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Bert Papenfuß: Abend über Dächern

Kadaver- wie auch Palavergehorsam waren seine Sache nicht. Notizen zum Leben bzw. Ableben von Bert Papenfuß

  • Kai Pohl
  • Lesedauer: 5 Min.
Bert Papenfuß (l.) im Gespräch mit dem Autor und Verleger Bernd Kramer, 2014
Bert Papenfuß (l.) im Gespräch mit dem Autor und Verleger Bernd Kramer, 2014

Bert Papenfuß, der Arbeiter am Wortwerk, wie Dylan Thomas ihn genannt hätte, wenn er ihn denn gekannt hätte, war zuweilen unterwegs im luftigen Mantel des Sepp Fernstaub und hat sich in der Nacht zum 26. August 2023 aus der Parkklinik Weißensee in die Überwelt aufgemacht. In dem »Nachruf zu Lebzeiten« von Alexander Krohn aus dem Jahr 2009 ist bereits seine Abschiedsgeste vorweggenommen: »Er hob seine linke Faust und streckte den kleinen Finger nach oben, krümmte ihn ganz langsam wie einen Haken und zog dann die ganze Hand hinunter.« (»floppy myriapoda«, Heft 10, Januar 2009)

Jetzt ist erst mal Schicht im Schacht; Bert hat uns ’ne Lampe mitgebracht. Und wer ihn kannte, wird verstehen, wie Heiner Müller 1982 auf die Idee kam zu sagen: »Die Asozialen am Prenzlauer Berg in Ostberlin, das sind tatsächlich freie Menschen.«

Der anarchistisch-punkistische Bücherwurm, Wortverehrer wie auch -verdreher bzw. -versteher, der den Ruhm-und-Ehre-Witz von der Rotbannerflotte mit der Prenzlauer-Berg-Connection vereinigte und im Weltschmerz den »Wertschmelz« sah, erhellte uns die Stirn und weitete die Denke, was das Zeug hielt. Wer an der falschen Stelle lachte, musste passen und durfte gehen. So ging es zu bei dem Mitbegründer der Torpedokäferei, des Kaffee-Burger-Tums, der Rumbalotte I und II et cetera.

Als Spatensoldat, Theaterbeleuchter und schließlich noch Anagrammatiker, verdienter Dichter des Gefolges von diesem und jenem – von Franz Jung und Ernst Fuhrmann über Fritz Reuter, Alexander Brener, Barbara Schurz, Maria Randina, Tone Avenstroup und Stefan Döring bis zu Mik Stone, Scheiffele und all den hier nicht erwähnten – gebrauchte er die Tasten seiner Schreibgeräte für die Erzeugung einer sympathischen Leichtigkeit bei der Aneinanderreihung von Wortgeschwaderschwergewichten.

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Er kam klar mit »Loch, Schlot & Gott« und wühlte sich durch zu »Labsal, Balsam & Nektar« (höre: lyrikline.org/de/gedichte/loch-schlot-gott-7065). Mit Humor, Sinn und Verstand formte er seine Schwänke: »Lyrik ist Selbstbehauptung.«

Nachdem die Gentrifizierung den Prenzlauer Berg ereilt hatte, verzog er sich folgerichtig nach Weißensee, von wo aus er zwischen 2013 und 2022 mindestens elf Literaturfestivals ausbaldowerte, die in verschiedenen Rumbalottekonstellationen stattfanden und letztlich kollektiv »konkuratiert, kinkaturiert und konterkariert [wurden] vom Wohlfahrtsausschluß Erpe (Neuenhagener Mühlenfließ)/Dahme/levaH/Panke/Spree/Weißer See und der Epidemie der Käfte in Tateinheit mit der LKO-Exekutive Wedding/Alt Gaarz und dem Liebe/Arbeit/Wissen-Ausschuß Komponistenviertel« – dies nur als Beispiel. Mit anderen Worten: »Das Literaturfestival in Prenzlauer Berg geht seit zehn Jahren in die vorletzte Runde, zieht den Protokollstecker, lädt ein zu Berichterstattung und Streitbetrachtung.«

Kadaver- wie auch Palavergehorsam waren seine Sache nicht – sowohl als auch umgekehrt. Falls er in Prosa machte, die er geflissentlich verachtete, reimte er sich doch immer schön was zusammen, nachzulesen beispielsweise im immer noch aktuellen »telegraph« #141/142 aus Ostberlin, wo er uns unter dem Titel »Empörung und Entrüstung oder Zerstörung und Verwüstung« mitteilt: »Ich wollte nie ernsthaft über solchen Scheiß schreiben, aber wenn es der Sache dient – schließlich erörtere ich hier die Probleme des anarchistischen Pazifismus, auch anhand aktuellpolitischer Abschweifungen.«

Vor all dem Ungemach, das sich weithin ungezügelt aufbrezelt, hielt er sich an das, was sein Gedicht »Die erste Strophe« hergibt: »Liebe ist freiwillig und gegenseitig, / da beißt die Möse kein’ Schwanz ab. / Mehr hab ich nich’ rausgefunden; / Jahre lasten auf meinen Stunden.« (»Xandis Haus«, Festschrift für Alexander Krohn, EdK Berlin, 2021) Solch ein ausdrückliches Understatement hatte er im gereiften Alter zwar nicht nötig, allerdings selbst für zwangsläufig befunden, und das war auch gut so. Seine Arroganz taugte für die Distanz, ohne die es seine krassen Poeme und Sprachmalträtereien nicht gegeben haben könnte/würde; sowieso: Die »Würde« entlarvte er als stetigen Konjunktiv!

Er war sich nicht zu schade, die flüssigen Bekenntnisse (Biersturzbecher und Becherovka, dann Ratzeputz, später Unicum) glasweise einzutauschen gegen das umständliche Rauschen der Verhältnisse, die er zum Tanzen brachte, wenn er seine Stimme auf Punkkonzerten erhob oder bei öffentlichen Lesungen in Papenfußnoten versenkte.

Bert kürte den »Skandalnegerwirt« auf »Dosenkohl«, kochte pfeifend zu Zeilen von Bakunin Labskaus (der Hörsinn ist schließlich der höhere Sinn!), gab geliehene Worte nicht zurück, sondern verbriet sie bis zur Verkohlung, und hat nun auch noch dem Thomas-Brasch-Buchtitel »Vor den Vätern sterben die Söhne« einen erneuerten Sinn verliehen.

»Bert kann man nicht übertreffen, man kann ihm allenfalls gleichkommen«, meinte mal jemand, an dessen Namen ich mich nicht entsinne. Er war unser Herbergsvater im »Haus der Anarchie«, wie man noch heute im »Prenzlauer Berg Konnektör«, #1, Seite 1, nachlesen kann. Bert sei Dank wissen wir, dass es »Freiheit« nicht »gibt«, sondern dass sie sich »herausgenommen«, da sie von sich aus nicht »kommen« wird. Nicht zuletzt schrieb Bert den Text für einen Song von Freygang: »Der Blues muss bewaffnet sein, sonst glaubt dir kein Schwein.«

Anlässlich einer mainstreamigen Mugge am Tresen ließ er einmal spontan den Kommentar fallen: »So klingt es, wenn aus Orientierungslosigkeit Musik wird.« Seine Lieblingstöne changierten zwischen The Deviants, Motörhead und den Melvins, Infamis und Herbst in Peking; was er hasste, waren soziale Unkenntlichkeit, Einheitsbrei und Konsumhuberei.

Die ihn schätzten als einen streitbaren Zeitgenossen, stehen nun blass und traurig da … Aber zum Glück haben wir ja seine Gedichte, seine Schallplatten, seine Stimme, seinen Slang, der unerhört und vernehmlich in den Kiezgassen tönt, wie wenn er neben uns stünde. Der Abgesang auf den Freygang-Frontmann André Greiner-Pol, den Bert im Dezember 2008 verfasst hatte, schließt mit einem Satz, der sich anhört, als hätte er damals seinen eigenen Nachruf geschrieben: »Er hat das Leben gefeiert – und dabei ist er gestorben.«

Nehmen wir jetzt, im beginnenden Spätsommer, einen kühlen Schluck »Summer Wine« auf Bert, zu dem im Hintergrund verklingenden Lied von Nancy Sinatra & Lee Hazlewood – auf Bert, der vieles trank, aber keinen Wein. Helko Reschitzki, der Grafiker, von dem die Abbildungen im demnächst erscheinenden »Abwärts!«-Heft stammen, zu dessen Redaktionsgarde Bert bis zuletzt zählte, meldete sich mit den Worten: »Nun sind die Grafiken quasi zu meinem Abschiedsgruß für Bert geworden … Sein herrschaftsverachtender Geist wird in uns weiterspuken.«

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