- Wissen
- Ansiedlung von Geparden
Katzenjammer in Indien
Pilotprojekt zur Wiedereinführung der ausgerotteten Raubtiere steht in der Kritik von Wissenschaftlern
Nirva ist wieder da. Der südafrikanische Gepard, der in freier Wildbahn im Kuno-Nationalpark im indischen Madhya Pradesh lebt, wurde nach dreiwöchiger intensiver Suche endlich von den Behörden aufgespürt. Das weibliche Tier war am 21. Juli von der Bildfläche verschwunden, nachdem das Funkhalsband nicht mehr sendete.
Nirva gehört zu den insgesamt 20 Geparden, die in zwei Touren im September 2022 und im Februar 2023 aus Südafrika und Namibia mit viel Tamtam nach Indien gebracht worden waren, um sie auf dem Subkontinent wieder anzusiedeln. Premierminister Narendra Modi hatte persönlich und höchst medienwirksam die ersten Geparde in Empfang genommen. Inzwischen sind aber sechs der Tiere sowie drei von vier in Indien geborenen Gepardenbabys gestorben.
Die toten Raubkatzen wiesen erhebliche von Maden befallene Entzündungen in der Halsgegend auf, die durch die Funkhalsbänder in Verbindung mit dem Monsun verursacht gewesen sein könnten. »Die aktuelle Hypothese geht von einer Kettenreaktion aus: Starker Regen, hohe Temperatur, Passgröße der Halsbänder und Entwicklung des Winterfells hielten die Feuchtigkeit unter dem Halsband, was zu Hautinfektionen führte, Fliegen anlockte, Maden verursachte, Bakterien sich ausbreiten ließ, was letztlich tödlich ist«, sagte Arjun Gopalaswamy, Experte für die Ausstattung von Tigern und Löwen mit Funkhalsbändern, dem Nachrichtenportal »Indian Express«. Der Kuno-Park liegt auf der Nordhalbkugel, und die Jahreszeiten sind das Gegenteil von dem, was südafrikanische Geparde gewohnt sind.
Asiatische Geparde waren in Indien bis vor etwa 70 Jahren heimisch. Den letzten soll 1947 ein indischer Prinz erlegt haben. Bis zu ihrer Ausrottung im 20. Jahrhundert kamen die Großkatzen von der Arabischen Halbinsel bis zum Südkaukasus vor. Lediglich im Iran gab es mit Stand Januar 2022 noch zwölf Geparde in freier Wildbahn. Auch die afrikanischen Geparde gelten mit nur noch weniger als 7000 Exemplaren als stark gefährdete Art.
Geparde sind die schnellsten Landtiere der Welt. Die durchschnittliche Jagdgeschwindigkeit der Katzen mit dem goldgelben, schwarz gepunkteten Fell liegt bei rund 53 Stundenkilometern; im Spurt können sie für ein paar Sekunden bis zu 93 Stundenkilometer erreichen. »Geparde benötigen riesige Gebiete, in Namibia sind das mehrere Hundert bis zu einigen Tausend Quadratkilometer. Hinzu kommt das besondere räumliche System der Geparde, welches aus einem Kommunikationsnetzwerk mit etwa 23 Kilometer auseinander liegenden Kommunikationszentren besteht«, schreibt Bettina Wachter vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) auf Anfrage des »nd« und fügt hinzu: »Der Kuno-Nationalpark mit seinen rund 750 Quadratkilometern kann diese Fläche nicht bieten.«
Jetzt tobt ein erbitterter Streit über das Projekt zur Wiederansiedlung von Geparden in Indien, für dessen beinharte Befürworter der Tod vieler der eingeführten Großkatzen natürlich und erwartbar war. Kritiker hingegen sehen inkompetentes Projektmanagement am Werk bis hin zu dem Vorwurf, das Prestigeprojekt von Premierminister Modi sei auf politischen Druck hin zu hastig umgesetzt worden. Letzteres sagen Experten in Indien allerdings nur hinter vorgehaltener Hand, denn Kritiker Modis und seiner hindu-nationalistischen Regierung haben nichts zu lachen.
Viele indische und internationale Wissenschaftler sahen das Wiederansiedlungsprojekt seit Langem kritisch. »Das Projekt basiert auf schwachen wissenschaftlichen Grundlagen und ist daher schlecht geplant. Es war von Anfang an auch keine gute Idee«, sagt der Koordinator des indischen Netzwerks Biodiversity Collaborative, Ravi Chellam, dem »nd« und fügt hinzu: »Indien hat den Fehler begangen, das Pferd von hinten aufzuzäumen.«
Basierend auf eigenen Forschungsergebnissen aus einer Langzeituntersuchung des Raumnutzungsverhaltens von Geparden in Namibia sowie vergleichbaren Arbeiten aus Ostafrika warnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Leibniz-IZW davor, die ökologische Tragfähigkeit des Kuno-Nationalparks zu überschätzen. Diese sei bereits mit den im Herbst 2022 transferierten Geparden in Bezug auf das territoriale System der Tiere erreicht gewesen, schrieben Wachter und ihre Kollegen im April 2023 im Fachjournal »Conservation Science and Practice«: »Unabhängig von der Größe ihrer in Indien etablierten Territorien werden die drei namibischen Männchen den kompletten Nationalpark besetzt haben und keinen Raum für weitere Territorien der kürzlich aus Südafrika zusätzlich angesiedelten Geparde lassen.«
Die Geparde beschäftigten in den vergangenen Wochen gar das Oberste Gericht Indiens. Die Richter verhandelten eine Beschwerde internationaler Geparden-Experten darüber, dass die indische Regierung die Zusammenarbeit mit einer internationalen Taskforce zur Unterstützung der Akklimatisierung der afrikanischen Großkatzen eingestellt hatte.
Das Gericht wies die Beschwerde schließlich ab und erklärte, es glaube der Versicherung der Behörden, das Geparden-Projekt zum Erfolg führen zu können. Gleichwohl wiesen die Richter die Behörden aber auch an, die öffentliche Kritik an dem Projekt ernst zu nehmen.
Anfang April wurde der Gepard Oban in einem 20 Kilometer vom Kuno-Park entfernten Dorf gesichtet, wo er eine Kuh gejagt haben soll. Solche Vorkommnisse sind für Wachter nicht überraschend. Wenn das Habitat zu klein ist, so Wachter, würden Geparde früher oder später auch die Gebiete außerhalb des Parks nutzen müssen. »Dort leben aber Menschen mit ihren Nutztieren, sodass Konflikte vorprogrammiert sind.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.