In Spanien steht die Tür zur Regierungsbildung halb auf

Martin Ling über das Angebot von Puigdemont an Pedro Sánchez

Spaniens sozialdemokratischer Ministerpräsident Pedro Sánchez weiß seit den Wahlen am 23. Juli, dass er für eine neue Regierungsmehrheit auf die Stimmen der liberalen katalanischen Unabhängigkeitspartei Junts des Exil-Präsidenten Carles Puigdemont angewiesen ist. Und seit dem 5. September weiß er auch, was er dafür bieten muss: ein Amnestiegesetz, das die juristische Verfolgung aller Menschen beendet, die am 1. Oktober 2017 am einseitigen Unabhängigkeitsreferendum beteiligt waren – angefangen von Puigdemont bis zu Unterstützer von der Basis.

Was Puigdemont nun auf den Verhandlungstisch legte, ist ein Kompromiss. Die Maximalforderung nach einem vereinbarten Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien wird aufgeschoben, wenn auch nicht aufgehoben. Es ist ein Kompromiss, der in Katalonien weit über Junts eine gesellschaftliche Mehrheit hat, da knapp 80 Prozent das Recht auf Selbstbestimmung proklamieren, wobei sich bei Umfragen derzeit keine Mehrheit mehr für eine Unabhängigkeit ergibt.

Doch Sánchez hat auch innerparteilich starke Gegner, wie die Reaktion von Ex-Ministerpräsident Felipe González zeigt: »In der Verfassung ist kein Platz für Amnestie oder Selbstbestimmung.« Diese von Francos Gefolgsleuten oktroyierte Verfassung von 1978 ist das konstituierende Problem von Spaniens Demokratie. Sie erteilt dem offensichtlich plurinationalen Charakter Spaniens, was ein Blick ins Baskenland, nach Galicien oder Katalonien zeigt, eine Absage. Diese Verfassung gehört längst generalüberholt. Ein »historisches Abkommen«, wie es Puigdemont mit Sánchez anstrebt, wäre ein Quantensprung zur Beilegung der Konflikte mit den Regionen. Sánchez braucht Mut, um angesichts des rechten Widerstandes, angefangen von seiner eigenen Partei, durch diese Tür zu gehen. Es wäre lohnenswert.

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