Antifaschismus: Erinnern auf dem RAW-Gelände

Ausstellung über den Kommunisten Franz Stenzer, nach dem das RAW in Friedrichshain benannt wurde

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser (Linke) besichtigt die Ausstellung auf dem RAW-Gelände.
Der Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser (Linke) besichtigt die Ausstellung auf dem RAW-Gelände.

»Franz war ein uneheliches Kind. Seine Mutter hat sich als Waschfrau durchgeschlagen.« So hat es Emmi Wolf, die Tochter des von den Faschisten ermordeten Franz Stenzer ihrer eigenen Tochter Tatjana Trögel erzählt. 2013 ist das gewesen, als sie einen kleinen Koffer mit dem Nachlass von Stenzer durchstöberte. Schon damals wollte Tatjana Wolf mit einer Ausstellung an den KPD-Reichstagsabgeordneten erinnern. In den Antworten auf ihre Anfragen sei ihr stets zugesichert worden, man leite ihr Anliegen weiter – gehört habe sie dann nie wieder etwas, wie Trögel am Dienstagabend bedauert.

Jetzt, zehn Jahre später, hat es doch noch geklappt. Zum 90. Todestag von Stenzer wurde die Ausstellung am Dienstag im ehemaligen Beamtenwohnhaus des Reichsbahnausbesserungswerks (RAW) in Berlin-Friedrichshain eröffnet. Der Betrieb bekam 1967 den Namen Franz Stenzer verliehen und das passte gut: Stenzer war Reichsbahner gewesen ist, allerdings in München beschäftigt.

Ein Bahnwerk ist das Gelände an der Revaler Straße 99 schon lange nicht mehr. 1993 wurde dort der letzte Güterzug gewartet. Das weitläufige Areal hat sich zu einer beliebten Partymeile entwickelt. Es gibt dort noch einen kleinen Ehrenhain für die KPD-Reichstagsabgeordneten Ernst Thälmann und eben Franz Stenzer, doch der findet bei den Besuchern kaum Beachtung. Der Hain liegt vor dem Büro von Uta Kala, die zusammen mit Kristine Schütt ehrenamtlich die hiesige Geschichtswerkstatt leitet.

Aber selbst Kala, die seit 2012 daran vorbeigeht, hatte sich nie groß Gedanken darum gemacht. Als Ostdeutsche wusste sie, Stenzer sei ein Vertrauter des KPD-Vorsitzenden Thälmann gewesen. Mehr war ihr über seine Person nicht bekannt. »Ich habe viel gelernt«, bedankt sich Kala am Dienstagabend bei Tatjana Trögel für die Ausstellung, die bis zum 10. September in einem Raum im Erdgeschoss des alten Beamtenwohnhauses gezeigt wird. Kristine Schütt ergänzt: »Franz Stenzer ist es wert, dass an ihn erinnert wird. Gerade in der heutigen Zeit ist das wichtig.«

Das sieht Sven Heinemann, der die Schirmherrschaft übernommen hat, genauso. Er gehört zur SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und würde sich freuen, wenn Friedrichshainer Schulklassen diese Ausstellung besuchen. »Wir zittern immer bei Landratswahlen in Brandenburg«, bekennt Heinemann. »Wir kennen die Umfragen sowohl im Bund wie in Brandenburg. Auch im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt die AfD mit einer zweistelligen Prozentzahl. Das hätte man vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten.«

Insofern freut sich der Politiker, dass mit Pascal Meiser (Linke) ein Bundestagsabgeordneter zur Ausstellungseröffnung gekommen ist, der sich bekanntlich sehr gegen rechts engagiere. Insgesamt sind mehr als 30 Menschen zur Ausstellungseröffnung erschienen. Viel mehr hätten in den kleinen Raum auch gar nicht hineingepasst. Die Sitzplätze sind alle besetzt. Etliche Besucher müssen stehen, zum Teil schauen sie vom Flur herein oder sie lassen sich kurzerhand auf dem Fußboden nieder.

Nachdem herauskam, dass auf dem RAW-Gelände in der Nazizeit 2000 Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, »weil im Technikmuseum ein Karton geöffnet wurde«, und nachdem jetzt über Franz Stenzers Schicksal informiert wird, ist für Heinemann noch eine Sache offen, die näher erforscht werden sollte. Es habe im Reichsbahnausbesserungswerk eine antifaschistische Widerstandsgruppe existiert, die Flugblätter verteilte und die ergriffen und bestraft wurde. Darüber sollte möglichst Näheres herausgefunden werden.

Was den kleinen Ehrenhain angeht, kann Heinemann beruhigen. Er habe sich extra erkundigt: Der stehe genauso wie das gesamte Areal unter Denkmalschutz, dürfe also nicht abgeräumt werden. Franz Stenzer könnte aber noch sichtbarer geehrt werden, meint der Abgeordnete. Er regt an, Häuser auf dem Gelände nach Stenzer und nach früheren Zwangsarbeitern zu benennen.

»Wer war Franz Stenzer?« Diese Frage beantworten die 13 Tafeln der Ausstellung mit Dokumenten, Fotos und Begleittext plus zwei kleine Gemälde aus dem Nachlass. Die drei Worte »Eisenbahner, Gewerkschafter, Kommunist« beschreiben das kurz und treffend. Aber das soll es natürlich nicht gewesen sein. Im Juni 1900 in Planegg bei München geboren, sei er früh arbeiten gegangen und habe Ungerechtigkeit und Ausbeutung unmittelbar kennengelernt, heißt es in der Ankündigung der Ausstellung. »Dagegen wird er sich auflehnen, was sein weiteres Leben bestimmt. Und seinen frühen Tod.« Die Ausstellung steht nicht umsonst unter dem Motto: »Der kurze Traum von Gerechtigkeit«.

Im Ersten Weltkrieg diente Stenzer als Matrose in der kaiserlichen Kriegsmarine, engagierte sich für die Münchner Räterepublik und trat 1920 in die KPD ein. 1932 in den Reichstag eingezogen, wurde der Abgeordnete am 22. August 1933 im Konzentrationslager Dachau »auf der Flucht erschossen«. Ihn traf ein Genickschuss.

»Franz Stenzer war der erste, der jüngste Reichstagsabgeordnete, der ermordet wurde, Ernst Thälmann war 1944 der letzte«, berichtet Tatjana Trögel. Sie habe sich in der Ausstellung weitgehend auf die Überlieferungen aus der Familie beschränkt und sich mit politischen Einordnungen sehr zurückgehalten, sagt sie.

Der Kommunist Franz Stenzer ist ein Opfer des Faschismus. Das steht fest. Ihn nicht zu vergessen, hat auf jeden Fall eine politische Bedeutung. Als Anfang der 1990er Jahre Neonazis in Solingen einen Brandanschlag verübten, der Todesopfer forderte und in Rostock-Lichtenhagen ein Wohnheim vietnamesischer Arbeiter stürmten, da erinnerten sich Trögels Mutter und Großmutter: »So hat es damals auch angefangen.« Trögel meinte damals, die Verhältnisse könne man mit der Situation vor 1933 nicht vergleichen. Sie bekam zur Antwort: »Ihr wisst es nicht. Ihr seid nicht dabei gewesen.« Das hat sich in ihre Erinnerung eingebrannt. Auch darum ist ihr die Ausstellung über Franz Stenzer so wichtig. »Man soll heute wissen, wie es gewesen ist«, sagt Trögel. Sie selbst habe in einer zwar bedrohten, aber sicheren Welt leben dürfen. Für ihre Kinder und Enkel gelte das nun leider nicht mehr.

»Wer war Franz Stenzer?«, bis 10. September 2023, donnerstags, samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr, Beamtenwohnhaus auf dem RAW-Gelände, Revaler Straße 99 in 10245 Berlin-Friedrichshainer

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