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Was »Arbeitsanreize« von »Investitionsanreizen« unterscheidet
Wie die Politik versucht, über Strafen, Druck und Belohnungen die heimischen Ressourcen zu mobilisieren
In der Debatte um die Kindergrundsicherung haben Politiker betont, die Reform dürfe bei den Begünstigten die »Anreize zur Arbeitsaufnahme« nicht schwächen. Zu viel Geld vom Staat, so die gängige Argumentation, mindere tendenziell die Bereitschaft, erwerbstätig zu werden. Während beim Sozialen Anreize über Sparsamkeit gesetzt werden, gilt bei den Investitionen das Gegenteil: Das nun beschlossene Wachstumschancengesetz soll Unternehmern höhere Gewinne bescheren und ihnen so »Investitionsanreize« bieten. Dass Arme und Wohlhabende so unterschiedlich angereizt werden, liegt an ihrer unterschiedlichen Funktion fürs Wirtschaftswachstum.
Das Konzept der ökonomischen Anreize, das Politiker*innen so gerne verwenden, konzipiert den Menschen als nutzenmaximierendes Individuum, dessen Verhalten durch Geldangebot oder -entzug, durch Belohnung und Strafen gesteuert werden kann. So erhöht die Kürzung von Arbeitslosenunterstützung die Bereitschaft zu arbeiten, höhere Zigarettenpreise dämpfen den Rauchwunsch, niedrigere Renten animieren zur privaten Vorsorge und in der Corona-Pandemie »erhöhten Einschränkungen für Ungeimpfte die Impfbereitschaft«, so das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo.
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In dieser Verhaltenslogik steht der Sozialstaat stets im Verdacht, schlechte Anreize zu setzen. CDU-Vize Jens Spahn kritisierte dieser Tage »leistungsfeindliche Sozialabgaben«, weil sie zum einen den Ertrag der Arbeitenden mindern und zum anderen das Nicht-Arbeiten attraktiver machen. »Wenn jetzt das Bürgergeld stärker steigt als die Löhne von vielen Millionen Beschäftigten, ist das das falsche Signal«, so Spahn, wer »arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet«. Zudem forderte er mehr Strafen für »arbeitsunwillige« Erwerbslose.
Arbeit oder Armut – das motiviert
Um die Arbeitsanreize aufrecht zu erhalten, zielt die Politik daher einerseits auf eine ausreichende Differenz zwischen Arbeitseinkommen und Sozialleistungen und spielt so Arbeitende und Nicht-Arbeitende gegeneinander aus. Zum anderen sorgt sie über kleinliche Berechnungen beispielsweise des Arbeitslosengeldes dafür, dass das Leben außerhalb der Erwerbsarbeit von Geldmangel geprägt ist und häufig Armut bedeutet. Daraus folgt dann wie von selbst, dass »Armut am besten durch Arbeit bekämpft« wird, wie Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagt.
Gemäß dem Konzept der „Anreize“ sichern Sozialleistungen also nicht nur den Bedürftigen ein Einkommen, sondern müssen gleichzeitig den Druck, die Angst und die Sorge aufrechterhalten, damit die Arbeitsbereitschaft nicht geschwächt wird. Demgegenüber sieht sich die Politik bei den Investitionsanreizen vor die Aufgabe gestellt, den Zielpersonen Angebote zu machen, die ihren Wohlstand mehren. Denn deren Investitionsbereitschaft ist umso höher, je mehr Rendite die Investition verspricht.
Der deutsche Industrieverband DIHK trifft daher bei der Politik auf offene Ohren, wenn er davor warnt, dass derzeit zwei Drittel der Unternehmen ihre Investitionstätigkeit zurückfahren. »Das ist das Gegenteil von dem Investitionsaufschwung, den wir zur Bewältigung der aktuellen Krisen und zur Beschleunigung der Transformation in Richtung Klimaneutralität brauchen«, mahnte der Verband. Finanzminister Lindner hat daher Steuersenkungen für Unternehmen über sieben Milliarden Euro pro Jahr ab 2024 auf den Weg gebracht. Damit, so Lindner, würden der Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt und Investitionsanreize gesetzt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wirbt damit, dass der Klima- und Transformationsfonds mit über 200 Milliarden Euro über die nächsten Jahre »Investitionsanreize in die deutsche Wirtschaft« bietet. Und das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft fordert darüber hinaus Investitionsprämien, mehr Steuersenkungen und mehr Subventionen.
Den guten Ruf der Investitionen versuchte sich Familienministerin Lisa Paus (Grüne) dieser Tage zu Nutze zu machen, indem sie die Gelder für die Kindergrundsicherung als »Investitionen in unsere Kinder« und damit »Investitionen in die Zukunft Deutschlands« bewarb. Damit, so der Armutsforscher Christoph Butterwegge auf dem Internetportal Makronom, »führte sie ebenfalls ökonomische Argumente für die Kindergrundsicherung ins Feld und bediente sich dabei wie Lindner der Standortlogik«.
Machen wir es den Kindern zu einfach?
Die Anreizlogik erfordert also, die ärmeren Menschen durch knapp gehaltene Sozialleistungen und gegebenenfalls deren Entzug zur Aufnahme von Arbeit zu motivieren. Bei wohlhabenden Menschen hingegen werden die „Aktivitätsanreize“ durch Entlastungen und Zugaben gestärkt, damit ihre Investitionen sich höher rentieren und dies das erwünschte Wachstum erzeugt. Ein entscheidender Faktor bei der Frage, ob und wie stark die Investitionsrendite ausfällt, ist das Verhältnis von Arbeitsleistung und Lohnkosten. Die Leistung der Erwerbstätigen zu erhöhen und die Lohnkosten zu bremsen – dabei helfen wiederum die gesetzten Arbeitsanreize, also der Druck, einen Job zu finden.
Daneben bietet das Anreizkonzept auch eine Erklärung für Missstände. Da es ökonomische Ergebnisse als Folge von Verhalten von Individuen deutet, erlaubt das Konzept, Probleme wie Arbeitslosigkeit oder schwaches Wachstum mit der mangelnden Motivation dieser Individuen zu begründen. In diesem Sinne fragte diese Woche der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz »Sind wir noch bereit, uns für unseren Wohlstand und unsere Alterseinkommen anzustrengen?« Und die »Bild«-Zeitung titelte angesichts der »Deutschland-Schande« bei der jüngsten Leichtathletik WM: »Haben wir das Siegen verlernt? Machen wir es unseren Kindern heute zu einfach? Fehlt deshalb diese Gier nach Erfolg?«
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