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Linksjugend Eisenhüttenstadt: Unbeugsam nach rechter Bedrohung
Die Basisgruppe in Eisenhüttenstadt fordert klares Bekenntnis gegen neonazistische Morddrohungen. Sprecherin Pia bleibt politisch aktiv
Kurze, bunte Haare, Piercings, punkiges Auftreten: »So wie ich laufen hier nicht viele rum. Ich falle auf«, sagt Pia. Für die 16-Jährige aus dem rund 24 000 Seelen großen Eisenhüttenstadt ist das seit kurzem ein handfestes Problem. Seit sie Angst haben muss, sich alleine durch die Straßen zu bewegen. Seit sie bei Dunkelheit das Haus oft gar nicht erst verlässt. Seit ihr in ihrer Heimatstadt in aller Öffentlichkeit mit dem Tod gedroht wurde.
Pia steht am Platz der Jugend, wo in der Nacht zum 24. August großflächige neonazistische Graffiti angebracht wurden. Zahlreiche Hakenkreuze, rechte Parolen und Drohungen gegen Linke und Antifaschist*innen, auch ein AfD-Schriftzug waren dort zu sehen. Am bedrohlichsten sind die Morddrohungen, die sich ganz spezifisch gegen eine einzige Person richten: Pia, die kürzlich 16 Jahre alt geworden und seit einem Jahr Sprecherin der Linksjugend Solid in Eisenhüttenstadt ist.
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»Ich bin bekannt in der Stadt für meinen Einsatz«, sagt sie. Gerade am Platz der Jugend, den die junge Aktivistin ehrenamtlich erst vor kurzem mit anderen umgestaltet hat. Noch Anfang des Jahres sah es dort eher trostlos und verlassen aus, weil die umstehenden Gebäude, darunter eine ehemalige Schule, leerstehen. Doch das von Kulturland Brandenburg geförderte Projekt »Auf den Platz, fertig, los!« hat den Platz im Mai aufgeräumt und schön gemacht. Große, bunte Gemälde wurden an die Wände der Häuser gemalt, um den Platz wiederzubeleben. 200 Eisenhüttenstädter*innen haben zur Umgestaltung beigetragen.
»Das Projekt war explizit unpolitisch. Da haben keine Parteien mitgemacht«, sagt Pia. Sie hebt das hervor, um klarzustellen, wie absurd es ist, dass dort Rechte ihren Hass gegen Linke auslebten und den frisch gemachten Platz samt der Wandgemälde durch ihre Schmierereien verunstalteten. Pia selbst war als Projektassistenz an der Wiederbelebung des Platzes im Süden der Stadt beteiligt. Gerade deshalb ist sie davon überzeugt, dass die Drohungen gegen eine Person mit ihrem Vornamen tatsächlich sie selbst meinen. Zurzeit ermittelt der Staatsschutz der Direktion Ost der Brandenburger Polizei wegen des Verdachts der Bedrohung und der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole.
Die Linksjugend-Aktivistin steht derweil nicht alleine da. »Ich hab viel Unterstützung von der Linksjugend Solid Brandenburg erhalten, von der Brandenburger Linken und vor allem von der Linken hier in Eisenhüttenstadt«, sagt sie. Auch von ehrenamtlichen Initiativen erhalte sie Solidarität. Kulturland Brandenburg hatte in einer Pressemitteilung auf die rechten Graffiti und die »explizite und persönliche Morddrohung gegen eine der Projektmitwirkenden« aufmerksam gemacht und beteuert, »jede Form rechter Gewalt und Bedrohung« zu verurteilen.
Natürlich steht auch Pias eigene Linksjugend-Basisgruppe in Eisenhüttenstadt hinter ihr. »Der Schwerpunkt unserer Arbeit ist gerade der Support für Pia, und die akute Bedrohung durch Rechtsextremismus noch stärker in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen«, so Pias Mitstreiter Jacob aus der Basisgruppe im Gespräch mit »nd« am Mittwoch in der Geschäftsstelle der örtlichen Linken. Auch er ist gerade erst 16 Jahre alt geworden und geht wie Pia zur Schule.
»Dass wir aktuell in einer Situation sind, in der Rechte sich dazu ermutigt fühlen, öffentlich Morddrohungen gegen Minderjährige zu versprühen und lokalpolitisch aktive Linke so einzuschüchtern, ist ein großes Problem«, sagt Jacob. Es brauche in so einem Fall schnelle, klare und gesamtgesellschaftliche Reaktionen gegen Rechtsextremismus und »stadtweite Solidarität« mit Betroffenen. »Sie versprühen Morddrohungen, nur weil Leute versuchen, hier in der Stadt etwas voranzubringen«, so der Aktivist in Bezug auf das Projekt am Platz der Jugend.
Bislang reichen dem 16-Jährigen vor allem die öffentlichen Bekundungen der verantwortlichen Stadtpolitiker*innen nicht aus. Auch sei es erst in dieser Woche erreicht worden, dass sich die Stadt um eine vollständige Entfernung der rechten Graffiti kümmere – »elf Tage nach dem Vorfall«.
Die jungen Aktivist*innen vermuten, dass die Täter*innen am Platz der Jugend ebenfalls jung sind. »Das war keine organisierte Aktion von Neonazis, sondern das waren irgendwelche Jugendlichen über Nacht, die mich einfach hassen«, so Pias Einschätzung. Das sehe man auch an der Art der »Kritzeleien« und daran, dass sie eine Spraydose am Ort gelassen hätten. »Das wurde aber aus überzeugtem Rechtsextremismus und dem daher kommenden Hass gegen Linke gemacht.«
Deshalb fordern die beiden mehr Aufklärungsarbeit in der Schule. »Rechtsextremismus muss in der Schule aufgearbeitet werden, sonst machen Jugendliche sowas«, sagt Jacob. Er bezieht sich auch auf die jüngere Vergangenheit der organisierten neonazistischen Angriffe in den 90er Jahren im Osten Deutschlands, die sogenannten Baseballschlägerjahre.
»Klar fallen auch rechte Sprüche auf dem Schulhof.« Das werde zwar oft als Ironie und Scherz verkauft, bilde aber den Nährboden dafür, dass sich Jugendliche später politisch nach rechts entwickelten. »Wenn sie sich dann mit den ganzen Problemen hier, der mangelnden Infrastruktur zum Beispiel, beschäftigen, dann liefern Rechte einfache Lösungen«, so der Linksjugend-Aktivist. Viele Schüler*innen hätten durchaus mit rechten Einstellungen im Schulumfeld zu kämpfen. »Die Morddrohungen gegen Pia sind die Spitze dieser Entwicklungen«, sagt Jacob.
Es sei auch die strukturelle Benachteiligung der ganzen Region in Verbindung mit der mangelnden antifaschistischen Bildungsarbeit, die zur Erstarkung rechtsextremer Einstellungen beitrage. »Der öffentliche Nahverkehr ist eine Katastrophe, es fehlt an Angeboten für Jugendliche, an Orten, wo sie hinkönnen, und an sozialer Arbeit.«
Vor allem rassistische Einstellungen seien auch in Eisenhüttenstadt ein großes Problem. »Erst kürzlich hat mir eine Freundin erzählt, sie werde regelmäßig mit dem N-Wort bezeichnet«, so der 16-Jährige. Der Linksjugend-Basisgruppe sind keine organisierten neonazistischen Gruppen bekannt, die in ihrer Stadt aktiv wären. Aber sie hätten mitbekommen, dass von jungen Rechten Flugblätter verteilt worden seien, in denen gegen Geflüchtete gehetzt werde. »Es soll hier im Oder-Spree-Kreis auch eine Gruppe der Jungen Alternative geben«, sagt Jacob.
David Manietta, Ortsvorsitzender der Eisenhüttenstädter Linken, unterstützt die jungen Genoss*innen und nimmt ebenfalls am nd-Gespräch teil. Er ergänzt, dass auch in einigen Elternhäusern viel schief gelaufen sein müsse, wenn jetzt rechte Jugendliche andere Jugendliche so massiv bedrohten. »Das ist eine Nachfolgegeneration. Die Gesellschaft in Eisenhüttenstadt muss sich fragen, was sie eigentlich verkackt hat. Auch die Eltern, auch die Schulen«, sagt er.
In Eisenhüttenstadt reagierten derweil Aktive des Clubs Marchwitza ganz in der Nähe des Platzes der Jugend schnell und effektiv auf die neonazistischen Graffiti. »Sie sind direkt hin und haben das meiste übermalt«, sagt Pia. So ist nun zum Beispiel an einer Stelle statt der rechten Hetze gegen Antifaschist*innen ein großes Wandbild mit dem Schriftzug »Schöner leben ohne Nazis« zu sehen und statt »Pia, wir kriegen dich« steht dort »Pia, wir lieben dich«.
Sie wisse diese Aktion sehr zu schätzen, sagt die 16-Jährige als sie über den Platz läuft. »Es geht mir schon viel besser, wenn ich mir die Übermalungen hier anschaue. Ich fühle mich nicht allein.«
Genau deshalb will sie ihr politisches Engagement auch nicht aufgeben – anders, als es in den bisherigen Medienberichten, darunter auch im »nd«, bislang wiedergegeben wurde. »Ich werde mich zwar vorerst aus der Arbeit in der Öffentlichkeit zurückziehen, aber in geschlossenen Räumen mache ich weiter«, sagt die Sprecherin der Eisenhüttenstädter Linksjugend Solid.
Weitere Unterstützung wünscht sich Pia vor allem auf der Straße. Schon in der kommenden Woche gibt es dafür den nächsten Anlass: Zum globalen Klimastreik am Freitag, den 15. September, soll es auch eine Demonstration in Eisenhüttenstadt geben. »Wir werden dort mit einem Transpi gegen rechts mitlaufen und es wäre super, wenn noch mehr Leute mit uns kommen würden«, sagt die Aktivistin. Der Aufruf richte sich besonders auch an Menschen außerhalb von Eisenhüttenstadt.
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