Insel Gotland zurück – zum Unmut der dänischen Königin, die in der soeben gegründeten Kalmarer Union auch Schweden und Norwegen hinter sich weiß. Dafür wurde ein Schulterschluss auf Zeit mit den Freibeutern um Störtebeker notwendig. Aber der mecklenburgische Machtapparat ist fragil. Dänemark ist auf Rache aus. Auch der Deutsche Orden sieht seine Zeit gekommen. Und was ist eigentlich mit Störtebekers Lieblingsfeinden, den hansischen Pfeffersäcken?

Das klingt ja fast schon nach dem Grundgerüst für ein Drama von Shakespeare’schen Dimensionen. Aber die spannungsreichen Konflikte um die Vormacht im Ostseeraum kommen nicht zum Tragen, sondern werden lang und breit verquatscht. Und so harren die Likedeeler die längste Zeit in der Schenke aus, während andernorts Politik gemacht wird, der man sich dann nur am Ende mit viel Bummbumm und etwas Geknalle entgegenstellt, bis der Bodden brennt.

Störtebeker, auf der Naturbühne seit jeher der konkurrenzlose Held, bleibt eigenartig blass. Auffällig oft ist vom »Ehrenmann Störtebeker« die Rede. Derjenige, der als gefährlicher Gewissenstäter sonst für die gute Sache auf Beutezug war, hat als seine stärkste Waffe in diesem Jahr weder Schwert noch Kanone, sondern nur sein Ehrenwort dabei. Nebenbei kümmert er sich vom Schanktisch aus um die karitative Versorgung der Armen und stützt die jeweiligen Machthaber. Bei Bedarf gibt er auch noch Tipps in Liebesdingen. Aber für ein bisschen unbeholfene Diplomatie im Piratenkostüm pilgern die Massen offenkundig nicht zum Freilichtspektakel.

Wer die Störtebeker-Festspiele besucht, erwartet nicht die ganz große Kunst, nicht die Spiegelung der großen Menschheitskonflikte auf der kleinen Seebühne und wohl auch nicht den ganzen Facettenreichtum der Darstellungs- und Verwandlungskunst. Aber mehr noch als in anderen Jahren ist bei »Gotland unter Feuer« ein etwas plumper Gleichton zwischen den Kulissen zu vernehmen. Dem theatralen Geschehen fehlt es gehörig an Zugkraft. Daran ändern auch ein paar Stunt-Szenen nichts, die eher wie Fremdkörper an dem sonst recht statischen Abend wirken.

Das Publikum sieht wohlwollend über so manche Schwäche hinweg, wenn »sein Störti« wieder auf der Bühne steht. Spätestens beim Feuerwerk, nach jeder Vorstellung der Höhepunkt, ist alles verziehen. Und man feiert vielleicht nicht so sehr das Theatererlebnis, aber doch den alten Helden aus der Region mit dem Herzen am richtigen Fleck und kommt auch im nächsten Jahr gerne wieder. Ist doch Ehrensache.

Weitere Vorstellungen: montags bis sonnabends (bis 9. September)
www.stoertebeker.de

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