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Joumana Seif: »Syrien gehört nicht der Assad-Familie«

Die Menschenrechtlerin Joumana Seif spricht über die Lage in Syrien und ihre Hoffnung auf Gerechtigkeit

  • Interview: Pauline Jäckels
  • Lesedauer: 6 Min.

Zwölf Jahre ist es her, seit bei der syrischen Revolution 2011 Hunderttausende auf die Straße gingen und ein demokratisches Syrien ohne den Diktator Baschar Al-Assad forderten ohne Erfolg. Wie ist die Lage dort heute?

Die Situation ist wirklich sehr schwierig, in ganz Syrien. Heutzutage ist Syrien in viele Gebiete zersplittert, die von verschiedenen Gruppen kontrolliert werden. Sie alle agieren wie Mafia-Banden, auch das Assad-Regime. Die wirtschaftliche Lage ist überall im Land schrecklich; die Menschen leiden, es mangelt an allem. Inzwischen haben die Leute wieder angefangen, sich offener zu beschweren, aber sie stehen weiterhin unter ständiger Beobachtung. Das Risiko, vom Regime bedroht oder verhaftet zu werden, bleibt groß.

Gibt es noch oppositionelle Bewegungen im Land?

Erst kürzlich ist eine neue Bewegung entstanden. Sie nennen sich Civil Labour Movement und organisieren sich gerade in ganz Syrien. Gerade haben sie ein Papier veröffentlicht, in dem sie Reformen vor allem in Bezug auf Arbeiterrechte fordern. Beispielsweise wollen sie höhere Gehälter, denn die wirtschaftliche Situation erlaubt es den Menschen in den Regime-Gebieten kaum zu überleben. Außerdem wollen sie, dass Russland und Iran weniger Einfluss im Land haben.

Wie sehen Sie diese Gruppe? Wo stehen sie politisch?

Es wirkt so, als kämen sie vorrangig aus Minderheitengruppen, vor allem sind es Aleviten, die mit der Politik des Regimes nicht mehr einverstanden sind. Sie sagen: »Syrien gehört nicht der Assad-Familie, es gehört allen Syrer*innen.« Es ist wichtig, dass wir sie aus der Diaspora unterstützen und gemeinsam nach einer Lösung suchen. Die Assad-Familie kann nicht Teil einer solchen Lösung sein.

Glauben Sie, dass es zu einer neuen revolutionären Bewegung kommen könnte?

Ja, definitiv. Gestern gab es beispielsweise in mehreren syrischen Städten Demonstrationen und in der Stadt Suweida einen Generalstreik, die den Rücktritt von Assad forderten. Assad hat den Syrern und vor allem den Minderheiten sehr viele Versprechen gemacht. Die letzten Jahre haben ihnen aber gezeigt, dass er diese nicht halten kann. Zwar hat er den Krieg gewonnen, doch er verkauft das Land an Iran und Russland. Die wirtschaftliche Situation bleibt katastrophal, die Korruption hat sich weiter verschlimmert. Die syrische Bevölkerung weiß, dass die Regierung von ihrer Notlage profitiert, dass etwa nach den Erdbeben kaum Hilfe bei ihnen ankam, weil das Regime so viel abgriff. Das werden die Menschen nicht für immer akzeptieren.

Vorher gab es starke Kritik auch aus der syrischen Bevölkerung, die westlichen Sanktionen seien schuld an der miserablen Lage. Glauben die Menschen nicht mehr an dieses Narrativ?

Die einfachen Leute glauben nicht mehr daran, weil sie die Realität erlebt haben und sehen, wie das Regime beispielsweise mit Hilfen von außerhalb umgeht. Jetzt sind ihnen die Augen geöffnet, es geht nur noch ums Überleben. Mit einem normalen Gehalt können sie sich kein Essen zum Überleben leisten und das Regime stopft sich die Taschen voll.

Sie waren Teil der demokratischen Opposition. Was hätte besser laufen müssen, um mit der Bewegung erfolgreich zu sein?

Viele führende Köpfe der Revolution wurden zur Flucht gezwungen, gefoltert oder getötet. 2011 hat Assad zudem islamistische Extremisten aus seinen Gefängnissen freigelassen, um die Opposition mit Islamisten zu unterwandern und sein hartes Vorgehen gegen seine Gegner zu legitimieren. Alle Staaten, die sich damals in den Konflikt einmischten, tragen Schuld daran, dass wir nicht erfolgreich sein konnten.

Und die Opposition selbst?

Es ist schwer, von »der« Opposition zu sprechen. Wir waren so viele verschiedene Gruppen und haben aufgrund der Repression des Regimes immer nur im Geheimen agiert. Viele von uns hatten 10 oder 15 Jahre im Gefängnis verbracht. Demokratie muss geübt werden, aber wir hatten keinerlei Praxiserfahrung. Und der Opposition fehlte es an Führung. Das ist einer der Hauptgründe, warum wir nicht so erfolgreich waren, wie wir gehofft hatten. Wir hätten vorher eine klare Strategie ausarbeiten müssen, an die sich alle halten können. Das war unmöglich in Syrien.

Bei Gerichtsverfahren in Koblenz wurden zwei von Assads Schergen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Ein wichtiger, aber vergleichsweise kleiner Erfolg, oder?

Der Fokus unserer Arbeit bei ECCHR ist es unter anderem, die Verbrechen des Regimes vor einem internationalen Gericht und ganz generell zu beweisen. Insofern haben die Koblenz-Urteile eine große Bedeutung. Dort wurde aufgezeigt, inwiefern das Assad-Regime als Tötungsmaschinerie funktioniert. Damit wurde auch das Narrativ entkräftet, Assad sei nur gegen Terroristen vorgegangen. Nein, seine Opfer sind normale, unschuldige Menschen, die sich friedlich für ein besseres Land eingesetzt haben. Das wurde in Koblenz bewiesen.

Die internationale Gemeinschaft hat sich weitgehend von Syrien abgewandt. Hoffen Sie, dass sich das noch mal ändert?

Die USA und Europa sehen jetzt, was mit der Ukraine passiert. Was Russland dort macht, unterscheidet sich nicht von seinen Verbrechen in Syrien. Wenn der Westen diese Verbrechen irgendwann aufarbeitet, lässt sich das nicht von Syrien trennen, auch nicht von den anderen Verantwortlichen außer Russland.

Sie befassen sich in Ihrer Arbeit mit den Verschwundenen, die in Gefängnissen des Regimes gefangen gehalten werden.

Ja, bis heute wissen so viele Familien nicht, was mit ihren Angehörigen passiert ist, ob sie überhaupt noch leben. Das Regime muss dazu verpflichtet werden, den Familien Auskunft über die Verschwundenen zu geben. Dazu braucht es politischen Druck von außen, es braucht politischen Willen, vor allem in den westlichen Ländern. Das ist das Mindeste, was man für die Familien machen sollte.

Und gleichzeitig gibt es Initiativen, das Regime zu normalisieren, etwa mit der Wiederaufnahme in die Arabische Liga.

Das stimmt. Ich denke aber, nach zwei Monaten ist bewiesen, dass Assad die Konditionen für die Wiederaufnahme gar nicht einhalten kann. Etwa forderte Saudi-Arabien, dass sich Syrien politisch vom Iran entkoppelt und sich den arabischen Staaten nähert – das wird nicht passieren. Außerdem sind andere Länder in der Region, wie Jordanien, daran interessiert, dass die vielen Geflüchteten wieder zurückkehren können. Assad tut rein gar nichts dafür, um eine würdevolle und sichere Rückkehr für sie zu garantieren.

Die Rückkehr von Geflüchteten ist weiterhin unsicher?

Gerade letzte Woche wurde wieder von einer Person berichtet, die nach Syrien zurückkam und direkt im Gefängnis landete und dort gefoltert wurde. In den letzten Jahren gab es unzählige solcher Fälle. Einige sind von Amnesty International und Human Rights Watch dokumentiert.

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