Salvador Allende: Der friedliche Revolutionär

Salvador Allende hatte bereits einen langen politischen Weg hinter sich, als er Präsident von Chile wurde

  • Ronald Friedmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Noch drei Wochen vor dem Putsch empfing Präsident Salvador Allende (rechts) den General und späteren Diktator Augusto Pinochet.
Noch drei Wochen vor dem Putsch empfing Präsident Salvador Allende (rechts) den General und späteren Diktator Augusto Pinochet.

Exakt 1043 Tage war Salvador Allende Staatspräsident Chiles, bevor ein von den USA finanzierter und organisierter Militärputsch einem weltweit beachteten politisch-sozialen Projekt ein blutiges Ende bereitete: Zum ersten Mal in der Geschichte war ein sozialistischer Politiker, der sich auf ein breites Bündnis unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte stützen konnte, durch demokratische Wahlen an die Macht gelangt und hatte damit begonnen, in seinem Land revolutionäre Veränderungen auf den Weg zu bringen. Mit der Präsidentschaft Allendes verbanden sich große Erwartungen und Hoffnungen, nicht nur in Chile, sondern weltweit.

Geboren wurde Salvador Allende am 26. Juni 1908 in Santiago de Chile. Valparaíso, das immer wieder als sein Geburtsort genannt wird, war die Stadt, in der Allende den größten Teil seiner Kindheit und Jugend verbrachte, in einer wohlhabenden Familie aus der oberen Mittelschicht, in der progressive Ansichten zum Alltag gehörten und in der es selbstverständlich war, sich politisch zu engagieren. Sein Vater, ein hoher Beamter, gehörte der Radikalen Partei an. Doch es war der italienische Anarchist Giovanni Demarchi, ein Schumacher, der dem jungen Allende die entscheidenden Überzeugungen vermittelte, die den friedlichen Revolutionär nach Jahrzehnten des politischen Engagements an die Spitze des chilenischen Staates führten.

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Dass sich Allende nach Abschluss der Schule entschied, Medizin zu studieren und Arzt zu werden, war wohl in erster Linie dem Einfluss seines Großvaters zu verdanken, der selbst ein bekannter Arzt war. Allende beendete sein Studium 1933 mit einer Promotion zum Doktor med. Seine Dissertation über »Geistige Hygiene und Delinquenz« ist buchstäblich ein Dokument aus einem vergangenen Jahrhundert. Doch die in späteren Jahren geführten Debatten um Allendes Doktorarbeit hatten keinen wissenschaftlichen, sondern einen ausschließlich politischen Hintergrund.

Mehrere Jahre arbeitete Allende als Mediziner in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Gesundheitswesens und als Lehrer an der Medizinischen Schule seiner Heimatstadt. Bereits während des Studiums war jedoch deutlich geworden, dass die Politik in seinem Leben die entscheidende Rolle spielen würde. 1933 gehörte er zu den Mitbegründern der Sozialistischen Partei Chiles (SP). Er übernahm die Leitung für das Gebiet Valparaíso und wurde 1937 in seiner Heimatstadt als Abgeordneter in das chilenische Parlament gewählt. Bereits im Jahr zuvor hatte sich die Frente Popular, das erste chilenische Volksfrontprojekt, konstituiert, Allende gehörte zu den maßgeblichen Akteuren. Seinen größten Erfolg erzielte das Bündnis aus Sozialisten, Radikalen und Kommunisten sowie weiteren linken, aber auch bürgerlichen Organisationen bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 1938: Der gemeinsame Kandidat Pedro Aguirre Cerda, Mitglied der Radikalen Partei, gewann mit absoluter Mehrheit. Der erst 31 Jahre alte Allende wurde Gesundheitsminister. Doch als die SP die Frente Popular wegen parteiinterner Querelen verließ, musste auch Allende aus der Regierung ausscheiden. Das bedeutendste Ergebnis seiner nur kurzen Amtszeit war das Gesetz über die Sozialversicherung, das 1940 vom Parlament verabschiedet wurde.

In den Jahren 1942 und 1943 war er Generalsekretär der SP. Eines seiner wichtigsten politischen Ziele in dieser Zeit war die Herstellung eines ständigen Bündnisses mit der Kommunistischen Partei Chiles (KP). Mit dieser Idee stieß er innerhalb seiner Partei allerdings auf massiven Widerstand. Und das Verhältnis zur KP war nur eines von vielen Konfliktfeldern, die eine tiefe und andauernde Krise der Partei bewirkten und zur mehrfachen Spaltung der SP führten, die auch für Allende Folgen hatte.

Von 1946 bis 1951 war Allende Mitglied der Sozialistischen Volkspartei, in der nach dem zeitweiligen Verbot der KP Chiles im Jahr 1948 viele Kommunisten »politisches Asyl« fanden. Diese Entwicklung trug wesentlich dazu bei, dass 1951 eine neue Volksfrontorganisation entstand, die Frente Nacional del Pueblo, zu der die wieder zugelassene KP und verschiedene sozialistische Parteien gehörten, die sich in der Tradition der SP sahen. Im darauffolgenden Jahr nominierten die Mitgliedsparteien der Frente den damals 43-jährigen Salvador Allende, seit 1945 bereits Senator, als ihren gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten. Doch noch war er ohne Chance, er erhielt nur 5,5 Prozent der Stimmen. Er kandidierte erneut 1958 und 1964, nun als Kandidat der Front der Volksaktion (FRAP). Und unterlag wieder deutlich. Was damals nicht bekannt war: Die US-Regierung hatte den Wahlkampf des christdemokratischen Kandidaten und späteren Präsidenten Eduardo Frei im Jahre 1964 mit Millionenbeträgen unterstützt, um einen schon damals möglichen Sieg Allendes und der Volksfront zu verhindern.

Nach drei gescheiterten Kandidaturen war es keineswegs selbstverständlich, dass die Unidad Popular (UP), die im Oktober 1969 in der Nachfolge der FRAP gegründet worden war, Allende auch für die Präsidentschaftswahlen am 4. September 1970 als Bewerber nominieren würde. Die KP brachte kurzzeitig den Dichter und späteren Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda ins Gespräch, von dem der Satz überliefert ist: »Welche Ehre zu kandidieren. Aber um Gottes willen, ich werde gewählt!« Letztlich verständigte sich das Parteienbündnis im Januar 1970 auf eine erneute Kandidatur Allendes und auf ein gemeinsames Wahlprogramm, das unter anderem die Nationalisierung des für Chile lebenswichtigen Kupferbergbaus vorsah. Die Gewinne, die nun nicht mehr ins Ausland, insbesondere die USA, fließen würden, sollten für umfassende und nachhaltige sozialpolitische Maßnahmen verwendet werden, die in einem 40-Punkte-Sofortprogramm der Regierung Allende formuliert worden waren.

Bei den Wahlen am 4. September 1970 errang Allende 36,7 Prozent der Wählerstimmen. Er hatte damit zwar die notwendige absolute Mehrheit verfehlt, doch alle Mitbewerber hinter sich gelassen. Laut Verfassung lag die Entscheidung dann beim Parlament. Nach langwierigen Verhandlungen mit den Parteien der konservativen Mehrheit im Parlament und zahlreichen, zum Teil substantiellen Zugeständnissen Allendes hinsichtlich seiner Vorhaben als Präsident wählte ihn das chilenische Parlament schließlich am 24. Oktober 1970 in das höchste Staatsamt. Am 3. November 1970 konnte Salvador Allende, gefeiert von einer unüberschaubaren Menschenmenge, die sich vor der Moneda, dem Präsidentenpalast im Herzen der chilenischen Hauptstadt, versammelt hatte, sein Amt als Präsident der Republik Chile antreten.

Nur wenige Tage zuvor hatte Allende einen Mordanschlag unverletzt überlebt. Das Attentat hatte deutlich gemacht, dass die Reaktion innerhalb und außerhalb Chiles einen sozialistischen Staatspräsidenten, der zudem von Kommunisten und anderen linken Kräften unterstützt wurde, niemals akzeptieren würde. Der Putsch am 11. September 1973, das zeigten die nachfolgenden Entwicklungen, war nur der finale Höhepunkt von ungezählten Versuchen, Allende zu stürzen und der Idee der Volksfront ein dauerhaftes Ende zu bereiten.

Auch im Angesicht der politischen Niederlage gab sich Allende in keiner Weise der Verzweiflung hin. In seiner letzten Rede, die er buchstäblich nur Minuten vor seinem gewaltsamen Tod in der von Putschisten bedrängten Moneda gehalten hatte, verkündete Allende: »Ich glaube an Chile und sein Schicksal. Es werden andere Chilenen kommen. In diesen düsteren und bitteren Augenblicken, in denen sich der Verrat durchsetzt, sollt ihr wissen, dass sich früher oder später, sehr bald, erneut die großen Straßen auftun werden, auf denen der würdige Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht.«

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