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Zukunftskongress der Linken: Die Partei nach Wagenknecht
Der bewegungsnahe Flügel ringt um eine neue linke Erzählung, die Die Linke wieder auf Kurs bringt
Eigentlich hätte man zumindest einen Hauch von Endzeitstimmung erwarten können bei einem linken Kongress mitten in der tiefen Parteikrise und vielleicht sogar kurz vor dem Aus der Linkspartei, wie wir sie heute kennen. Doch an ein Ende wollte bei dem Zukunftskongress der Bewegungslinken niemand denken. Weder die Panelisten noch die rund 360 Teilnehmer. Ganz im Gegenteil: »The Time is now« lautete das Motto der Veranstaltung, mit dem die Konferenzräume der Jugendherberge Berlin Ostkreuz am Wochenende vollplakatiert waren. »Die Zeit ist jetzt« – aber wofür eigentlich?
Genau jetzt habe Die Linke die Chance, aus »ihrer inneren Blockade herauszufinden und dabei alte Schwächen zu tilgen«, heißt es in der Einladung zur Veranstaltung. Das Gute der alten Linken gelte es zu bewahren, man möchte die Partei aber auch für Neues öffnen und gemeinsam etwas Besseres schaffen. Dazu eingeladen waren all jene, »die sich eine moderne Linke wünschen«. Das waren anscheinend recht viele. Denn schon wenige Stunden, nachdem die Tickets für die Zukunftskonferenz online gingen, waren alle Plätze weg. Aus ganz Deutschland reisten Genossen und vereinzelt auch Nicht-Genossen an, um sich während und zwischen 21 hochkarätig besetzten Panels, Keynotes und Workshops darüber zu streiten, wie eine neue linke Erzählung aussehen könnte.
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Zu Gast waren etwa Martin Schirdewan, Vorsitzender der Linkspartei, Carola Rackete, Bewerberin um ein linkes EU-Mandat, und Daphne Weber, Mitglied im Parteivorstand, die gemeinsam über linke EU Politik diskutierten. Gleich zwei Panels wurden der Klimafrage gewidmet, an denen unter anderem Sarah-Lee Heinrich, Bundessprecherin der Grünen Jugend, und Thomas Goes vom Institut für Sozialforschung auf dem Podium saßen. Und auch für linke Kernthemen – Wie muss eine linke Friedenspolitik in Zeiten des russischen Angriffskrieges aussehen? Wie können antifaschistische Bewegungen das Erstarken rechter Kräfte stoppen? – wurden bei dem Zukunftskongress Räume geschaffen.
Das W-Wort fiel über mehrere Panel-Stunden hinweg auffällig selten – fast, als sei es verboten. Wie Janis Ehling, Mitglied des Linke-Parteivorstandes und Co-Organisator der Konferenz, dem »nd« erklärte, blieb der Elefant im lichtdurchfluteten Konferenzraum mit Absicht unbeachtet: Mit den Grabenkämpfen um das Wagenknecht-Lager wolle man sich im bewegungsnahen Parteiflügel keine Sekunde länger aufhalten. »Dass bestimmte Leute aktiv an einer Spaltung der Linkspartei arbeiten«, so Ehling, darauf habe man einfach keinen Einfluss mehr. Er selbst rechnet fest damit, dass es zu einer Parteineugründung um Wagenknecht kommen werde. »Mit denen, die für das Fortbestehen der Partei kämpfen wollen, möchten wir an diesem Wochenende überlegen, wo es jetzt hingeht; wie wir Die Linke wieder zukunftsfähig machen können.«
Leichter gefragt als beantwortet. Dass es aber trotzdem versucht werden muss, davon schienen bei dem dreitägigen Zusammentreffen eigentlich alle überzeugt. Der Parteifunktionär aus Eisenach genauso wie die Emdener Hafenarbeiterin oder der Berliner Kiezaktivist. Und wie sieht sie nun aus, die Zukunftsvision der alten neuen Linken, die etliche Wähler herbeibringen soll, wenn Wagenknecht und ihre Anhänger nicht mehr da sind?
Beim Panel »Arbeit und Reichtum umverteilen: Eine neue Erzählung des guten Lebens für alle« sollten Janine Wissler, Parteivorsitzende und Bewegungslinke, Hans-Jürgen Urban von der IG Metall und Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, genau diese Frage beantworten. Die ganz große Zukunftsvisionen wurden hier zwar nicht formuliert – zumindest nicht mit dem Elan, den es jetzt vielleicht bräuchte. Ein paar konkrete Ansätze waren aber dabei.
Um der historisch einmaligen Krise des Gegenwartskapitalismus entgegenzuwirken, haben Linke, so Urban, drei Kernaufgaben: Sie müssten erstens ein solidarisierendes Aufklärungsangebot machen. Also die Menschen darüber aufklären, wo sie sich in der Krise befinden und gemeinsame Auswege aufzeigen. Zweitens liege es in der Verantwortung linker Kräfte, so der Gewerkschaftler, den Widerstand gegen die zu organisieren, die Klassenkampf von oben betreiben. Zudem müssten Linke drittens konkrete Ideen für eine bessere Zukunft aufzeigen. Dafür müsse zuerst einmal überlegt werden, wie man das System so transformieren kann, dass man »die ökonomische Wertschöpfung überhaupt in die Zukunft verlängern kann«, ohne die Natur zu ruinieren.
»Gleichzeitig findet gerade eine Verteilungsoffensive von oben statt«, so Urban. »Da kommen wir mit Tarifpolitik alleine«, also einer primären Umverteilung von Vermögen, »nicht mehr hinterher.« Deshalb braucht es zusätzlich eine sekundäre Umverteilung staatlicher Gelder, die nur über eine Machtumverteilung staatlicher Politik möglich wäre. »Dazu braucht es Allianzen.« So weit, so gut. Aber wer soll’s tun?
Die Linkspartei könnte doch genau die Stelle sein, an der eben diese verschiedenen Kämpfe zusammenlaufen und sogar zentral koordiniert werden, merkte eine Person aus dem Publikum an: Gewerkschaftsarbeit in den Betrieben, Widerstand durch die Bewegungen auf den Straßen und natürlich der Auf- und Ausbau parteilicher Strukturen im ganzen Land. Eine Mosaiklinke also, deren Teile von der Partei platziert werden.
Ulrich Schneider betonte, man müsse dafür aber zuerst den Bruch mit jenen wagen, die sich nicht für alle Benachteiligten einsetzen wollen. »Vielfalt, Toleranz und Offenheit gehören zu einer zeitgemäßen linken Politik.« Das sei in Deutschland nicht mehr der Fall. »Die sogenannte Mosaiklinke, das sind längst zwei verschiedene Mosaike«, die nicht mehr zueinander passen, so Schneider. »So ein Mosaik braucht eben einen Rahmen, sonst ist es einfach ein Scherbenhaufen«, so Janine Wissler. Genau dieser Rahmen werde jetzt gesetzt. Gegenüber dem »nd« erklärte die Parteivorsitzende, dass es dabei zum einen darum gehe, wer überhaupt Teil eines linken Parteiprojektes sein möchte. Aber auch inhaltliche Fragen spielten eine wichtige Rolle. Wer sich beispielsweise ausländerfeindlich äußere, könne kein Teil einer linken Zukunft sein.
Für eine Zukunft der Linkspartei ohne Wagenknecht braucht es aber noch mehr als nur ein grobes Abstecken dessen, was in den linken Rahmen passt oder nicht. Und auch mehr als theoretische Überlegungen dazu, was Linke jetzt tun müssten, wenn sie denn mal zu Potte kämen. Um aus dem Scherbenhaufen ein Mosaik und aus dem Mosaik eine starke linke Gesamtbewegung zu machen, fehlt es weiterhin an einer klaren Erzählung, hinter der sich ausreichend Menschen möglichst geschlossen versammeln können. Was die Zukunftskonferenz aber gezeigt hat: Für und um eine solche Vision zu kämpfen, sind immer noch viele in und außerhalb der Partei bereit.
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