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Mut zur Klimaschutzlücke
Laut Projektion wird Deutschland sein CO2-Budget bis 2030 um bis zu 331 Millionen Tonnen überziehen
Das Umweltbundesamt (UBA) hat am Dienstag den seit Wochen erwarteten »Projektionsbericht 2023« vorgestellt. Dieser nimmt unter die Lupe, wie wahrscheinlich das Erreichen der deutschen Klimaziele mit den bisherigen Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgasemissionen ist. Laut der Bundesbehörde wird Deutschland den bis 2030 erlaubten CO2-Ausstoß um bis zu 331 Millionen Tonnen überziehen. Der neue Projektionsbericht zeige deutlich, dass zusätzliche Maßnahmen nötig seien, um die Klimaziele noch zu erreichen, betonte UBA-Präsident Dirk Messner anlässlich der Veröffentlichung. In den nächsten sechs Jahren müssten Treibhausgasemissionen in einem Umfang zusätzlich reduziert werden, die etwa 40 Prozent der Emissionen Deutschlands im Jahr 2022 entsprächen.
Die Bundesregierung muss von jetzt an jedes Jahr einen solchen Bericht erstellen. Anhand einer Prognose soll geklärt werden, ob Deutschland mit der aktuellen Politik seine Klimaziele erreichen wird. Diese sehen vor, die CO2-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren und bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen.
Bereits Mitte Juli gab es erste Medienberichte über einen Entwurf der Projektion 2023. Zuletzt soll das Papier aber in der Ressortabstimmung zwischen den Ministerien geschmort haben. Dass das Umweltbundesamt den aktuellen Bericht am Dienstag ab 10 Uhr freigegeben hat, erscheint Beobachtern keineswegs zufällig. Gleichzeitig stellte der Expertenrat für Klimafragen seine Stellungnahme zum Klimaschutzprogramm 2023 sowie seinen Prüfbericht zu den Problemsektoren Gebäude und Verkehr vor. Ganz offensichtlich soll mit der gleichzeitigen Veröffentlichung des Projektionsberichts der scharfen Kritik des Expertenrats die Spitze genommen werden. Dazu passen die in den letzten Wochen verstärkten Bemühungen besonders von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die ins Abseits geratene Klimapolitik der Ampel in ein besseres Licht zu rücken.
Der Projektionsbericht bestätigt denn auch bisherige Angaben aus dem Wirtschaftsministerium: Mit den derzeit geltenden klimapolitischen Maßnahmen lasse sich die bestehende Emissionslücke zum Klimaziel für 2030 nur zu 70 Prozent schließen. Falls weitere konkret geplante, jedoch noch nicht im Klimaschutzprogramm festgeschriebene Maßnahmen einbezogen werden, könne die Lücke zu 80 Prozent geschlossen werden, heißt es weiter im Bericht. Was hatte Habeck schon im Juni anlässlich des Kabinettsbeschlusses zum Klimaschutzprogramm gesagt? »Wir schließen die Klimaschutzlücke, die die Vorgängerregierung uns hinterlassen hat, um bis zu 80 Prozent.« Damit rücke das 2030er Klimaziel in Reichweite, so der Minister. Dass der laut Umweltbundesamt von einem »unabhängigen Forschungskonsortium« erarbeitete Bericht jetzt Habecks zwei Monate alte Aussage bestätigt, ist sicher ganz im Sinne der Regierung.
Das Problem dabei: Das Klimaschutzgesetz beruht auf dem sogenannten Budgetansatz. Das Klimaziel muss nicht nur im Jahr 2030 eingehalten werden, sondern in jedem Jahr bis dahin ist der CO2-Minderungspfad einzuhalten. Die von Habeck angeführte Emissionslücke geht auf den »Projektionsbericht 2021« zurück, der die CO2-Lücke für den gesamten Zeitraum von 2021 bis 2030 auf 1,1 Milliarden Tonnen beziffert. Auch wenn diese Lücke mit jetzigen oder künftigen Maßnahmen zu 70 oder 80 Prozent geschlossen wird, bleiben mehrere hundert Millionen Tonnen an Emissionen »übrig«.
Laut dem jetzigen Projektionsbericht werden die Problembereiche ihre Vorgaben deutlich reißen: Der Verkehr überzieht sein bisheriges Budget bis 2030 um bis zu 210 Millionen Tonnen, der Gebäudesektor um bis zu 96 Millionen und die Industrie um bis zu 83 Millionen Tonnen. Dass gerade der Verkehr klimapolitisch auf Abwegen ist, zieht ein weiteres Desaster nach sich: Laut dem Bericht wird Deutschland seine Klimapflichten auf europäischer Ebene, die sich aus der Lastenteilungsverordnung ergeben, im Abrechnungszeitraum von 2021 bis 2030 um bis zu 299 Millionen Tonnen überziehen. Passiert hier nichts Entscheidendes, müsste Deutschland für einen Großteil dieser Menge Emissionsrechte bei anderen Ländern oder auf dem freien Markt kaufen. Das kann sehr teuer werden.
In der EU hilft es nicht, dass Energie-, Abfall- und Landwirtschaft ihre jeweiligen Ziele hierzulande übererfüllen werden, wie es der Regierungsbericht erwartet. Lediglich in Deutschland erlaubt es die von der Ampel beschlossene Reform des Klimaschutzgesetzes, dass diese Sektoren künftig das Versagen in anderen Sektoren teilweise kompensieren können.
Ganz unter den Tisch fällt dabei übrigens, dass die Landwirtschaft nur deswegen so viel einspart, weil der Weltklimarat vor einiger Zeit die Klimawirkung von Lachgas-Emissionen aus der Düngung neu bewertet hat. Dadurch bekommt der deutsche Agrarsektor bis 2030 rund zehn Millionen Tonnen CO2-Äquivalent in seinem Emissionsbudget praktisch geschenkt.
Trotz allem überzieht Deutschland sein CO2-Budget, das aus dem Klimagesetz resultiert, bis 2030 um bis zu 331 Millionen Tonnen, rechnet der Projektionsbericht am Ende zusammen. So wird laut der Regierungsprognose auch das Ziel der Netto-Null bis 2045 aus heutiger Sicht nicht erreicht. Das Umweltbundesamt macht keine eigenen Emissionsminderungsvorschläge, sondern zitiert aus anderen Studien, wonach unter anderem mehr Schienenverkehr, eine Reform der Kfz-Steuer sowie die Beschränkung fossiler Heizungen nötig wären, um die Lücke bis 2030 zu schließen.
Über das klimagesetzliche Budget hinaus reißt Deutschland derweil klar auch die eigenen Vorgaben im Bereich Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forst, fachsprachlich LULUCF. An den Zielen, diese Emissionen bis 2040 oder 2045 um 35 beziehungsweise 40 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent zu senken, werden laut Projektionsbericht jeweils 10 bis 20 Millionen Tonnen fehlen.
Die Ampel-Regierung wird das noch weniger stören als die fehlenden 331 Millionen Tonnen beim Klimaschutz. Und das nicht nur wegen der kleineren Zahlen: Die Ziele im Landnutzungssektor haben keinen Gesetzesrang.
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